Ameisenmonarchie. Romina Pleschko
hatte. Herb Junior musste wochenlang seine schlechte Stimmung und einen heftigen Krankheitsschub ertragen.
Georg schlief mit dem Hauptdarsteller des Stückes, weinte danach und erklärte seine Sexsucht wiederholt zum Fluch seines Lebens. Ein nicht zu überwindendes Martyrium sei diese Suche nach dem Neuen, nach dem schnelleren Puls. Und so leer fühle man sich danach. Ausgelaugt, verbraucht und beschämt. Aber er brauche das, als Künstler habe man ja die Verpflichtung, nicht zu stagnieren, Erfahrungen zu sammeln wie andere Bonuspunkte im Drogeriemarkt.
Sein zweites Stück wurde immerhin ein mäßiger Erfolg, da der verantwortliche Theaterintendant, ein väterlicher Gönner aus Georgs schauspielerischen Anfängen, von der Krankheit wusste und Mitleid mit ihm hatte. Er inszenierte das Stück gemeinsam mit Georg. Herb Junior saugte nach manchem Konzeptionsgespräch der beiden Künstler schluchzend mittellange graue Haare von seinem eigenen Kopfpolster.
Das Stück war provokant futuristisch, wurde dezent beklatscht und gespalten rezensiert. Es handelte von einem Altnazi, der im Pflegeheim seine letzten Jahre absitzend noch einen zweiten Frühling erleben darf, als er sich unsterblich in seinen Pflegeroboter verliebt, besprochen von Chris Lohner. Georg bezeichnete das Stück als vergangenheitsbewältigende Technologisierungskomödie, Herb Junior mochte in erster Linie den Klang der Stimme Chris Lohners, wenn sie »Die Fleischlaberl sind klein gemacht, keine Sorge. Ich hole Ihnen einen Bekleidungsschutz, Herr von Eberstein!« hauchte.
Die Trennung war überraschenderweise ganz ohne Dramen abgelaufen, denn Georg hatte exakt an dem Tag, an dem Herb Junior seine Sachen packte, die seltene Gelegenheit bekommen, für einen Moderationsjob vorzusprechen. Er bekam den Vertrag sofort und von nun an musste Herb Junior ihn jedes Wochenende ertragen, wenn er die Kugeln der Lottoziehung durcheinanderwirbeln ließ.
Sonntags war Herb Junior oft bei seinen Eltern eingeladen, sah sich nach den Nachrichten gemeinsam mit Herb Senior die Ziehung der Lottozahlen an und hörte von ihm jedes Mal einen fast wortidentischen Vortrag über die Dummheit der Massen, die auf diese Art Reichtum hofften, während er daran dachte, wie Georgs Freunde ihn wohl hänseln würden wegen der fliegenden Bälle. Herb Junior lief eine Gänsehaut über den Rücken, wenn er sich seinen Vater und Georg in einem Raum vorstellte. Die beiden hätten sich auf Anhieb gehasst, so viel stand fest. Der gelangweilt moderierende Georg war ihm viel zu präsent im Wohnzimmer, insgeheim wartete Herb Junior darauf, dass er nach »Und jetzt zur Zusatzzahl« einmal seelenruhig »Übrigens, mein Ex ist Frauenarzt und sein Vater hat keine Ahnung, dass er auf Männer steht« in die Kamera sprechen würde. Dieser Nervenkitzel verflog nie, auch längere Zeit nach der Trennung nicht.
HERB SENIOR WOLLTE dringend noch einen Kaffee trinken, bevor er sich bereit fühlte für den ersten Ultraschall des Tages, er ging am Wartebereich vorbei und grüßte freundlich in die hoffnungsvolle Runde unterschiedlich dick angeschwollener Bäuche. Herb Junior war schon da, er sah schrecklich aus und verschwand gerade im CTG-Raum im hinteren Teil der Praxisklinik. Der Sohn war viel größer als er, von Natur aus schlank, hatte die besten Voraussetzungen für die optische Komponente seines Berufs und füllte dennoch seinen Arztkittel mit der unglückseligen Mischung aus einer nicht vorhandenen Körperspannung und nach vorne hängenden Schultern. Heute sah er besonders niedergeschlagen aus, ein wenig so, als hätte er geweint, wahrscheinlich nutzte er die frühmorgendliche Ruhe im CTG-Raum, um sich zu sammeln. Herb Senior fand diese Vorgehensweise vernünftig und freute sich, dass sein ausbleibender Impuls, mit dem Sohn in Kontakt zu treten und dessen Befinden zu erfragen ganz wunderbar mit der rationalen Entscheidung korrespondierte, dass es besser wäre, ihn das selbst regeln zu lassen.
Am liebsten sprach er mit ihm über Randthemen der Lokalpolitik, wie die schreckliche Verschmutzung der Gehwege durch Hundekot. Da waren sie sich einig und Herb Senior stolz darauf, dass sein eigener Widerwille gegen jegliche Art von Haustieren auf den Sohn abgefärbt hatte. Es war befriedigend, den Hundehass dynastisch weiterzugeben, zu oft wurde das Stadtbild vom manischen Hang der Bevölkerung zur Tierhaltung gestört. Ebenso anregend konnten sie über die unterschiedlichen Möglichkeiten debattieren, wie konkret mit überraschendem Reichtum umzugehen wäre. Während Herb Senior mehr zu Immobilien und Edelmetallen, also einer wertbeständig konservativen Anlage, tendierte, neigte der Sohn in erster Linie zur Erfüllung seiner persönlichen Träume, wie zum Beispiel einer luxuriösen Weltreise, die hauptsächlich in Edelresorts in der Südsee stattfinden sollte. Herb Senior konnte diese kleine Diskrepanz akzeptieren, man war schließlich nur einmal jung.
Er stellte seinen Kaffee zu schwungvoll auf dem Schreibtisch ab und suchte in der Schublade nach einem Taschentuch, um das Verschüttete wegzuwischen. Das nasse Taschentuch warf er gleich in den Mistkübel, denn als hauptsächlich weiß gekleideter Mann hatte er eine Aversion gegen jegliche Art von potenziellen Fleckenverursachern. Sein Blick fiel auf die Familienfotos, die im Regal Staub ansetzten. Zwei Kinder, Sohn und Tochter, und eine Frau, schlank und gut aussehend, kaum gealtert. Herb Senior versuchte, es sich warm ums Herz werden zu lassen, aber wenn er ehrlich war, stach ihm nur der unglaublich lächerliche Haarschnitt seines Sohnes in die Augen. Magdalena mochte er gar nicht allzu genau ansehen, sie hatte die Eigenheit, auf Fotos immer irgendwie vorwurfsvoll die Augenbrauen hochzuziehen. Diesen speziellen Blick glaubte er in letzter Zeit auch in natura an ihr wahrgenommen zu haben und er hatte keine Lust, sich in der Praxis unbehaglich zu fühlen. Er drehte den Rahmen mit dem Gesicht zur Regalwand und rückte das Foto der Tochter ein wenig nach vorne. Zumindest Greta schien es gut zu gehen in Stockholm, sie hatte seit Längerem nicht mehr nach Geld gefragt.
Weil er schon davorstand, öffnete er die Tür.
»Frau Egger, bitte.«
Er schüttelte einer Hochschwangeren die Hand und spürte die Wassereinlagerungen in deren Fingern. Die Tür zum CTG-Raum war immer noch verschlossen.
KARIN WAR NOCH nicht lange genug ohne Partner, um in dem Mann namens Klaus eine ernsthafte Option zu sehen. Sie hatte sein Interesse durchaus bemerkt, es wohlwollend abgespeichert und würde im Bedarfsfall darauf zurückkommen. Objektiv betrachtet war er keine schlechte Wahl, zumindest durchschnittlich attraktiv, nicht fettleibig, seine Zähne waren zwar leicht gelb, aber wenigstens Originalbestand. Nichts, was man nicht mit ein paar Bleaching-Streifen hätte beheben können. Das buschige Seitenhaar über seinen Ohren müsste man natürlich streng einkürzen und etwas ausdünnen, denn durch den Wildwuchs wurde die Glatze unvorteilhaft betont. Vielleicht wäre die beste Lösung, die Haare überhaupt alle millimeterkurz abzurasieren und mit einer markanten Brille, auf keinen Fall randlos, einen Akzent in die Gesichtsmitte zu setzen. Mit einem derart bebrillten Mann konnte man sich schon blicken lassen, das sah nach einem Werber, einem Architekten, einem Selbstständigen aus. Auf jeden Fall nach einem Mann, der theoretisch sehr erfolgreich sein könnte.
Seine Kleidung müsste man komplett entsorgen, denn er hatte einen unglücklichen Hang zum modischen Pragmatismus, seine Hosen wurden rein aus Notwendigkeit von Gürteln oben gehalten, weil er so viele Sachen in den zahlreichen Seitentaschen transportierte. Es sah aus, als würde er ständig seinen halben Hausrat mit sich herumschleppen. Karin mochte Männer in Anzügen, schmal geschnitten, mit weißem Hemd und ohne Krawatte. Wahrscheinlich stünde so ein Anzug dem Mann namens Klaus hervorragend, denn er hatte zumindest eine stattliche Körpergröße, war locker fünfzehn Zentimeter größer als Karin, sie hatte innerlich ihr Schuhregal durchforstet und zufrieden festgestellt, dass ihre höchsten Absätze dreizehn Zentimeter maßen. Karin bezeichnete sich zwar gerne als emanzipiert, aber über ihren Partner hinauszuwachsen, dazu war sie doch nicht bereit.
Sie lag in ihrem Bett und konnte nicht einschlafen, ihre Beine pulsierten von einem anstrengenden Tag am Counter, Helene hatte schlecht geträumt, war plötzlich mit schweißnassen Haaren und der Frage, ob es denn irgendwo noch fleischfressende Dinosaurier gab, vor ihr gestanden und lag jetzt im großen Bett, jede aufkeimende Schläfrigkeit Karins mit einem Tritt in ihre Rippen oder Halsbeuge vertreibend. Sie rotierte im Bett wie ein Uhrzeiger und änderte ihre Position immer so ruckartig, dass sie Karin dabei fast einmal die Nase gebrochen hätte.
Helene war ein Problem. Das konnte sich Karin nicht schönreden, seit sie ein Kind geboren hatte, waren ihre Möglichkeiten auf dem freien Markt drastisch gesunken. Die Männer, die sie hätte kennenlernen können, waren entweder selbst gebunden oder nicht interessiert an