Ameisenmonarchie. Romina Pleschko

Ameisenmonarchie - Romina Pleschko


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Nichts konnte er finden, gar nichts, auch wenn er noch so sehr in die Augen zoomte, zuhause am Computer.

      Als er sich unter falschen Angaben im Elternforum registrierte, wusste er nicht genau, was er sich davon eigentlich versprach. Er folgte mehr einem Gefühl, denn ihm war warm geworden beim Durchlesen der öffentlich sichtbaren Beiträge über strapazierte Paarbeziehungen, übergriffige Schwiegermütter und Kinder, die partout nichts Besonderes sein wollten. Es war zwar nicht zu vergleichen mit den frischen Models, aber es gab bei jeder Jungmutter diesen Punkt, an dem ein Teil ihres früheren Ichs zerbrach, und für manche war das mit seelischen Schmerzen verbunden, die der Mann namens Klaus liebevoll herausfilterte und separat abspeicherte. Er hatte einen Ordner mit Beiträgen angelegt, die ihn in ihrer offensichtlichen Darstellung von Verletzlichkeit anzogen. Sie waren ganz unterschiedlich, stilistisch und thematisch weit gestreut, von derben Flüchen über die magersüchtige Schwägerin bis hin zum gutbürgerlich verzweifelten Festklammern am Grundrezept der einzig wahren Pasta asciutta, aber sie hatten alle gemein, dass er aus ihnen eine tiefe Verzweiflung und Unsicherheit erspüren konnte. Manchmal mischte er sich unter die Antwortenden, provozierte ein wenig und versuchte, die Verzweiflung zu steigern, was ihm fast immer misslang, da die Nutzerinnen dann sofort dichtmachten und die feinen unschuldigen Nuancen in wüsten Beschimpfungen untergingen.

      Von tinkerbell hatte er tatsächlich schon einmal einen Beitrag abgespeichert. Das war drei Jahre her und er fand diesen Zufall so gelungen, dass sein Innerstes gleich noch ein Stück näher zu Karin rückte.

       hallo zusammen, tut mir leid, dass ich mich so lange nicht mehr hier gemeldet habe. ich kämpfe zur zeit mit meinen gedanken und muss alles auf die reihe bekommen. am wochenende hat mir mein mann gebeichtet, dass er mich drei mal mit seiner arbeitskollegin betrogen hat. ich kenne die frau nicht. einmal auf einer firmenfeier, angeblich eine b’soffene g’schicht. dann ist er mit ihr fortgegangen, hat mir aber erzählt, dass er arbeitskollegen trifft. und das dritte mal ist er mit ihr auf urlaub in die steiermark gefahren, sogar über unseren hochzeitstag, den hatte er nämlich vergessen. mir hat er gesagt, dass er auf geschäftsreise muss. ich bin so traurig und wütend, diese lügen sind für mich am schlimmsten. unsere tochter ist dreizehn monate alt und eigentlich wollten wir demnächst anfangen, an einem geschwisterchen zu basteln. dieser mann hat mich so verletzt und ich liebe seine guten seiten noch immer. es ist, als hätte man mich vor einen lastwagen gestoßen, und jetzt liege ich da, habe es überlebt und weiß nicht, was genau alles verletzt ist, weil ich mich nichts zu bewegen trau vor lauter angst.

      Das hatte also Karin geschrieben, die Karin, deren Sommersprossen er am liebsten zu Sternbildern verbinden würde. Der Mann namens Klaus war begeistert.

      NIEMANDEM WAR AUFGEFALLEN, dass Magdalena kein Wort mehr sprach, diese Situation hatte sich vor einigen Jahren einfach so ergeben. Im Gegenteil, die Tatsache, dass aus ihrem Körper kein Laut drang, wirkte regelrecht organisch. Zuerst sprach sie immer weniger und das Wenige langsamer, sie zerdehnte die Worte, verschiedenste Tonlagen mischten sich in einen einzelnen Satz, ähnlich einer Sprechpuppe mit schwachen Batterien. Das war Magdalena peinlich, sie begann, ihre Besorgungen online zu erledigen, da sie sich auf den Klang ihre Stimme nicht mehr verlassen konnte. Sie kratzte im Hals wie ein Fremdkörper, und Magdalena mochte es nicht, wenn sie andere Menschen irritierte. Jedes Aufnehmen einer noch so kleinen Konversation verursachte ihr einen stechenden Schmerz in der Kehle. Dieser Zustand dauerte nicht lange, denn plötzlich begannen ihr einzelne Wörter abzureißen, mittendrin beim Aussprechen, ein Knick und sie wurden porös, verloren jegliche Aussagekraft.

      »Gibst du mir die Butt–«, sagte Magdalena eines Sonntagmorgens beim Frühstück und Herb Senior reichte ihr die Wochenendbeilage der Tageszeitung.

      »Du musst den Immobilienteil lesen, ich bin ja schon seit Ewigkeiten der Meinung, dass wir in Vorsorgewohnungen investieren sollten. Mikroapartments sind die Zukunft, jetzt kann man damit noch richtig hohe Renditen erzielen, bevor alle anderen auch auf die Idee kommen.«

      Herb Senior nahm einen Schluck Kaffee. Auf seiner Lieblingstasse war ein grauer Hirsch aufgemalt. Ein alterndes Alphatier, niedergedrückt vom Gewicht seines Geweihs, dachte Magdalena und fand, dass das Denken komplett unterbewertet wurde. Sie nahm die Butterdose, die Dose klapperte, sie schnitt ein viel zu großes Stück von der Butter ab und beschloss, das Reden endgültig einzustellen.

      ES WAR NICHT so, dass Herb Senior nicht früh bemerkt hätte, dass seine Frau zu einer unerklärbaren Antriebslosigkeit neigte, regelmäßig unterbrochen von hysterischen Schüben, er hatte diese Eigenschaften sogar fast anziehend gefunden, solange sie noch nicht jeden Bereich seines sozialen Lebens durchsetzten. Die beiden Kinder hatten sie zwar wie erhofft knapp zwei Jahrzehnte in der häuslich repräsentativen Spur gehalten, aber je unabhängiger sie wurden, desto mehr zog sich Magdalena zurück. Manchmal verließ sie das eheliche Schlafzimmer wochenlang nur für ihre Grundbedürfnisse. Herb Senior entdeckte in diesen Phasen die schwarzen Federn ihres Morgenmantels ausschließlich im Badezimmer und vor dem Kühlschrank, in dem hauptsächlich die Wurstwaren fehlten, seltener etwas Milch. Sie ernährte sich von Wasser und Wurst, hauptsächlich italienischer Stangensalami. Sie ernährte sich auch von den Tabletten, die Herb Senior regelmäßig pulverisierte und in die Fettaugen der Salami strich. Dazu höhlte er diese aus, vermengte die weiße Masse mit dem Pulver und strich sie wieder zurück in die Wurst, wie ein Maler, der Bohrlöcher verspachtelte. Er wollte mit den Beruhigungsmitteln der Hysterie entgegenarbeiten, die von der Gattin regelmäßig Besitz ergriff und der er hilflos gegenüberstand, denn Gewalt war keine Lösung.

      Einmal hatte sie mit Spaghetti geworfen, kreischend mit der ganzen Hand in die Schüssel gegriffen und einen Strauß sich schlängelnder, soßenspritzender Nudeln an die Wand geschleudert. Herb Senior musste ihr die Brandblasen auf der Handinnenfläche versorgen und das Esszimmer neu ausmalen lassen, noch Wochen später fand er in der Zimmerpalme zu grotesken Formen getrocknete Nudelgebilde und er beschloss, sich und seiner Frau das Zusammenleben angenehmer zu gestalten. So besorgte er sich Beruhigungsmittel und machte nicht den Fehler, Magdalena zur Einnahme überreden zu wollen.

      Er wusste natürlich, dass sein Verhalten falsch war, er nahm das zumindest an aufgrund der Tatsache, dass er mit niemand darüber sprechen mochte. Die Tabletten mischte er nur wenn Magdalena schlief in die Salami, scheinbar heimlich, auch wenn er vor sich selbst dabei gerne eine gewisse Leichtigkeit bewahrte und aus dem Mörser springende Tabletten mit einem »Na, du widerspenstiges Scheißerchen!« bedachte. Ein wahrer Bösewicht würde wohl nicht so locker kommunizieren, sondern im Halbdunkel agieren, mit verschlagen zusammengekniffenen Augen.

      Auch sah Herb Senior sein Handeln fast altruistisch motiviert, denn bloß weil er die positiven Aspekte der Sedierung durchaus genoss, musste das nicht die zugrundeliegende Absicht der Besänftigung seiner Gattin abwerten. Magdalena war unter behutsamer Medikation viel umgänglicher, er mochte diese feminine Weichheit in ihrem Gesichtsausdruck, wenn die Wirkung der Tabletten ihren Höhepunkt erreichte. Kein skeptisches Hochziehen der Augenbrauen mehr, kein nervöses Herumrutschen auf dem Sofa, wenn er von Patientinnen erzählte, sondern die völlige Hingabe als Zuhörerin, das wusste Herb Senior sehr zu schätzen. Selbst ihre Zornesfalte profitierte von der Ruhigstellung, sediert sah Magdalena um Jahre jünger aus, wie er zufrieden feststellte.

      NICHT MEHR ZU sprechen schränkte Magdalena im Alltag weitaus weniger ein, als sie angenommen hatte. Nachdem der kalte Buchstabenentzug überstanden war, sie nicht mehr bei jeder Aufregung gurrende Laute oder gar eine Silbe produzierte, die Sprache in ihrem Kopf blieb, dort, wo sie hingehörte, war es, als hätten sich längst schon alle anderen daran gewöhnt. Herb Senior hielt weiter ungestört seine Monologe über medizinische Ethik im östlichen Ausland und wenn er hin und wieder persönlich wurde, sich etwa in Erinnerungen an ihre Anfangsjahre verlor, dann sprach er, so organisch, als wäre es nie anders gewesen, auch ihren Part mit, und Magdalena blieb nichts anderes übrig als zu nicken. Sie perfektionierte den Vorgang des Kinnhebens und Kinnsenkens, sodass sie damit unzählige unterschiedliche Aussagen auszudrücken vermochte. Ganz langsam und sachte ausgeführt bedeutete er sogar ein Kopfschütteln, aber dazu musste man Magdalena gut kennen.

      Herb Junior war anfangs verwirrt gewesen, hatte öfter nachgefragt, ob alles bei ihnen in Ordnung sei, woraufhin sie einfach nur lächelte und


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