Ameisenmonarchie. Romina Pleschko
kein Problem, und alle notwendigen Besorgungen verlegte sie in gut besuchte Supermärkte und das Internet. Der Paketbote glaubte fest an ihre Gehörlosigkeit, dies wurde Magdalena mit Scham bewusst, als er die ersten Zeichen in Gebärdensprache an ihr versuchte. Zu Weihnachten gab sie ihm immer einen größeren Geldschein, denn er hatte wirklich viel zu schleppen für sie, das ganze Jahr über.
Arztbesuche stellte sie zur Gänze ein, sie war ohnehin nie ernsthaft krank, und für ihren Reizdarm stellte sich das Dauerschweigen sogar als probate Therapie heraus. Einmal brach ihr ein Stück Zahn ab, als sie in eine Salamischeibe biss, da erwog sie kurz einen Termin beim Zahnarzt, gab sich aber schlussendlich damit zufrieden, den verbliebenen halben Eckzahn mit einer Nagelfeile stumpf zu feilen.
Magdalena kam gut zurecht.
ER HATTE MAGADALENA durchaus lange beobachtet, empirische Studien zu ihrem Gemütszustand angestellt, bevor er anfing, sie zu sedieren, da konnte sich Herb Senior nichts vorwerfen. Es fiel ihm nämlich schon nach wenigen Jahren zunehmend schwerer, ihre Malereien so überschwänglich zu kommentieren, wie sie es sich wünschte. Die Leidenschaft und Schonungslosigkeit, die jedem einzelnen ihrer zu Tode gedachten und zögerlich ausgeführten Pinselstriche fehlten, verlangte sie vehement von ihrem Ehemann. Magdalena fragte »Und wie findest du es?« in einem Tonfall von ausgesucht gefährlicher Belanglosigkeit, um sofort in einen lauernden Modus überzugehen, in dem sie jede Regung, jedes Fingerknacken, jedes nervöse Anspannen der Gesäßmuskulatur sofort registrierte und für die spätere Diskussion archivierte. Herb Senior bemühte sich, leise zu denken, überhaupt zu denken, wenn er auf die Leinwand starrte und nicht das geringste Gefühl zu dem dort Abgebildeten entwickeln konnte. Er wusste, er hatte ein Zeitfenster von höchstens dreißig Sekunden, um sich eine fundierte Expertise zurechtzulegen, die grell eingefärbt sein musste von einer noch nie dagewesenen Begeisterung, zumindest im Vergleich zur Vorgängerkritik.
Herb Senior hatte den Zenit seines natürlichen Vokabulars recht schnell überschritten gehabt, er sammelte deswegen heimlich Ausstellungskataloge und Bildbände berühmter Künstler in seiner Praxis, um kurz zwischen zwei Krebsabstrichen die enthusiastischsten Lobesworte mit gelbem Leuchtmarker hervorzuheben und auswendig zu lernen. In diesem Sammelsurium der Kunstkritik fand er ganz wunderbare Einzelstücke, Magdalena staunte nicht schlecht, wenn er der kühlen Harmonie der Farben eine universelle Sinnbildlichkeit zusprach oder beeindruckt von der stabilen unzweideutigen Komposition der Formen eine gewisse Simultanität der Seelenzustände im Kunstwerk entdecken konnte. Freilich musste Herb Senior aufpassen, dass er verbal nicht zu sehr abhob und Magdalena misstrauisch wurde, aber er dosierte seine Wortfunde mit Bedacht und mischte sie so unbemerkt unter die begleitende naive Begeisterung wie später die Beruhigungstabletten in die Fettaugen der Salami.
Einmal ausgesprochen entschied die Kritik ihrer Bilder über die Stimmungsausrichtung seines Privatlebens. Lag er daneben, berührte er einen der hochempfindlichen Schwachpunkte Magdalenas, etwa die leichte Schwäche im dreidimensionalen Raum, zog innerhalb der nächsten Stunden eine Stickigkeit in die Wohnung ein, der man mit nichts, auch nicht mit Dauerlüften beikommen konnte.
Die Kinder hatten diese Dynamik allein durch ihre Anwesenheit unterbunden, und deren täglich aufs Neue entzückenden Aufmachungen zu kommentieren fiel Herb Senior um vieles leichter, ja es kam sogar von Herzen, so dankbar war er den Kleinen nur für ihre Existenz. Auch als sie älter wurden und keine mütterliche Dauerpräsenz mehr einforderten, fand Magdalena nicht zurück zur Malerei und Herb Senior war sich irgendwann nicht mehr sicher, ob er froh darüber bleiben sollte. Sie entwickelte in diese Lebenszäsur hinein einen ästhetischen Perfektionismus, der seinesgleichen suchte, und lebte diesen rein im Häuslichen aus, was zur Folge hatte, dass die Kinder früh ganztägig ausblieben. Magdalena bestand darauf, dass Schuhbänder nur im Inneren der ausgezogenen Schuhe gelagert werden durften, überprüfte jeden Tag die Ordnung der Bücher im Bücherregal und entwickelte eine obsessive Beziehung zu Reinigungsmitteln aller Art. Dieser Perfektionismus steigerte sich zu einer Hysterie, die in Schüben auftrat und Herb Senior sofort unerträglich wurde. Magdalena neigte zu Kreischanfällen und Gewaltausbrüchen, was ihn insofern beunruhigte, da er die Schalldämmung in der Wohnung für höchstens durchschnittlich hielt und Angst vor externen Reaktionen und Peinlichkeiten hatte. Trotzdem brauchte er ein paar Jahre, bis er die zügig aufgekommene Idee, seine Frau ruhig zu stellen, in die Tat umsetzte. Herb Senior war kein impulsiver Mensch und davon ausgegangen, auch keinen ebensolchen geheiratet zu haben.
»WIE KANN ICH Ihnen behilflich sein?«, fragte Karin lächelnd und verstaute heimlich ihre Trinkflasche unter dem Verkaufstresen.
Heute hatte sie schon guten Umsatz gemacht, eine Ukrainerin war schlecht gelaunt zum Counter gekommen und hatte nach ausgiebiger Beratung diesen auch wieder schlecht gelaunt verlassen, am Arm achtlos baumelnd eine lackglänzende Tragetasche gefüllt mit Gesichtspflege im Wert eines zweiwöchigen Skiurlaubs. Karin fragte sich, ob die schlechte Laune der meisten Ostfrauen darauf zurückzuführen war, dass sie sich der Klischees über sich schmerzlich bewusst waren. Niemand sonst unter sechzig würde sich in Wien noch trauen Pelz zu tragen, ohne andauernd »Der ist geerbt und es wär schad drum« oder »Ist natürlich nicht echt, wirklich« in jeden Smalltalk einzuflechten, gerne in einer Lautstärke, dass das nähere Umfeld gleich Bescheid wusste, die Farbbeutel wieder in die Rucksäcke packte und es bei finsteren Blicken beließ. Die meisten Ostfrauen hatten diesen übertriebenen Zugang zu ihrer Weiblichkeit, fand Karin. Sie kauften leidenschaftlich gerne Dior Make-up, ebenso wie alle Transvestiten und gehobenes Personal aus dem Rotlichtmilieu, denn Dior sparte nicht mit Glitzerpartikeln, und so ein glitzernder Kussmund mit glitzerndem Augenzwinkern konnte sehr praktisch sein, wenn man erlegt werden wollte, es garantierte zumindest für einen kurzen Zeitraum die ungeteilte Aufmerksamkeit des Jägers. Karin war ein bisschen neidisch auf diesen pragmatischen Umgang mit der Männerwelt, sie selbst bekam von Glitzerpartikeln im Lipgloss sofort aufgesprungene Lippen, und blutiger Schorf versprühte leider nur Kadavercharme, das war ihr bewusst.
»Ich bin auf der Suche nach einem neuen Parfum«, sagte Herb Junior und stellte etwas angewidert fest, dass die vielen Sommersprossen der Verkäuferin im Neonlicht aussahen wie eine Krankheit.
»Es sollte nichts Blumiges sein, zumindest nicht in der Kopfnote.«
Karin lächelte.
»Ausgezeichnet, da finden wir sicher etwas Schönes für Sie, eine blumige Kopfnote ist ohnehin nicht wahnsinnig gefragt bei Herrendüften, ich hätte hier ganz neu Mandarino di Amalfi von Tom Ford, das entfaltet sich auf der Haut sehr subtil, frisch zitronig, es ist angereichert mit Estragon, Basilikum und Minze und erst zum Schluss wird es in der Herznote etwas blumig mit Jasmin und Orangenblüte.«
»Das klingt gut. Wer möchte nicht um viel Geld riechen wie ein klassisches Balkonkräuterkisterl«, sagte Herb Junior und lachte.
Karin lächelte.
»Vielleicht darf ich Ihnen eine Probe mitgeben, dann können Sie in Ruhe entscheiden, ob der Duft Ihnen zusagt.«
»Vielen Dank, wie nett, sehr gerne. Ich schau mich noch ein bisschen um, wenn das in Ordnung ist.«
Karin lächelte und rückte ihr Halstuch zurecht.
Irgendwoher kannte sie den Mann, aber ihr fiel nicht ein, woher. Es war auch nicht weiter von Bedeutung, denn nach Lipgloss jagte der ganz offensichtlich nicht.
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