Der Teufel sieht rot. Susann Teoman
die anscheinend ihre Tochter war, über den Kopf strich und sie streng ermahnte, wenn sie sich anschickte, zu schreien.
Sah aus, als würde sie ihrer Tochter verbieten, einen Ton von sich zu geben. Na, so ein Unsinn! Wo doch jeder weiß, dass lautes Schreien den Muttermund und den Gebärmutterhals öffnet. So würde sie es während der Geburt doch nur schwerer haben. Jemand musste das der Frau doch sagen!
Verzweifelt versuchte ich, Martins Blick aufzufangen, der ruhig das Geschehen beobachtete. Warum sagte dieser Einfaltspinsel denn nichts?
Martin sah mich endlich an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Warum? Er legte warnend den Zeigefinger an die Lippen.
So’n Quatsch! Verbieten lassen würde ich mir gar nichts.
»Lassen Sie Ihre Tochter doch schreien, das wird ihr bei der Geburt helfen«, rief ich schließlich verzweifelt.
Die schwarzen Augen der alten Frau blickten mich drohend an, dann kam sie wild gestikulierend und böse schimpfend auf mich zu.
Martin zuckte gleichmütig die Schultern.
»Mama, ist ja gut, sie hat es nur nett gemeint.« In einer Wehenpause versuchte die Frau, ihre Mutter zu beruhigen.
»Nicht wahr? Sie hatten es doch nur gut gemeint?«
Ich nickte beklommen.
»Warum versuchen Sie denn, Ihre Schmerzen zu unterdrücken?«
»Es gilt bei uns als unschicklich, bei der Geburt zu schreien. Eine Frau, die ihren Schmerz zeigt, hat keine Selbstbeherrschung«, erklärte sie und atmete heftig, als eine neue Wehe sie überkam.
»Bei uns?«
»In der Türkei.«
»Ah.«
So war das also. Ich kannte ja bisher nicht allzu viele Türken, aber die, die ich kannte, hätten auf alle Fälle auch geschrien. Ich warf einen ängstlichen Blick auf die Mutter, die mich noch immer böse anguckte. Martin, der abwartend hinter dem Rollstuhl gestanden hatte, fragte: »Können wir ins Wehenzimmer gehen?« Die Mutter ging vor, und Martin rollte auch die Frau hinaus, dann drehte er sich noch einmal um und sagte: »Ich habe versucht, Sie zu warnen, Frau Teufel. Frau Akbal hat hier schon zwei Kinder zur Welt gebracht, und wir haben alle gelernt, sie und ihre Sitten zu respektieren. Sie sehen ja, wie es endet, wenn man sich einmischt.« Er winkte mir zum Abschied und schloss dann leise die Tür.
Ja, das hatte ich genau zu spüren bekommen. Mist, verdammter. Da will man nett sein, und was passiert? Man bekommt voll eins auf die Nuss.
Sollte die Ärmste eben ihre Schmerzen unterdrücken. Mir doch egal.
Ich holte mir Isabelle und schmuste mit ihr, bevor wir zwei ein Schläfchen hielten. Ein markerschütternder Schrei weckte mich. Waswarnlos?
Ich setzte mich vorsichtig auf. Da! Noch einmal! Langgezogen und durchdringend. Ich klingelte nach einer Schwester. Martin erschien.
»Da schreit einer!«, erklärte ich.
»Sie liegen ja auch direkt neben dem Kreißsaal, und der ist momentan voll«, erklärte er seinerseits.
»Aber so können wir nicht schlafen.« Und ich war doch so müde.
»Alle anderen Zimmer sind leider belegt, tut mir leid.«
Martin entschwand wieder.
Ich gab Isa die Brust, um das Weinen abzustellen, und versuchte, wieder zu dösen.
»Aaaaaaaaaaaaaa AAAAAAAAAAAAAAAAAAARRR RRRRR!«
Meine Güte, hatte ich auch so gebrüllt? Die armen Frauen!
Na ja, immerhin waren es Leidensgenossinnen, ich beschloss also, tolerant zu sein.
Isa gab ein zufriedenes Bäuerchen von sich und schlief ein, sobald ich sie wieder in ihr Bett gelegt hatte. Ich versuchte, wieder einzuschlafen, und glitt für eine Weile in eine Art Halbschlaf, in dem ich davon träumte, Fünflinge zu bekommen. Ich schrie und merkte, dass der Schrei gar nicht von mir kam. Schweißgebadet setzte ich mich auf. Der Schrei war aus dem Kreißsaal gekommen und hatte Isabelle erneut geweckt. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr: Halb zwölf. Beinahe Mitternacht.
Ich legte Isa wieder an und fuhr sie dann zurück ins Babyzimmer. Ich war todmüde. Musste unbedingt schlafen. Ich hatte meine Ohren gerade notdürftig mit Klopapier zugestopft und es mir in meinem Bett gemütlich gemacht, als das Licht plötzlich anging. Stimmen erfüllten den Raum. Erschöpft drehte ich mich um. Da war sie wieder, die junge Türkin. Eine der jüngeren Hebammen half ihr ins Bett, und ihre Mutter, die mich keines Blickes würdigte, setzte sich zu ihr auf die Bettkante und bürstete ihr Haar zurück. Dann küsste sie sie auf die Stirn und ging leise.
Die Hebamme kam herein, sie hatte ihr etwas zu essen und die obligatorische Kanne Fencheltee auf das Nachttischchen gestellt.
»Hier sind die Tabletten für Ihre Nachwehen, Frau Akbal. Wenn sie nicht ausreichen, dann klingeln Sie doch bitte, wir geben Ihnen dann etwas Stärkeres. Gute Nacht«, verabschiedete sie sich.
Frau Akbal lehnte sich müde zurück. Ich bemerkte erstaunt, dass sie ohne den riesigen Bauch eine eher kleine, zierliche Person war mit hellgrünen Augen und kastanienbraunen Löckchen.
»Ich heiße Lisa«, durchbrach ich die Stille.
»Ich bin Leyla.« Sie lächelte erschöpft.
»Und, wie war es?«, versuehte ich einen Smalltalk.
»Zuletzt dachte ich, ich muss sterben. Aber dann war der Kleine auch schon da.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke.«
Ich sank in meine Kissen zurück. Die Müdigkeit übermannte mich, und ich döste ein.
»Lisa?«
Ich schreckte auf. »Hm?«
»Du schnarchst doch nicht?«
»Was?«
»Ich werde aggressiv, wenn jemand schnarcht, während ich versuche, zu schlafen, deshalb. Also, schnarchst du?«
Ich wurde rot. Okay, weil ich in meiner Schwangerschaft so viel zugenommen hatte, war ich des Öfteren von meinem eigenen Schnarchen geweckt worden. Na und? Jetzt war ich ja nicht mehr schwanger. Aber ich hatte bestimmt noch so an die zwanzig Kilo mehr drauf. Ob mich das wohl auch zum Schnarchen brachte?
»Nein, ich schnarche nicht«, log ich.
»Dann ist es ja gut.« Leyla löschte das Licht.
Ich drehte mich auf die Seite. Ich würde einfach versuchen, mir selbst zuzuhören und nicht zu schnarchen. So schwer konnte das ja wohl nicht sein, nicht wahr?
Ich atmete tief ein und aus und merkte, wie mich der Schlaf überfiel.
»Ohhhhhhh.«
Ein Stöhnen weckte mich, kaum, dass ich eingeschlafen war.
»OOOOOOOOOOHHHHHHH!«
Bekam Leyla etwa noch ein Kind?
Ich knipste das Nachtlicht an.
»Alles okay?«, fragte ich verschlafen.
»Das sind nur die Nachwehen«, klärte sie mich mit schweißglänzender Stirn auf.
Ich hatte auch welche gehabt, natürlich. Aber nicht so starke, dass sie mich vom Schlafen abgehalten hätten.
»Je mehr Kinder man bekommt, desto stärker werden auch die Nachwehen«, klärte sie mich auf.
»Nimm doch einfach eine Tablette«, schlug ich vor.
Das tat sie auch und löschte dann wieder das Licht.
»OOOOOOOOOH!«
Darauf folgte wieder Stille, in der ich eindöste.
»OOOOOHH!«
Ich schreckte jäh