Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen. Ellen Driechciarz

Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen - Ellen Driechciarz


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legt sich auch der Tag zur Ruhe und die sanfte Dämmerung verspricht eine ruhige Nacht. Schnell schlafen Anton und Elise ein, denn Erholung ist jetzt wichtig.

      Der nächste Morgen weckt die Spatzenfamilie wieder mit schönstem Sonnenschein. Eifrig beginnt Anton sein Tagwerk mit der Nahrungsbeschaffung und Elise kümmert sich um die Aufgaben am Nest. Es wird stets sauber gehalten und auch immer wieder mit frischen Halmen oder neuen Federchen ausgebessert. Jedoch bleibt nun für eine bunte Feder als Nestschmuck keine Zeit mehr. Immerhin erweist sich die ergiebige Futterquelle in der Nachbarschaft als verlässlicher Helfer bei der anstrengenden Jungenaufzucht. Und nach einiger Zeit werden die Eltern auch von den Jungen unterstützt, denn sie sorgen selbst für Sauberkeit, indem sie ihren Kot über den Nestrand nach draußen fallen lassen.

      Dann wird das Wetter schlagartig unbeständig. Im Freien hat sich ein böiger Wind erhoben, der unermüdlich dunkle Wolken zusammentreibt, nur um sie ein wenig später wieder auseinanderzujagen. Dabei wechseln sich in schneller Folge kurze, kräftige Regenschauer mit leuchtendem Sonnenschein ab. Nachts ist es wieder ziemlich kalt, wohingegen die Temperaturen am Tag schon in angenehme Bereiche klettern. Alles in allem finden zurzeit merkwürdige Wetterkapriolen statt. Aber darüber wundern sich Anton und Elise nicht. Sie wissen, das ist der April und der macht nun einmal, was er will. Auch die anderen Mitglieder der Spatzenkolonie schenken dem Wetter keinerlei Beachtung, weil überall der Nachwuchs nach der Fürsorge der Eltern schreit.

      Derweil hat die große Birke vor den Spatzennestern fast unbemerkt ihr Gesicht verändert, denn hellgrüne, zarte Birkenblätter haben die frische Frühlingsluft erobert. Es sind die ersten, wie mit einem Pinsel aufgetragenen Farbtupfer vor der grauen Häuserfassade. Dagegen hat die Natur ringsum längst im Sturmtempo grüne Gewänder verteilt. Viele Bäume und Sträucher blühen üppig und verströmen einen betörenden Duft. Und auf einmal sind noch andere Stimmen da. Unauffällig, doch zur rechten Zeit sind die Zugvögel in den Zoo zurückgekehrt und unterhalten mit wunderschönen Gesängen die ganze Nachbarschaft. Einige inspizieren auch den Ziegenstall, um hier vielleicht noch einen Platz zum Brüten zu finden. Sie sind ebenfalls Hausbewohner und so manches Vogelpärchen zieht mit in das Stallgebäude ein. Andere dagegen bauen kunstvolle Nester in Sträuchern, Hecken oder Bäumen.

      Aus allen Winkeln erklingt ein fröhliches Tirilieren, genauso lebhaft, wie es die Farben des Frühlings sind.

      *

      Muntere Kinderstube unter dem Dach

      Die vier Sperlingskinder haben sich prächtig entwickelt. Sie blicken längst mit wachen Augen um sich und die ersten richtigen Federn sprießen. Damit werden die wärmenden Körper der Eltern mehr und mehr entbehrlich und Anton und Elise können gemeinsam zu den Futtergründen aufbrechen. Das ist auch notwendig, denn mit der Größe hat der Appetit der jungen Haussperlinge zugenommen. Jeden Abend, nach einem anstrengenden Arbeitstag, sind Elise und Anton froh, wenn die kleinen Nimmersatte zur Ruhe kommen. Dann schlüpfen sie erleichtert mit ins Nest und leise zwitschernd kuscheln sich alle aneinander.

      Dieses Mal sind drei Mädchen und ein Junge geschlüpft, die mit jedem Tag aktiver werden. Heiner ist ein frecher und vorwitziger Spatz. Er besetzt im Nest gern den Eingangsbereich, damit er seine Eltern und die mitgebrachten Insekten als Erster in Empfang nehmen kann. Aber da hat er die Rechnung ohne die Mädchen gemacht. Lisa, Moni und Tine sind genauso selbstbewusst, sodass bei der Futterübergabe stets großes Gerangel entsteht. Doch beherzt ordnen Elise und Anton das Durcheinander und schließlich schlucken die Kleinen artig die ihnen zugeteilten Portionen.

      Neben der Mühsal der Futterbeschaffung hält der muntere Nachwuchs die Eltern auch noch anderweitig auf Trab. Die jungen Haussperlinge wollen nämlich unablässig ergründen, was um sie herum passiert. Aber auch dafür haben die Spatzeneltern ein erprobtes Rezept. Jetzt erzählen sie jeden Tag vor dem Einschlafen kleine Geschichten von ihrer Heimat, dem Zoo, und von seinen Bewohnern. Es gibt da nämlich viele fremdartige und wilde Geschöpfe, die entweder groß oder klein, behaart, befiedert oder sogar nackt sind. In jedem Fall sind alle Tiere, die den Zoo bevölkern, sehr interessant und sorgen für unerschöpflichen Erzählstoff. Mit ihren Geschichten können Anton und Elise die neugierigen Spätzchen wunderbar beschäftigen. Aber nicht nur das. Zugleich werden die jungen Vögel, ohne dass sie es merken, auf die Zukunft vorbereitet.

      Voller Staunen hängen die Spatzenkinder an den Schnäbeln der Eltern, denn sie hören fantastische Geschichten. Manche Episoden können sie kaum glauben, denn allzu seltsam erscheinen sie ihnen. Darüber müssen Elise und Anton schmunzeln. Aber sie bekräftigen das, was sie schildern, denn sie haben in der bunten, exotischen Welt des Zoos so manches selbst miterlebt. Die anderen Geschichten kennen sie von ihren Eltern, weil sie von Generation zu Generation weitererzählt werden, damals haben sie selbst noch im Nest gesessen.

      Am besten gefallen den vier Spätzchen die Abenteuer von Großvater Gustav, die er in seiner Jugend auf einer langen Reise durch den Zoo erlebt hat. Elise kennt sie natürlich alle und berichtet voller Stolz davon. Heiner und die Mädchen wollen immer mehr davon hören, zumal Elise alles sehr bildhaft schildert, so als sei sie selbst mit dabei gewesen. Am Ende meinen sogar die Sperlingskinder, sie wären mittendrin, und sie sind sich einig, ihren Großvater Gustav wollen sie unbedingt kennenlernen und genau wie er möchten sie eine Reise durch den Zoo unternehmen. Das spukt den Spätzchen ab sofort in den Köpfen herum.

      Anton bemerkt die Reaktion seiner Jungen und ist belustigt. „Ihr habt dieselbe Neigung zur Abenteuerlust mit ins Nest gelegt bekommen wie euer berühmter Großvater“, stellt er geradeheraus fest. Dann fügt er noch etwas Interessantes hinzu. „Heute ist Opa Gustav ein Gelehrter. Er lebt im großen Adlerkäfig am anderen Ende des Zoos und leitet dort eine eindrucksvolle Bibliothek. Eure Mutter ist sehr stolz auf ihren Vater.“

      Elise nickt.

      „Was ist eine Bibliothek?“, piepst Moni neugierig.

      Heiner wartet die Antwort gar nicht ab. „Da wollen wir auch mal hin“, platzt er ungehalten heraus.

      „Pst!“ Mit der Federspitze vor dem Schnabel schaut ihn Elise tadelnd an, bevor sie Monis Frage beantwortet. „In einer Bibliothek werden Bücher gesammelt, aufbewahrt und für Studienzwecke zur Verfügung gestellt. Opas umfangreiche Büchersammlung nutzen viele Haussperlinge, wobei einige sogar regelmäßig in der Bibliothek vorbeischauen. Jedoch besuchen manche Haussperlinge euren gelehrten Großvater auch, um sich bei ihm einen Rat zu holen.“

      Die Sperlingskinder staunen nicht schlecht und eifrig wiederholt Heiner seinen Wunsch von vorhin. „Da wollen wir auch mal hin.“ Auffordernd schaut er Lisa an, denn sie würde sich, genau wie er, sofort in jedes Abenteuer stürzen. Doch auch Moni und Tine, die normalerweise viel zurückhaltender sind, unterstützen Heiner in seinem Wunsch.

      Mit ihrer Fragerei bringen die Spatzenkinder die Eltern ganz schön ins Schwitzen. Lange können sie die ungeduldigen Spätzchen nicht mehr im Zaum halten.

      Elise tschilpt: „Geduldet euch noch ein wenig. Erst wenn ihr ausgeflogen und selbstständig seid, könnt ihr euch auf einer Abenteuerreise die Tiere anschauen und auch aufregende Begegnungen mit Zoobesuchern haben. Doch jetzt schlaft schön.“ Sie behandelt die Jungen mit Nachsicht und wünscht ihnen eine gute Nacht.

      Anton hat für sie auch noch einen tröstenden Tipp parat. „Und während ihr schlaft, könnt ihr ja schon einmal von euren Streifzügen durch den Zoo träumen.“

      Allerdings hoffen Anton und Elise auf die Standorttreue, die Haussperlingen üblicherweise eigen ist, denn wie allseits bekannt ist, bleibt diese Vogelart gern in ihren angestammten Revieren und breitet sich nur vorsichtig in neuen Gebieten aus. Und gerade deswegen machen sich Anton und Elise vorerst keine Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Was soll dem Nachwuchs zu Hause schon passieren? Sie haben jedoch keine Ahnung, welcher Plan im Kopf der Kleinen heranreift.

      Mit zunehmendem Alter der kleinen Haussperlinge rückt verständlicherweise der Termin zum Ausfliegen näher. Das helle Licht am Rand des Nestes zieht nicht nur den Jungen, sondern auch die drei Mädchen mächtig in seinen Bann. Heiner und Lisa sind kaum noch zu zügeln und auch die braven Mädchen Moni und Tine sind ganz


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