Ameisenmonarchie. Romina Pleschko

Ameisenmonarchie - Romina Pleschko


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der Umsatz in der ganzen Stadt merkbar anstieg. Das konnte sie gut, andere mit ihrer Begeisterung anstecken, heimlich führte sie genau datierte Listen und arbeitete an einer Statistik, die die kausalen Zusammenhänge zwischen ihren Produktbewerbungen und dem steigenden Umsatz dokumentieren sollte. Sie hatte den Ruf der Kosmetikspezialistin im Forum, auch wenn es einzelne missgünstige Stimmen gab, die außer Olivenöl und Nordwind nichts an ihre naturgegerbte Haut lassen wollten. Sich selbst zu verschönern wurde je nach Tagesverfassung als unlauterer Wettbewerb oder feministischer Rückschritt gesehen, aber Karin bezweifelte stark, dass die Olivenölabteilung nur einen Schritt weiter war als der Rest der Frauenwelt.

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      MAGDALENAS ERSTER IMPULS war, sich zuerst wieder in einen nüchternen Zustand zu versetzen, die gewohnte Nahrungszufuhr einzustellen und die Salami zurück in den Kühlschrank zu packen, nachdem sie das heruntergeschnittene Wurststück mit Erfolg auf verdächtige Manipulationen geprüft hatte. Sie warf es in den Mistkübel und bedeckte es zur Sicherheit mit einer Schicht zerknüllter Küchenrolle. Ein klarer Kopf denkt am besten, dachte Magdalena und fragte sich, aus welcher Werbung sie diese stumpfe Weisheit extrahiert hatte. Ihre Finger presste sie zu Fäusten zusammen, um das aufkommende Zittern zu bekämpfen.

      Sie verbrachte den Tag wie so oft vor dem Fernseher, zupfte sich hin und wieder eine schwarze Feder vom Kragen des Morgenmantels, die sie unangenehm in den Hals stach, und bemühte sich, die aufsteigende Unruhe zu unterdrücken, als sich die letzten Schleier von ihrer Wahrnehmung verzogen. Sie hörte die Autos unten auf der Straße, das laute Aufheulen der Sportwagen, wenn die Ampeln auf Grün schalteten, sie zuckte zusammen, als ein Flugzeug ihr für eine halbe Sekunde das Tageslicht raubte, während es am Dachfenster vorbeiflog. Magdalena war noch nie aufgefallen, wie oft Einsatzfahrzeuge mit eingeschalteten Sirenen an ihrem Wohnhaus vorbeifuhren, als wäre die ganze Stadt durchgehend in Nöten.

      Die Reflexionen ihres Fernsehers begannen sie zu stören, blickte sie doch immer häufiger in ihr eigenes starres Antlitz anstatt in harmonisch gecastete Familienleben. Ihr Spiegelbild störte das gewohnt behagliche Programm, es wollte ihr einfach nicht gelingen, die ersehnten klaren Gedanken zu fassen, die folgenden Stunden schmierten sich völlig ereignislos hinein in ihre jüngste Vergangenheit, und plötzlich bemerkte sie neben sich die Kontur ihres Mannes, der offenbar eben nachhause gekommen war, ungehalten vor dem Sofa mit den Füßen scharrte und mit seinen Fingern den obersten Knopf des Polohemds öffnete. Magdalena lächelte ihn an, überraschenderweise auch heute nicht unaufrichtiger als sonst, dazu zwang sie sich, während sie seit Langem einmal wieder eingehend sein Gesicht studierte, in dem der obsessive Schweinefleischgenuss der letzten Jahrzehnte eine weit verästelte Landkarte an roten Äderchen hinterlassen hatte.

      »Was bestellen wir heute zu essen, ich hätte Lust auf Paniertes«, sagte dieser Mann, der Beruhigungsmittel in Salamis einarbeitete, und ließ sich neben sie auf das Sofa fallen. Seine laute Stimme schmerzte sie in den Ohren, und sein Gewicht drückte die Sitzfläche so nach unten, dass sie zu ihm zu rutschen drohte.

      »Wollen wir Schnitzel bestellen«, fragte er und Magdalena zuckte mit den Schultern. Ihr Kopf dröhnte und sie fand es erschreckend, dass ihr der Gedanke kam, zum Kühlschrank zu gehen und ein bescheidenes Stück von der Salami zu essen. Ein klitzekleines Stück würde wahrscheinlich gar keinen Unterschied machen, aber Magdalena wusste sich zu beherrschen.

      DER MANN NAMENS Klaus sah immer, bevor er die Wohnung verließ, exakt fünf Minuten lang durch seinen Türspion, in der Hoffnung, Karin von gegenüber im Stiegenhaus anzutreffen. Meistens hatte er kein Glück, aber wenn doch, dann erlitt er einen kurzen Schock, bevor er schwungvoll die Tür aufriss und einen lauten, auf die Tageszeit abgestimmten Gruß aussprach. Diesen kurzen Schock konnte er etwas abmildern, indem er Karin nicht beim Nachhausekommen, sondern beim Verlassen der Wohnung erwischte. Denn das konnte man einige Sekunden vorab voraussagen anhand der durch ihre Pumps verursachten Erschütterungen, die den grünen Plastikkranz leicht zum Zittern brachten, der seit Weihnachten seine LED-Lichter an ihrer Wohnungstür absterben ließ, und konnte sich mental auf die Begegnung vorbereiten. Der Mann namens Klaus mochte alles an Karin, ihre rotblonden Haare genauso wie die starken Sommersprossen, die sich über ihren ganzen Körper verteilten, zumindest malte er sich das (in seinen Tagträumen) so aus. Sie hatte sich damals bei ihrem Einzug persönlich bei ihm vorgestellt, was ihn beeindruckt hatte, denn den Rest der Hausbewohner kannte er nur vom Sehen, da war niemand an näherer Bekanntschaft interessiert.

      Leider war der Kontakt danach eingeschlafen, nur einmal hatte sie ihn noch in ihre neu eingerichtete Wohnung zum Kaffeetrinken eingeladen. Er wollte lieber Pfefferminztee, sie hatte keinen vorrätig, die Unterhaltung verlief schleppend und wurde immer wieder durch ihre vorlaute kleine Tochter Helene gestört.

      »Warum hast du oben auf deinem Kopf nur mehr so wenige Haare?«, hatte Helene gefragt und ihr hinterhältiges Grinsen ließ den Mann namens Klaus davon ausgehen, dass dieses kleine Mädchen offenbar ein gesteigertes Interesse daran hatte, ihn vorzuführen.

      »Geh, Helene, du weißt genau, warum. Der Salzburg-Opa hat dir das doch erklärt!«, hatte Karin lachend geantwortet. Der Mann namens Klaus lachte herzlich mit.

      Er nahm zur inneren Beruhigung einen Schluck aus seinem Wasserglas, während Karin ihren Laptop öffnete und ein Zeichentrickvideo startete, um Helene ruhigzustellen. Auf ihrem Bildschirm konnte er den Namen des Familienforums erkennen, in dem er sich vor Jahren einmal aus Langeweile und anderen Gründen angemeldet hatte. Er wurde rot.

      Karin erzählte vom anstrengenden Umzug nach Wien, ihrer Familie in Salzburg und ihrem ebenfalls dort ansässigen Ex-Mann, der ihren Mercedes von 50 000 auf 30 000 Euro Fahrzeugwert heruntergefahren und ihn ihr schlussendlich nach längerem Streit um 8000 Euro abgekauft hatte. In Raten. Aber sie sei so froh gewesen, diesen Versager aus ihrem Leben streichen zu können, dass sie sogar das in Kauf genommen hatte. Der Mann namens Klaus war enttäuscht von einer dermaßen durchschnittlichen Lebensgeschichte und Autowahl. Heimlich zählte er ihre Sommersprossen und stellte sich das Muster vor, das sie unter ihrer Kleidung ergeben mochten. Karin wurde langsam unruhig und gab einen Termin vor, um das Treffen zu beenden. Er kannte das, darin hatte er Übung. Leute, die einen loswerden wollten, beschleunigten ihre Bewegungen und stellten gleichzeitig den Blickkontakt fast gänzlich ein. Karin schob die Gläser auf dem Sofatisch zusammen und wischte ein paar Brösel auf den Fußboden. Egal, dachte er, ich krieg dich schon noch.

      Wieder zuhause loggte er sich sofort in das Familienforum ein und begann zu recherchieren, welche der Nutzerinnen Karin sein könnte. Er sondierte nach Alter, Wohnort, Kinderanzahl. Er durchforstete das Alleinerzieherinnen-Unterforum und wurde fündig. Vor einiger Zeit hatte sich tinkerbell erkundigt, wie man frisch zugezogen nach Wien möglichst schnell einen Kindergartenplatz bekommen konnte. Mit klopfendem Herzen klickte er auf tinkerbells Profil und fing an, ihre hundert letzten Beiträge zu überfliegen. Bingo. Sie hatte eine Tochter mit einem wunderschönen dreisilbigen klassischen Vornamen, einen schrecklichen Ex-Mann, viel Ahnung von Salzburgs Gastronomieszene und sie empfahl aufdringlich häufig eine spezielle Sonnencreme mit LSF 50 für empfindliche Haut, die stark zu Sommersprossen neigte. Seine Finger zitterten und er bemerkte erst jetzt, dass er seine Hemdsärmel fast bis zum Ellenbogen hinunter vollgeschwitzt hatte.

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      HERB JUNIOR HATTE Georg erst verlassen, nachdem er sich sicher war, mit der Krankheit nicht länger umgehen zu können. Ihre Unheilbarkeit verleidete ihm das Zusammenleben, die immer schlimmer werdenden Schübe raubten ihm den hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. Herb Junior war kein Unmensch, aber er hatte sich selbst verloren in dieser Liebesbeziehung, als komplett gesundem Menschen fiel es ihm einfach schwer, sich in Georgs kränkelnde Welt einzufühlen. Lange Zeit überlagerte Georgs künstlerische Potenz sein Siechtum, Herb Junior hatte ihn von Anfang an bewundert für seine Vielseitigkeit. Georg hatte Schauspiel studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen, aber nicht nur auf der Bühne machte er eine gute Figur, er schrieb auch Theaterstücke, bisher zwei, um genau zu sein. Das erste war ein Sermon über die zerstörerische Langeweile der Wohlstandsgesellschaft und wurde im Feuilleton nur deswegen verrissen, weil die Kritiker das


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