Ameisenmonarchie. Romina Pleschko

Ameisenmonarchie - Romina Pleschko


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Fragen und lachte dafür zu wenig. Früher hatte sie diese störenden Eigenschaften gut kaschiert mit entzückenden Flechtfrisuren, aber mittlerweile war schon schlichtes Frisieren am Morgen ein Drama.

      Der Mann namens Klaus hatte den entscheidenden Vorteil einer eigenen Wohnung direkt gegenüber. Trotzdem, er war eigenartig, ein Starrer, ein Kaffeeverweigerer, kein Naturtalent im Umgang mit Kindern. Karin beschloss, mit dem realen Umstyling zuzuwarten und sich noch Zeit zu geben. Eineinhalb Stunden später schlief sie endlich ein, um gleich wieder von Helene geweckt zu werden, die weinte, weil sie aus dem Bett gefallen war.

      MAGDALENA LAG IM Bett und dachte daran aufzustehen. Ganz fest dachte sie daran und war enttäuscht, dass es dadurch nicht von selbst passierte. Sie müsste nur die Decke zurückschlagen, die kühle Luft an ihren nun ungeschützten Beinen ertragen und die Füße auf den kalten Boden stellen. Sie müsste diese Kälte ausblenden und stoppen, bevor sie das Herz erreichte. Sie müsste einen Fuß vor den anderen setzen, links zuerst, wie es ihrer gesamten Polung entsprach, und den leichten Schwindel ausgleichen, ohne sich an der Wand abzustützen. Sie würde das Schlafzimmer verlassen und die Luft draußen atmen, die unverbrauchte Luft, die ihr in den Kopf schießen würde. Sie würde sich gegen die Gedanken wehren, die unweigerlich auftauchten, wenn der Kopf belüftet wurde.

      Magdalena drehte sich um, mit Schwung, langsam war es nicht mehr möglich, denn sie lag immer an derselben Stelle des übergroßen Bettes und hatte eine tiefe Mulde in die Matratze gedrückt. Ein kalter Luftschwall kroch unter die Bettdecke und erwärmte sich sofort auf das Angenehmste. Den Körper einmal gewendet sah die Welt gleich ganz anders aus. Magdalena schnupperte an ihrer Schulter, sie würde wohl nie aufhören nach Säugling zu riechen, und dieser Geruch begleitete sie in einen unruhigen Schlaf.

      Im Traum wanderte sie an der Seite eines recht ungeduldigen Pagen durch ein beeindruckendes altes Hotel, Jugendstil höchstwahrscheinlich, das völlig unpassend mit hochmodernen riesengroßen Panoramafenstern ausgestattet war, die wie gläserne Wunden auf Scheußlichkeiten der Industrie, auf Lagerhallen, Müllhalden in Hinterhöfen und Verladestationen zeigten. Magdalena wanderte von Stockwerk zu Stockwerk, in der immer verzweifelteren Erwartung, endlich ein schön beleuchtetes Städtepanorama präsentiert zu bekommen, und stellte sich minutenlang vor jedes einzelne Fenster, obwohl der Page sie hartnäckig vorantrieb. Nirgends ein schöner Ausblick.

      »IHRE ELTERN WOHNEN auch hier«, sagte der Nationalratsabgeordnete der komplett unwählbaren Partei und störte damit die Stille im Lift auf eine überraschend angenehme Weise. Sein Hund schnüffelte an Herb Juniors Schuhen und hinterließ feuchte Nasenabdrücke auf dem matten Glattleder. Da es eine schlichte und treffende Feststellung war, wollte Herb Junior eigentlich gar nichts darauf antworten, aber er mochte das Parfum des Nationalratsabgeordneten viel zu sehr, um die Situation totzuschweigen, obwohl er sonst um blumige Kopfnoten einen großen Bogen machte und nicht ausschließen konnte, dass der Duft nur nach Flakon ausgewählt war. Herb Junior wollte dem echten Leben wieder einmal eine Chance geben.

      »Genau, seit vor meiner Geburt, ich bin dann runtergezogen nach dem Studium, ein bisschen Abstand schadet ja nie«, antwortete er und ärgerte sich sofort über seine kratzige Stimme und die Banalität der gewählten Worte. Er war zu keinem Zeitpunkt seines Lebens auch nur durchschnittlich geschickt gewesen im Umgang mit fremden Menschen, die joviale Art des Vaters hatte ihn schon als Kleinkind abgestoßen und von der Mutter gab es diesbezüglich nichts zu lernen. Mandarino di Amalfi schien ihm den Kopf vernebelt zu haben. Der Lift fuhr quälend langsam und Herb Junior sah dem Nationalratsabgeordneten für abgezählte zwei Sekunden direkt in die Augen, um sich nicht vollkommen zu blamieren. Egal.

      »Ist das Mandarino di Amalfi von Tom Ford?«, fragte er und der Nationalratsabgeordnete nickte lächelnd.

      Der Hund saß nun auf dem Boden, ein Bein hinter dem Ohr, und leckte seinen Intimbereich. Mit einem langsamen letzten Ruck, der Herb Junior leicht den Magen aushob, kam der Lift endlich zum Stehen.

      »Ich bin heute Abend in der Persephone Bar, vielleicht haben Sie ja Lust vorbeizukommen«, sagte der Nationalratsabgeordnete und zog sein vibrierendes Handy aus der Manteltasche.

      »Komm schon, Albi«, sagte er zu seinem immer noch mit Körperhygiene beschäftigten Hund, stellte einen Fuß in die sich wieder schließende Lifttür und riss grob an der Leine. Er nickte Herb Junior zu und klemmte sein Handy mit einem ungeduldigen »Ja, was ist los?« zwischen Ohr und Schulter. Albi, dachte Herb Junior und blieb noch für einen Moment im Lift stehen, Albi kommt wahrscheinlich von Alberich. Warum eigentlich nicht.

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      ER HATTE SICH längst mit seiner sexuellen Vorliebe für Verletzlichkeiten aller Art abgefunden, wusste aber, dass andere das irritierend oder gar abstoßend fanden, und hatte sich im Laufe der Jahre zur Befriedigung seiner Bedürfnisse mehr und mehr ins Onlineleben zurückgezogen. Der Mann namens Klaus hatte früher etwas Geld als Fotograf verdient, mit überschaubarem Erfolg, denn seine Arbeiten waren nicht mehr als dritte Aufgüsse der Visionen echter Fotokünstler und obendrein technisch nur mittelmäßig umgesetzt. Er bekam die Unschärfen nie unter Kontrolle, wenn seine körperliche Erregung stieg. Am liebsten fotografierte er die ganz frischen Models mit wenig Erfahrung, bei ihnen schaffte er es am schnellsten, sie in einen Zustand der größtmöglichen Verunsicherung zu versetzen. Er gab dazu sehr viele, sehr konkrete Anweisungen und drückte ununterbrochen auf den Auslöser, damit das klickende Geräusch eine subtil gehetzte Grundstimmung erzeugte.

       Finger zusammen, Kopf leicht nach links, Augen zu mir, nur die Augen, der Kopf bleibt, Haare durchwuscheln, wilder, ich muss die Fingersehen, Körperlinie lang halten, wieso liegt das Knie so komisch, das muss locker sein, nicht gestellt, authentisch, ich will dich sehen, keine Pose, wer bist du?, zeig dich.

      So fotografierte er erst einmal eine ganze Fotostrecke nach seinem persönlichen Geschmack, um plötzlich damit anzufangen, jede Bewegung des Models enthusiastisch zu loben und das Mädchen in seiner Erleichterung so aufzulockern, dass schlussendlich doch noch ein paar brauchbare Bilder für den Kunden geschossen werden konnten.

      Nach dem Shooting zweifelte das Mädchen gleichermaßen an ihrer Kinnlinie wie an ihrem Talent, überzeugend die totale Belanglosigkeit darstellen zu können. Der Mann namens Klaus ging nachhause, lud sich die Fotos vom Beginn des Shootings auf seinen Computer und zoomte in die Augen des Models. Mit etwas Glück fand er dort alles, was er brauchte: Angst und leichten Ekel. Unsicherheit und eine wieder zum Kind zerbröckelnde Weiblichkeit. Verzweiflung und den trotzigen Versuch, etwas Tiefsinn in einen Blick zu mischen, der leerer kaum sein konnte.

      Leider verdiente er mit seinen Bildern nur wenig und irgendwann blieben die Aufträge ganz aus, einzig ein Serviettenhersteller buchte ihn einmal jährlich zum Sommerfest der Firma, um dort peppige Mitarbeiterfotos für die Website zu schießen. Auf dem Fest stand er herum wie ein Fremdkörper und staunte über die vielfältigen Möglichkeiten, in einem Sommerkleid lächerlich jugendversessen auszusehen. Er fotografierte die anwesenden Damen gerne von hinten, aus dieser Perspektive konnte man die schrecklichen Auswüchse verschiedener BH-Trägervarianten am besten für die Ewigkeit dokumentieren. Durchsichtige Plastikträger von erlesener Scheindezenz, die sich dadurch selbst vernichtete, dass die Träger so offensichtlich schmerzhaft in die Haut schnitten und den Schweiß mit ihrer Saugunfähigkeit der Öffentlichkeit präsentierten wie farblose Hinterglasmalerei. Der Mann namens Klaus aß ein paar Würstel, blätterte lustlos durch die Designs der neuen Serviettenkollektion und lächelte nur, weil er dafür bezahlt wurde. Der Geschäftsführer des Konzerns war irgendwann dem Irrtum aufgesessen, mit ihm einen vielversprechenden Modefotografen unter Vertrag zu haben, und hielt daran mit großer Euphorie fest, indem er jedes Jahr stark angeheitert »Geschichten aus der Modewelt« hören wollte, die der Mann namens Klaus hervorragend abwechslungsreich erfand.

      Dieses langsame berufliche Absterben war zwar schmerzlos, aber nichtsdestotrotz schade, denn er hatte gerne regelmäßig frische Bilder, Verletzlichkeit nutzte sich schnell ab, und so probierte er es eine Zeitlang auf eigene Initiative im Bereich der Amateurmodels, gab dies aber schnell wieder auf, da deren Resignation und Routine beim Posieren abstoßend auf ihn wirkten. Egal wie viele


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