Voll die Latte. Axel Formeseyn
ja nun eigentlich überhaupt kein Problem sein. Bei einem Sieg wäre HSV fast schon wieder Deutscher Meister, und wie super ist das bitteschön! Seit ich HSV-Fan bin, wird HSV nur noch Meister, zum dritten Mal schon hintereinander!
Wie wir selber spielen, ist uns also total schnuppe, Hauptsache, Maik und ich haben unsere HSV-Pudelmützen im Spiel auf, die bringen nämlich Glück. Nur mein Papa, der uns hingefahren hat, steht draußen am Spielfeldrand und schimpft die ganze Zeit nur rum.
„Los, Jungs! Bewegt euch mal!“
Papa tut manchmal echt so, als ob er unser Trainer wäre. Okay, wir spielen echt schlecht und verlieren mit 0:6 und bewegen tun wir uns eigentlich auch erst so richtig, als Maik und ich nach dem Abpfiff schnell vom Platz rennen, weil wir doch unbedingt und schnell nach Hause wollen, damit wir in der Sportschau auch ja noch sehen können, wer die ganzen HSV-Tore zur Meisterschaft geschossen hat.
Auf der Rückfahrt nach Nordstrand hält Papa uns so eine richtige kleine Gardinenpredigt, die wir gelassen über uns ergehen lassen. „Lass den man reden“, flüstere ich Maik auf der Rückbank gerade ins Ohr, als Papa plötzlich nebenbei am Radio rumfummelt. Nun greifen wir von hinten aber doch mal ein, schließlich wollen wir uns die Spannung bis zur Sportschau erhalten.
„Radio aus!“, rufen wir wie aus einem Mund. Und tatsächlich, Papa macht das Radio aus. Aber er muss ja auch was zu tun haben, die Fahrt dauert schließlich fast zwanzig Minuten, also geht es weiter mit seiner Spielanalyse: „Ihr müsst euch einfach mehr bewegen.“ Und er erzählt allerlei Zeug, das wir nicht kapieren, wie zum Beispiel: „Da müsst ihr vorne auch mal pressen!“ Oder: „Die Abseitsfalle muss zuschnappen, Jungs! Zuschnappen muss sie!“ Am besten finden wir aber den Spruch hier, ohne dass wir wüssten, was er damit meint: „Im Deckungsverbund müsst ihr sicherer stehen!“
Wir nicken artig mit den Köpfen und sagen in regelmäßigen Abständen „Jaja“ und so ein Zeug, und – wer sagt es denn – schon nach kurzer Zeit fahren wir bei uns zu Hause auf die Auffahrt rauf.
Es ist schon fast 18 Uhr und gleich fängt die Sportschau an. Benny Hill hab ich heute ja leider verpasst. Das ist so eine Quatschsendung, die immer vor der Sportschau läuft und mir wegen der Aufregung, die sich nun immer doller bei mir breitmacht, jetzt doch ganz gut getan hätte. Maik flitzt schnell rüber zu sich nach Hause und auch ich renne rein, halte mir die Ohren zu und summe laut vor mich hin, damit ich das Radio in der Küche auch ja nicht höre, damit die Spannung nicht schon weg ist, wenn ich hoffentlich, vielleicht, höchstwahrscheinlich höre, wie HSV in Hamburg schon als Meister mit einem Bus durch die Straßen fährt und eine Riesensause macht.
Doch kaum läuft die Sportschau, ist die Ernüchterung groß. HSV hat 0:2 verloren! Zu Hause! Gegen Eintracht Frankfurt! Und ich sitze auf dem Sofa und kann das gar nicht so richtig glauben, weil, jetzt müsste HSV am letzten Spieltag in Stuttgart schon mit 5:0 gewinnen, um noch Meister zu werden! Das wird doch eh nichts und ist so was von – wenn das Mama lesen würde – scheiße, dass ich erst mal weine und Mama verfluche, weil, die hatte schließlich das Radio schon wieder an, als ich nach Hause gekommen bin, und dabei weiß sie doch, dass ich das nicht mag, wenn ich nach Hause komme und das HSV-Ergebnis noch nicht kenne. Und Papa hat das Radio im Auto auch kurz angehabt. Der hat also genauso Schuld! So kann man ja auch gar nicht Meister werden, wenn die eigenen Eltern so dermaßen nachlässig sind, und das wird dann ja mal wieder so eine richtige Blamage, wenn ich nächste Woche zu Maik zum Geburtstag soll und Maiks Papa mich die ganze Zeit mit der HSV-Niederlage von heute aufzieht, was fast noch schlimmer ist, als wenn mein Papa über „Opa Kaltz“ und „diese brotlose Kunst“ meckert und wieder alles und jeden beim HSV „so was von primitiv“ findet…
26. Mai 1984
VfB Stuttgart – HSV 0:1
Maik feiert seinen Geburtstag und wir gucken bei ihm die besten „Tom und Jerry“-Streiche auf so einer Leinwand, die sein Papa zu Hause extra aufgestellt hat. Die ist zwar ziemlich gut, aber längst nicht so groß wie die Leinwand, die letzte Woche in der Nordstrander Gaststube auf dem Süden gestanden hat. Da ist nämlich das Wanderkino zu Gast gewesen, und Maik und ich und ein paar Jungs aus der Nachbarschaft waren da. Klaro, wann bekommt man bei uns in der Ecke schon mal die neuesten heißen Kinostreifen zu sehen?
Wir hatten also unsere letzten Kröten zusammengesammelt und fünf Mark bezahlt und Colawassereis und Pepsi-Cola für noch mal fünf Mark gekauft und dann gab’s unsere Helden Bud Spencer und Terence Hill in Aktion. Bud Spencer ist echt so super wie nur was. Der fackelt nicht lange, der haut immer gleich auf die Rübe drauf! Den könnten wir uns stundenlang angucken und dann auch noch im Wanderkino!
Nach der Vorstellung sind Maik und ich und ein paar andere zu dem Chef von dem Wanderkino gegangen. Der stand neben so einem Transporter und Maik meinte noch: „Was für eine Rostlaube! Wenn ich mal Chef von einem Wanderkino bin, dann fahre ich BMW!“
Der Typ packte die Leinwand ein und wollte grad anfangen mit Geldzählen, da fragte ihn Maik: „Du, wie geht der Film eigentlich aus?“ Was eine berechtigte Frage war, weil nämlich, wir kriegten nur so ein paar Szenen zu sehen, nicht den ganzen Film.
Ein Junge aus der Nachbarschaft hatte uns kurz davor erklärt, dass die Filmrollen zu groß für den ollen, kleinen Projektor seien. „Darum sehen wir immer nur ein paar Stellen.“
Wir wollten das aber genau wissen und wie wir so den Chef von dem Wanderkino persönlich gefragt hatten, da machte der große Augen, drehte sich nach links und nach rechts um und fragte uns hinter vorgehaltener Hand, ob wir übergeschnappt seien.
„Wieso?“
„Na, ihr wollt euch doch nicht die Spannung verderben! Ich komme bald wieder nach Norddeich…“
Ich korrigierte ihn: „Nordstrand!“
Und der Wanderkinoheini klärte uns weiter auf: „… ja ja, Nordstrand, ist ja auch egal, na ja, ich komm auf jeden Fall irgendwann wieder und dann zeig ich euch das Ende vom Film!“
Und wir guckten uns strahlend an und umarmten uns und jubelten: „Hurra!“
Bei Maik gibt es keinen Bud Spencer und auch keinen Terence Hill – Maiks Papa meint, das wäre zu brutal für uns – aber Tom und Jerry sind auch ganz okay und dazu gibt es ja auch noch Würmer und Wackelpudding und alles ist so super wie nur was, wenn bloß HSV nicht wäre. Und Maik sein Papa. Der ist nämlich – das hab ich ja schon geschrieben – mindestens genauso schlimm, wenn das um HSV geht, wie mein Papa und hört überhaupt gar nicht damit auf, die ganze Zeit, während er den Film einstellt, mich zu veräppeln.
„Du, wie hat HSV eigentlich letzte Woche gespielt?“
Mit „du“ meint er mich und ich lächle ein bisschen und denke mir, vielleicht hört er dann ja damit auf, wenn ich lächle. Das hab ich mal irgendwo aufgeschnappt, dass man so tun soll, als ob man das gar nicht so schlimm findet, wenn einen jemand ärgert. Man soll dann einfach lächeln und der hört dann auf.
Aber Maik sein Papa hört nicht auf.
„Wird HSV heute in Stuttgart eigentlich Meister? Die gewinnen bestimmt 5:0, was? Mindestens!“
Die ganze übrige Bande hält sich die Bäuche vor lauter Lachen über Tom und Jerry, während ich kaum was von den Filmen mitbekomme, weil ich die ganze Zeit versuche, Maiks Papa nicht aus den Augen zu verlieren. Immer wieder zerzaust er mir von hinten die Haare, wenn er an mir vorbeigeht. „Ich glaub, es steht schon 4:0 für den HSV!“
Und er starrt mich fast ein bisschen verrückt an und lacht dabei so laut wie dieser Pirat, den ich letztens im Fernsehen gesehen hab: „Harhar!“ Und immer wenn die Flurtür ein Geräusch macht, zucke ich zusammen, weil, da kommt er schon wieder! Kann der nicht mal wen anders ärgern?
So geht das bestimmt eine