Ameisenmonarchie. Romina Pleschko

Ameisenmonarchie - Romina Pleschko


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standen, desto mutiger setzten sie sich zur Wehr gegen die starke Beduftung dort, indem sie sich selbst von oben bis unten einnebelten, um nicht komplett unterzugehen in diesen gnadenlosen Neonlichthöllen.

      Jetzt saß eine erwartungsvolle Schwangere vor ihm, sechste Woche, und er hatte keine Lust auf die Untersuchung. Die Frau war schrecklich dünn, litt an Morgenübelkeit und wollte endlich einen Herzschlag hören. Herb Junior bat sie, den Bauch freizumachen, sichtlich irritiert gehorchte sie. Er drückte den Schallkopf auf ihre Bauchdecke, eventuell etwas zu fest, aber obwohl sie so schlank war, bekam er nichts zu sehen. Also doch vaginal. Der Herzschlag war schnell gefunden, die Schwangere glücklich.

      Herb Junior fixierte die große Tätowierung auf ihrem Oberschenkel, ein grimmig dreinblickendes kleines Mädchen mit Zigarette im Mundwinkel.

      »Woher stammt diese Narbe hier am Unterbauch«, fragte er.

      »Äh, von meinem Kaiserschnitt«, antwortete die Schwangere.

      »Sie können sich wieder anziehen«, sagte er.

      Herb Junior zog die Einweghandschuhe aus und wusch sich gründlich die Hände und Arme, bis fast zum Ellenbogen. Er roch an seinen Fingern, seifte sie ein zweites Mal ein und spülte sie gründlich ab. Seine Hände waren rot und schmerzten vom eiskalten Wasser.

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      DREIUNDZWANZIG NEUE BEITRÄGE. Karin hatte nur kurz Mittagessen gekocht und schon gab es dreiundzwanzig neue Beiträge zu ihren abonnierten Threads im Familienforum. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Helene schlief, Karin hatte jetzt ungefähr eine Stunde Zeit, um selbst etwas zu schreiben, bevor ihre Tochter wieder aufwachen würde.

      Heute wurde über die Ethik der Leihmutterschaft, die Veganität von Muttermilch und über die anstehenden Nationalratswahlen diskutiert, durchsetzt von den üblichen Finanzgeschichten, bei denen es in erster Linie darum ging, wer mehr Geld hatte als die anderen und das so subtil in seine Forumsidentität einflechten konnte, dass niemand sich traute, seinen Neid zu verbalisieren. Man pflanzte den Neid in eine Cloud, sozusagen. Karin hatte mittlerweile gelernt, dass man Geld nur für bestimmte Dinge ausgeben durfte, für Bioobst, ein faltbares Fahrrad, für Ergotherapien und ein Kindertheater-Abo, eventuell noch für nachhaltige Reisen in streng ökologisch geführte Ferienresorts, sicherlich aber nicht für eine Nanny, Handtaschen oder Kosmetik. Das Beschäftigen einer Nanny führte nämlich nach drei Threadseiten zur Conclusio, dass man besser gar keine Kinder hätte bekommen sollen, wenn man sie nicht durchgehend selbst betreute. Eine teure Handtasche bedeutete, dass man die Prioritäten im Leben falsch setzte, und eine Affinität zu Luxuskosmetik, dass man oberflächlich war und dumm genug, den leeren Versprechungen der Industrie zu glauben.

      Karin wusste nicht genau, warum sie seit Jahren süchtig nach diesem Forum war, dessen Teilnehmerinnen sie sich alle entweder sozial komplett unbeholfen oder so besserwisserisch vorstellte, dass das reale Umfeld die Flucht ergriffen hatte. Wie sie selbst dort hineinpasste, darüber vermied sie nachzudenken, denn sie beschäftigte sich nicht gerne mit eventuellen Defiziten ihrer Persönlichkeit, sondern lieber mit denen der anderen, zudem konnte sie außerhalb ihres Berufslebens nicht viel Zeit in soziale Kontakte investieren. Manchmal reichte es ihr, nur zu lesen und teilzuhaben an den rührend tollpatschigen Selbstdarstellungen im Netz. Vor allem die Männer hatten es ihr angetan. Das Familienforum wurde nämlich fast ausschließlich von Nutzerinnen besiedelt, man konnte die Nutzer an zwei Händen abzählen. Zu ihnen gehörte zum Beispiel der latent unzufriedene Apachenträne76, der so besessen war vom Sozialdarwinismus, dass er seine Tochter – natürlich Einzelkind, denn alles andere hätte einen Verlust der Finanzkraft zur Folge gehabt – zum Bogenschießen und Kampfsport zwang, damit sie der Härte der Welt eines Tages gut gerüstet gegenübertreten konnte. Er partizipierte nie an privaten Themen, außer es ging um Schulhofprügeleien (Sehr gesund für die Entwicklung! Nur Weicheier wollen ohne Gewalt durchs Leben!), das Sammeln von Uhren (Chronographen, bitte, so viel Zeit muss sein!) oder das Schreiben von Kinderbüchern (Durch strategisch effiziente Produktplatzierung beeindruckende Verkaufszahlen der Werke aus Eigenverlag).

      Einmal hatte er versucht, sie über private Nachrichten anzuflirten. Darin war er nicht besonders geschickt, ging es doch hauptsächlich um ein vages Anklingenlassen seines überdurchschnittlichen Einkommens und seine Vorliebe für Funktionskleidung. Karin hatte sich konservativ wild gegeben, eine riskante Mischung, aber sie wollte schon immer einmal der aufflammende Traum eines Mannes sein, der das Scheitern seines Lebens final auf sich zukommen sah. Karin gefiel es, wenn alternden Männern allmählich jede Möglichkeit eines Alphatierdaseins geraubt wurde, trotz eigentlich bester Voraussetzungen. Bei Frauen passierte der Prozess des Scheiterns viel zu früh und schnell, er tat den meisten auch nicht weh, sondern war nichts weiter als natürliche Fügung. Man bekam Kinder, so war das eben.

      ALS MAGDALENA HERB Senior in den Achtzigern auf einem Fest des Tennisclubs kennengelernt hatte, fiel ihr zuallererst auf, wie weiß der Kragen seines Polohemds war. Leuchtend rahmte er sein Gesicht, ein spiegelverkehrter Heiligenschein. Obwohl Herb Senior schon damals einen Hang zum Übergewicht hatte, schwitzte er weniger als der Durchschnitt und wirkte fit und frisch. Sein Fleisch war fest.

      Magdalena fand Mediziner von allen Berufsgruppen am anziehendsten, sie gab sich gerne der Illusion hin, mit ihrem Partner eine Geheimwaffe gegen den Tod zu besitzen. Sollte jemals das viel beschworene weiße Licht zu einem unerwünschten Zeitpunkt auf sie zukommen, dann könnte sie »Stopp! Mein Mann ist Arzt!« rufen, und wenn das nichts nutzen würde, gäbe es immerhin als österreichische Eigenheit die Option auf einen Grabstein mit einem in goldenen Lettern eingemeißelten »Frau Doktor«.

      Herb Senior war witzig und selbstbewusst, er hielt Türen auf und legte seine wohltemperierten Finger sanft zwei Handbreit unter Magdalenas Schulterblätter. Das gefiel ihr, erinnerte es sie doch an die Art, wie ihr der Vater damals das Schwimmen beigebracht hatte, die Hand immer sanft an ihrem Bauch, kaum spürbar, aber sofort mit aller Kraft da, sobald sie unterzugehen drohte.

      Jedes Mal, wenn sie die Orientierung verlor, was ihr in den verwinkelten Räumlichkeiten des Clubhauses und unter Einfluss eines leicht erhöhten Weißweinkonsums andauernd passierte, dirigierte Herb Seniors Hand sie in die richtige Richtung. Magdalena beschloss, dass er eine ernsthafte Möglichkeit für ihre Zukunft zu sein hatte.

      Der erste Geschlechtsverkehr in der Woche darauf verlief enttäuschend, ganz ohne Polohemd verlor Herb Senior sofort die Form, und Magdalena war in einem ausreichend überdurchschnittlichen Maße hübsch, um sich sexuell normalerweise nie anstrengen zu müssen. Verwirrt von seiner passiven Erwartungshaltung griff sie zaghaft nach seinem schlaffen Penis und bewegte ihn hin und her, bis er eine nicht besonders vertrauenswürdige, wankende Härte erreichte. Herb Senior war ungeschickt, Magdalena hatte eine gewisse anatomische Versiertheit erwartet, aber er brauchte beide Hände, um seinen Penis einzuführen. Sie vergrub den Kopf in seiner Halsbeuge, weil sein Atem zu stark nach Whisky und Zigarren roch. Danach gingen sie beide auf die Toilette, und sie konnte ihn im Gästebad hören, wie er seine Blähungen in die Freiheit entließ. Immerhin hat er sie bis jetzt zurückgehalten, dachte Magdalena, während sie dem zähen, fadenartigen Sperma zusah, das langsam ihrem Unterleib entwich.

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      DER MANN NAMENS Klaus liebte seine Wohnung, denn dort war alles perfekt auf ihn abgestimmt. Er besaß vier Tassen, drei Gläser, sechs Teller – drei kleine und drei große. Für Schalen hatte er ein Faible entwickelt, er mochte deren Multifunktionalität, daher hatte er gleich acht Stück, alle unterschiedlich groß.

      Jeden zweiten Tag erledigte er den Abwasch, indem er zuerst das Besteck einweichte, dann die Gläser, die Teller, zum Schluss die dreckigen Töpfe und Pfannen abrieb. Danach spülte er alles gründlich ab, ließ es lufttrocknen und polierte vor dem Einräumen mit einem weichen Tuch nach.

      Er hatte einen Staubsaugerroboter, einen Handsauger und einen Staubwedel mit Teleskopstange, mit dem er sogar mühelos die Spinnweben an der Decke entfernen konnte. Sein Bodenwischer besaß einen integrierten Tank, so konnte


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