Der Teufel sieht rot. Susann Teoman

Der Teufel sieht rot - Susann Teoman


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Kein Wunder, dass hier alle Babys schrien, vor dem hätte ich auch Angst gehabt, wenn ich ein Neugeborenes gewesen wäre.

      »Ich bin Säuglingspfleger Martin.«

      »Lisa Teufel«, murmelte ich verschüchtert.

      »Ah, die Mutter von der Isabelle? Die liegt da hinten bei den anderen, ich habe sie gerade gewickelt. Sie können sie mitnehmen.«

      »Äh, danke.«

      Ich wandte mich den Plexiglaswägelchen zu, auf denen vorne die Karten mit Namen, Körpergröße und Geburtsgewicht der Babys klebten. Blau waren die Karten der Jungs und rosa die der Mädchen. Isabelles Wagen war leer.

      Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus.

      O Gott, ich war erst seit ein paar Stunden Mutter und doch schon eine Rabenmutter! Man hatte mir mein Kind geraubt! Oder Martin, der Höhlenmensch, hatte mein Baby gestern nach dem Essen als Nachtisch verspeist. Meine arme, unschuldige Isa!

      Ich sah mich panisch um und durchwühlte den Plexiglaswagen hektisch.

      »Was tun Sie denn da?«, grölte Martins Stimme unmittelbar hinter mir.

      »HHHHAARR!«, erschrocken sprang ich zurück.

      Von meinem Geschrei wurde ein Brüllkonzert aus fünfzehn winzigen Mündern ausgelöst.

      »Isabelle ist nicht da«, wisperte ich, um die anderen Kinder nicht zu wecken. Und du hast sie auf dem Gewissen, du verschlagener Neandertaler!

      »Natürlich nicht, sie liegt ja auch da drüben.« Verärgert bemühte sich Rübezahl, die Kleinen wieder zu beruhigen. Ich stellte erstaunt fest, dass er ausgesprochen begabt war. Während er sanfte Worte gurrte, tätschelte er einem Kind den Po, gab einem anderen einen Schnuller und stopfte in den Mund eines anderen Babys sachte ein Fläschchen Tee.

      Ich sah mich um. Fragend zuckte ich die Schultern.

      »Unter der Höhensonne«, half Martin mir geduldig weiter.

      »Ach so!« Erleichtert trat ich auf das lila Licht zu, das über einem gut gepolsterten Wickeltisch platziert war.

      Tatsächlich, da lagen zwei Babys. Süß waren die. Und welches war nun meins?

      Keins davon sah aus wie das, das ich gestern bekommen hatte. Meine Isabelle hatte einen länglichen Kopf, der ein wenig wie eine Mischung aus Banane und Aubergine ausgesehen hatte, gelbviolett mit einer platten Boxernase. Sie hatte außerdem eine dunkle Hautfarbe gehabt und war überall mit diesem ekligen Zeug bedeckt gewesen, der Käseschmiere.

      Aber die beiden da hatten runde Köpfchen und hübsche, kleine Stupsnasen.

      »Frau Teufel!« Martin, der Babyschreck, stand wieder neben mir.

      »Nun sagen Sie mir nicht, dass Sie Ihr eigen Fleisch und Blut nicht wiedererkennen.«

      Stimmt. Hatte keinen Schimmer. Ruhig, Lisa Teufel. Ich schwitze. Welches war es denn nun? O Gott, arme Isabelle, was hast du für eine miese, unfähige Mutter.

      »Natürlich erkenne ich mein Baby!«, antwortete ich spitz und deutete mit dem Zeigefinger auf das linke.

      »Das ist meins!« Hatte in letzter Sekunde die Namensbändchen gesehen.

      Martin nickte erleichtert.

      »Ja, stimmt. Wissen Sie, Babys verändern sich vor allem in den ersten Tagen unheimlich rasant, aber bisher ist mir noch keine Mutter untergekommen, die ihr Kind trotzdem nicht auf Anhieb erkannt hätte.«

      »Klar, habe meins auch sofort erkannt!« Ich griff nach Isabelle, legte sie behutsam in ihr Bettchen und schob es hastig in mein Zimmer.

      Kaum zu fassen! Ich war jetzt selbst eine Mutter. Nur dass mir das noch immer nicht wirklich real vorkam. Ich hielt die kleine Isabelle stundenlang in den Armen und betrachtete jedes kleinste Detail an ihr, ihre rosigen, winzigen Fingernägel, den noch weichen Kopf, der gerade einmal meine Handinnenfläche ausfüllte, und die noch leicht geschwollenen Augen.

      Was für ein Prachtkind! Und sie hatte kaum noch etwas von einer Aubergine an sich!

      Schwester Martin kam herein.

      »Alles in Ordnung mit Ihnen beiden?«, erkundigt er sich freundlich.

      »Danke, alles bestens.« Ich betrachtete entzückt meine Tochter. Isabelles Haut war rosig, wenn auch noch ein wenig verschrumpelt.

      Martin, der meinen skeptischen Blick auf die runzeligen Finger bemerkte, meinte: »Dass die Haut noch nicht so prall ist, liegt an dem geringen Geburtsgewicht. Aber das wird sich schnell ändern, keine Sorge.«

      Ich fand meine Isabelle vom ersten Atemzug an phänomenal und vollkommen. Es würde nie mehr einen Menschen geben, der mir näher stand als meine Tochter, das wurde mir mit einem Schlag klar.

      »Würden Sie sich auch von mir beim Stillen helfen lassen, oder soll das eine der anderen Schwestern übernehmen?«

      O Gott, an diese Möglichkeit hatte ich überhaupt nicht gedacht. Der würde meine Brüste anfassen und sie so positionieren, dass Isabelle daran nuckeln konnte. Der würde sie doch vollkommen zerquetschen!

      Neee, oder?

      »Äh ... also, Schw ... ich meine, Martin, ja, Sie können mir gerne helfen, kein Problem«, hörte ich mich zu meinem eigenen Erstaunen sagen.

      Er erklärte mir, worauf ich achten müsse.

      Als er die Tür öffnete, um zu gehen, prallte er gegen Mia.

      »Wo ist mein süßes Patenkind?«, strahlte sie.

      »Mia!«

      »Und, geht es dir gut?«

      »Ausgezeichnet!«

      Sie betrachtete mich zweifelnd.

      »Keine nächtlichen Heulattacken?«

      »Quatsch!«

      »Hier, ich habe euch etwas mitgebracht.« Sie überreichte mir ein riesiges Paket.

      »Was ist da bloß drin? Ein kleiner aufblasbarer Spielgefährte für die Mami?«, neckte ich sie.

      »Öffne es einfach.«

      Ich zog an der zartrosafarbenen Schleife und öffnete den Deckel.

      »Aber das ist ja ...« Atemlos zog ich das Kleid heraus.

      »Das ist ja ein Brautkleid!«

      »Na ja, zur Geburt vielleicht nicht ganz das Richtige, aber ich dachte, es würde dir womöglich gefallen.«

      »Das Kleid ist ... es ist einfach atemberaubend! So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen, Ehrenwort!«

      Mia strahlte.

      Es war champagnerfarben und vorne raffiniert ausgeschnitten. Der Ausschnitt war mit winzigen Kristallen bestickt, die oben dicht aneinander genäht waren und zum Rock hin immer spärlicher wurden, bis am unteren Drittel des Kleides keine Kristalle mehr sichtbar waren, sodass das Kleid aussah, als wäre es kopfüber in Eis getaucht worden.

      »Das sind Swarovski-Kristalle. Ich habe das Kleid selbst genäht. Ach ja, hier sind die passenden Schuhe.«

      Ich umarmte Mia erneut.

      »Es ist wunderschön, danke!« Gerührt küsste ich sie auf die Wange.

      »Was ist denn hier los?« Benny und Karl traten ein.

      Benny hielt ein Dutzend rosa und weiße Ballons in der Hand und Karl ein überdimensionales Plüschtier.

      »Ist alles okay mit dir, mein Schatz?« Mama setzte sich zu mir ans Bett und streichelte meinen Lockenkopf, der ihrem so sehr ähnelte.

      »Darf ich?« Behutsam nahm sie mir Isabelle ab und wiegte sie in den Armen.

      Den ganzen Tag über kamen Besucher und brachten Geschenke über Geschenke. Mama hatte für Isa einen Kinderwagen gekauft, den sie aber nicht mit ins Krankenhaus


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