Die Mauer. Jürgen Petschull
wir müssen an die Grenze!’”
Conrad Schumann steigt in seine Stiefel, stülpt sich den Stahlhelm über die braunen Haare, läuft mit seinen Kameraden in die Waffenkammer, nennt dort zwei Kennzahlen und bekommt seine numerierten Waffen ausgehändigt, eine russische MP 42 und eine Tokavow M 33-Pistole. Er schnallt sich das Sturmgepäck auf den Rücken. Inhalt: Unterwäsche, Kochgeschirr und Verpflegung. Im Verpflegungsbeutel sind Brot und Butter, Konservendosen und Schokoladenriegel – davon wird er in den nächsten 48 Stunden leben müssen.
Conrad Schumann klettert zusammen mit den sechs Leuten seiner Gruppe auf einen Schützenpanzer. Inmitten einer langen Karawane von Militärfahrzeugen fahren sie durch das dunkle Berlin. Sie kommen durch die Leninallee, fahren durch Seitenstraßen am Alexanderplatz und am Marx-Engels-Platz vorbei, rollen dann parallel zur Straße Unter den Linden entlang, immer Richtung Westen. „Ich weiß nicht mehr genau, was mir so alles durch den Kopf gegangen ist. Aber es war das erste Mal, daß ich nicht zu einem Manöver, sondern zu einem Ernstfall ausgerückt bin. Irgendwie war das ein komisches Gefühl – vielleicht auch ein bißchen Angst. Ein Kamerad sagte: Vielleicht gibt’s Krieg.’”
Während immer mehr Panzer, Lastwagen und Motorräder durch die Straßen Ostberlins fahren, tickert um 1.11 Uhr der „Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst” (ADN) an alle Zeitungs- und Rundfunkredaktionen hintereinander mehrere Sondermeldungen durch. Kurz darauf unterbricht der Ostberliner Rundfunk seine Sendung „Schöne Melodien in der Nacht”. Der Nachrichtensprecher verliest die ADN-Meldung mit der Überschrift „Erklärung der Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten”. Der Kernsatz lautet: „Die Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten wenden sich an die Volkskammer, an die Regierung der DDR und an alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Vorschlag, an der Westberliner Grenze eine solche Ordnung einzuführen, durch die der Wühltätigkeit gegen die Länder des sozialistischen Lagers zuverlässig der Weg verlegt und rings um das ganze Gebiet Westberlins einschließlich seiner Grenze mit dem demokratischen Berlin eine verläßliche Bewachung und eine wirksame Kontrolle gewährleistet wird.”
Nach einer halben Stunde Fahrt mit dem Schützenpanzer durch Ostberlin trifft die Gruppe des Grenzpolizei-Unteroffiziers Conrad Schumann am Brandenburger Tor ein. Sie wird von einem Offizier in Empfang genommen. Der sagt militärisch knapp, worum es geht: „Wir nehmen jetzt unsere Staatsgrenze zum Schutze gegen die Feinde des Sozialismus unter Kontrolle!”
Es ist halb zwei Uhr in der Nacht des 13. August.
Das Brandenburger Tor wird von Scheinwerfern in helles Licht getaucht. Der Himmel darüber ist dunkel verhangen, aber es regnet nicht. Die Nachttemperatur ist sommerlich mild, 15 Grad.
Mehrere hundert DDR-Soldaten sind mit ihren Fahrzeugen auf der Ostseite des Brandenburger Tores eingetroffen. Offiziere laufen aufgeregt zwischen den angetretenen Gruppen hin und her. Befehle werden mehr geflüstert als gerufen. Panzerketten rasseln.
„Mitten in diesem Durcheinander standen wir erst einmal ziemlich dumm herum”, erinnert sich Unteroffizier Conrad Schumann, „keiner hatte uns ja beigebracht, wie man so etwas eigentlich macht – die Staatsgrenze unter Kontrolle nehmen.”
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