Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen. Ellen Driechciarz

Was die Spatzen im Zoo von den Dächern pfeifen - Ellen Driechciarz


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ihrer eigentlichen Nahrung, die sie im grünen Park natürlich überall finden, können sie sich entweder bei den Futtermitteln für die Zootiere bedienen oder sie leben von den anfallenden Krümeln, die ihnen Zoobesucher nur zu gern an Imbissbuden, Kiosken oder auf Gaststättenterrassen überlassen. Schon bald werden auch die vier Spatzenkinder diese reiche Palette an Futtermitteln kennenlernen.

      Zunächst schwärmen Anton und Elise regelmäßig mit ihnen auf die umliegenden Tieranlagen aus. Die Spätzchen staunen nicht schlecht, denn die Zootiere teilen widerspruchslos ihre Mahlzeiten mit ihnen. Später suchen sie in den angrenzenden Grünanlagen nach den Sämereien von Wildkräutern, die auf gar keinen Fall auf ihrem Speiseplan fehlen dürfen und hervorragend schmecken. Bei dem nahezu verschwenderischen Futterangebot ringsum ist es kein Wunder, dass noch viel mehr Sperlingsfamilien im Spatzenrevier auf Nahrungssuche unterwegs sind. Heiner und seinen Schwestern gefällt diese Betriebsamkeit. Sie fühlen sich genau wie andere Haussperlinge erst in Gesellschaft richtig wohl. Und irgendwann, wie auf ein geheimes Zeichen hin, treffen sich die umherstreunenden Gruppen in einer der vielen Hecken und veranstalten dort gemeinsam ein Spektakel, wie nur Haussperlinge es können. Elise, Anton und die Kinder sitzen mittendrin und tschilpen ebenfalls, was das Zeug hält. Die Stimmen der Kleinen sind noch nicht so kräftig, aber sie machen das mit entschlossener Ausdauer wett. Anschließend ziehen die Familien, eine nach der anderen, zur beliebten trockenen Sandstelle im Wisentgehege. Dort steht für alle ein genüssliches Staubbad zur Gefiederpflege an. Manchmal ist das Sandbad jedoch belegt, denn auch die Wisente lümmeln gern an diesem Ort herum.

      So plätschern die Tage im Gleichklang dahin. Doch dann erleben die Sperlingskinder unerwartet etwas Neues. Am Mittag schwirrt ein Spatzentrupp eilig an ihnen vorbei und verschwindet schnell aus ihrem Blickfeld. Sie schauen noch verwundert hinterher, als schon der nächste Pulk folgt, ebenso zielstrebig.

      „Wo wollen denn alle hin?“, fragt Moni erstaunt.

      „Es ist Wochenende“, ruft Anton freudig aus. Er weiß, wohin die Sperlinge unterwegs sind.

      An den Wochenenden kommen mehr Besucher in den Zoo als an den Wochentagen. Dann bevölkern sie natürlich auch den Imbiss am Streichelgehege. Und bei großem Ansturm bleiben immer wieder Essensreste liegen, an denen sich findige Haussperlinge gütlich tun. Manche Gäste teilen sogar gleich ihr Essen mit den niedlichen Vögeln, denn das bereitet ihnen viel Vergnügen. Alte, erfahrene Haussperlinge kennen diese Glückstage und suchen gezielt den Imbiss bei der Nahrungssuche auf.

      Heute ist es also wieder so weit. Für Anton und Elise die Gelegenheit, die Jungen, den anderen hinterher, zum Imbiss am Streichelgehege zu führen.

      „Kommt, Kinder. Wir zeigen euch eine neue Futterstelle.“ Elise winkt den Kleinen, ihr zu folgen, und beschwingt machen sie sich auf den Weg.

      Bislang sind den Spätzchen die fremdartigen Delikatessen unbekannt, jedoch soll sich das gleich ändern. Erwartungsvoll schwirren Heiner, Lisa, Moni und Tine den Eltern hinterher.

      Zunächst setzen sich die Sperlingskinder in gebührendem Abstand zur unbekannten Futterstelle nieder. Von dieser Position aus wollen sie das Geschehen erst einmal beobachten, denn gelernt ist gelernt.

      „Gut gemacht“, freut sich Elise und betrachtet ihren Nachwuchs stolz. Dann fordert sie die Kleinen auf, sich in das Gewirr aus Tisch-, Stuhl- und Menschenbeinen hineinzuwagen, denn dort liegen die anvisierten Happen.

      Heiner schnappt vor Schreck nach Luft und auch Lisa bleibt der Schnabel offen stehen. Moni überlegt angestrengt, wie das gehen soll. Wenn sie dorthin wollen, müssen sie als Erstes ihre angeborene, aber in vielen anderen Situationen angebrachte Scheu überwinden. Das ist leichter gedacht als getan. Elise muss dem ängstlichen Nachwuchs richtig Mut machen, bis er bereit ist, ihr zu folgen. Sie zeigt den Kleinen genau, wie es geht, und nach einer Weile trauen sie sich und tummeln sich ebenso ausgelassen wie die anderen munteren Spatzen am Boden unter den Tischen. Dort fällt für jeden genügend ab. Dabei merken die Spätzchen schnell, wer am drolligsten herumhopst, bekommt von den Menschen die Köstlichkeiten sogar persönlich serviert. Heiner und Lisa sind ihnen gegenüber gleich sehr zutraulich und werden deshalb reichlich mit Futterbröckchen, die ihnen vor allem Kinder zuwerfen, belohnt. Weil Moni und Tine nicht so mutig sind, tragen Heiner und Lisa ihre erbeuteten Leckereien zu den beiden, um sie mit ihnen zu teilen. Geschwister müssen doch zusammenhalten. Jedoch überwinden auch die Zaghaften nach einiger Zeit ihre Furcht und holen sich das Futter selbst.

      Ein Gutes hat der Menschenandrang am Kiosk. Je mehr Besucher da sind, umso ergiebiger ist das Angebot für die Haussperlinge. Doch irgendwann passt auch in einen noch so hungrigen Bauch nichts mehr hinein. Da machen sich Elise und Anton mit den Spätzchen zur Tiertränke am Ziegenstall auf, spülen alles mit mehreren Schlucken Wasser hinunter und flattern weiter in die Hecke am Haus. Eine Verdauungspause tut jetzt gut. Träge blinzeln sie in die Gegend und zwitschern diesmal nur leise vor sich hin.

      *

      *

      Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

      Sie müssen wohl eingeschlafen sein. Unsanft werden die Sperlingskinder von großen, kalten Wassertropfen geweckt. Erschrocken verziehen sie sich tiefer in die Hecke.

      „Ein schöner Regenschauer“, freut sich Elise aufgekratzt. „Kommt wieder nach oben, wir wollen ein Bad nehmen“, ermuntert sie die Kleinen.

      Zögernd hüpfen die Jungen zurück auf die Zweigspitzen an die Seite der Eltern. Dort oben bleiben sie einfach im Regen sitzen und lassen die Tropfen geduldig auf sich niederfallen. Gelegentlich verteilen sie das Wasser überall im aufgeplusterten Gefieder, bis es irgendwann nass genug ist. Dann bearbeiten die Haussperlinge ihre feuchten Federn gründlich mit dem Schnabel. Sie werden sauber geputzt, sorgfältig aufgelockert, ordentlich geglättet und tadellos in Form gelegt. Am Ende braucht das Gefieder nur noch vollständig zu trocknen und das reinigende Bad ist abgeschlossen. Sogleich fühlen sich die Sperlinge wie in ein neues Federkleid gehüllt.

      Eine Weile bleiben sie noch auf den Zweigen hocken, aber den Spatzenkindern fallen schon wieder die Augen zu, denn auch das Bad hat sie auf angenehme Weise müde gemacht. Anton und Elise sind sich einig, dass sie am besten in ihre gewohnte Schlafhecke zurückkehren. Sogleich machen sie sich auf den Weg.

      An der nächsten Weggabelung halten die Eltern jedoch noch einmal kurz an. Elise weist mit dem Flügel einen Besucherweg hinunter, den die Jungen bis jetzt noch nicht kennengelernt haben. Sie schauen neugierig in die angegebene Richtung und dann erwartungsvoll zu ihrer Mutter.

      „Auf diesem Weg gelangt ihr zu Opa Gustav“, bekommen sie überraschenderweise zu hören und Elise fügt noch die genaue Wegbeschreibung hinzu. „Ihr müsst über zwei Kreuzungen hinweg bis zu einer weiteren Kreuzung fliegen. Dort biegt ihr rechts ab und folgt dem neuen Weg. Auf dieser Strecke schwirrt ihr an zwei Hecken vorbei, passiert drei große Buschgruppen und fliegt noch einmal an zwei weiteren Hecken entlang. Dahinter gelangt ihr an einen Picknickplatz für Besucher. Gleich gegenüber befindet sich die große Adlervoliere, in der Opa Gustav wohnt.“

      Die Müdigkeit der Sperlingskinder ist wie weggeblasen. Das ist ja mal eine Neuigkeit. Nach kurzem Schweigen zwitschern Heiner und die Mädchen mit vielen Fragen aufgeregt drauflos.

      „Wir reden im Nachtquartier darüber“, übertönt Anton die schnatternde Schar und versucht mit einem weiteren Einwand, ihren Eifer zu bremsen. „Für Haussperlinge ist es ein weiter Weg, auf dem man nicht bummeln darf.“ Keinesfalls sollen die Jungen die Entfernung zur Adlervoliere unterschätzen.

      Auch in ihrem Unterschlupf kommen die Spätzchen nicht zur Ruhe, die Sehnsucht nach der Ferne ist auf einmal übermächtig. Elise weiß, sie hat ihnen den Grund dafür geliefert. Nun zappeln die Jungen wie auf glühenden Kohlen auf den Sitzplätzen herum und die Schnäbel gehen in einem fort. Heiner bittet Elise mehrmals, den Weg zur Adlervoliere zu erklären, denn er ist erst zufrieden, als sich dieser tief in sein Gedächtnis eingeprägt hat. Moni und Lisa zwitschern aufgeregt dazwischen. Sie haben sich den Weg schon bei der


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