Kittys Salon: Legenden, Fakten, Fiktion. Urs Brunner
vor, die den Dirnen durch von der Polizei ausgehändigte Merkblätter zur Kenntnis gebracht wurden. Wer sich nicht daran hielt, musste mit „Schutzhaft“ rechnen.68
Durch das am 26. Mai 1933 erlassene „Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften“ musste nun die „Verletzung von Sitte und Anstand“ nicht mehr explizit nachgewiesen werden. Ganz im Gegenteil: Straßenprostitution wurde im Zuge von Razzien strafrechtlich aktiv verfolgt.69 Mit Haft bis zu sechs Wochen und anschließender Arbeitshausunterbringung wurde jene Person bestraft, die „öffentlich in auffälliger Weise, die geeignet ist, einzelne oder die Allgemeinheit zu belästigen, zur Unzucht auffordert oder sich dazu anbietet“70.
In Hamburg etwa wurden zwischen März und Dezember 1933 mehr als 1.500 Frauen vorrübergehend in Schutzhaft genommen. Die Regeln bei der Hamburger Polizei waren klar: Aufgegriffene prostitutionsverdächtige Frauen galt es bei der ersten Festnahme zu verwarnen, bei der zweiten wurden sie mit acht Tagen Haft und bei der dritten Festnahme innerhalb eines halben Jahres mit 90 Tagen Arrest bestraft.71 Auch das Berliner Sexgewerbe verschwand in den Sommermonaten 1933 beinahe vollständig.72 Prostitution wurde als etwas Ekelhaftes und Gefährliches angesehen, somit das Bordell mit einem Infektionsherd für chronischen Tripper und Syphilis gleichgesetzt. Alle zwei Minuten wurde 1934 in Deutschland eine Person angeblich mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt. Der Tripper galt mit 175.000 Neuzugängen im Jahr als die am meisten verbreitete Infektionskrankheit; die Dunkelziffer lag jedoch noch deutlich höher.73
Es war daher die Aufgabe der Behörden, sämtliche in Privatbesitz stehenden Bordelle zu schließen.74 Der Reichsminister des Inneren, Wilhelm Frick75, erklärte durch einen Erlass vom 12. Juli 1934 die Wiedereinrichtung von Bordellen ausdrücklich als unzulässig.76 Daher existierten im Frühjahr 1934 in Berlin nur noch rund 20 Bordelle77, die folgendermaßen auszusehen hatten: Die Treppenhäuser mussten Tag und Nacht ausreichend beleuchtet sein und den Mädchen war es untersagt, sich im Eingangsbereich, am Flur, an den Fenstern oder in der Straße mit „anstößiger Kleidung“ zu zeigen. Die Vermieter mussten an der Haustüre eine Wohntafel mit Vor- und Nachnamen anbringen und es durfte kein „Salon“ eingerichtet werden. Jedes Zimmer musste mit einer fortlaufenden Nummer versehen sein. Zudem hatten die Vermieter für saubere Bettwäsche und Handtücher zu sorgen. Sofern keine Zentralheizung vorhanden war, musste in jedem Raum ein Ofen aufgestellt werden. Lag das Bordell im Erdgeschoss, so mussten Vorhänge angebracht werden, um Passanten vor dem Anblick des unsittlichen Treibens im Inneren des Hauses zu schützen. Der Ausschank von Getränken aller Art war grundsätzlich untersagt, es sei denn, die Mieter hätten diese ausschließlich in ihrem Zimmer kredenzt.78
Gesundheitsämter und Polizei arbeiteten bei der Bekämpfung der „gewerbsmäßigen Unzucht“ Hand in Hand. Zusätzlich zu den Prostituierten standen bei den Gesundheitsbehörden in ganz Deutschland in etwa 20.000 Personen mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ – sogenannte „h.w.G.-Frauen“79 – unter Beobachtung. Innerhalb dieser Gruppe galt es, mittels Tests80 „moralisch Schwachsinnige“ zu diagnostizieren und diese anschließend zu entmündigen oder gar zu sterilisieren.81
Wer als Prostituierte und somit als „asozial“ klassifiziert wurde, war oft der willkürlichen Einstufung der Beamten überlassen. Darunter fielen auch Frauen, die kein gutbürgerliches Leben führten, bereits früher einmal geschlechtskrank gewesen waren, wechselnde Liebesbeziehungen unterhielten oder sich einfach der moralischen Engstirnigkeit des Regimes nicht anpassen wollten. Sie galten somit als „gemeinschaftsunfähig, erbkrank und minderwertig“82. Der Nachweis einer Geschlechtskrankheit wurde nun zur Nebensache. Bei der Entmündigung wegen „Geistesschwäche“ nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch wurde als handelnder Vormund ein städtischer Beamter eingesetzt, der dann über das jeweilige Schicksal seines „Schützlings“ bestimmte. Voraussetzung war, dass der „Zuentmündigende infolge von Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag“83. Und als geistesschwach wiederum galten Personen, „deren intellektuelle Fähigkeiten in erheblichem Maße beschränkt sind“84.
In einem Gutachten eines Sachverständigen für ein Entmündigungsurteil am Amtsgericht Hamburg heißt es:
(…), dass die Klägerin im Gefühls- und Willensleben immer wieder versagt hat. Der Sinn für sittliche Werte und die Fähigkeit zu einer vom sittlichen Verantwortungsbewußtsein bestimmten Lebensführung sind in einer Weise verkümmert, die eindeutig auf Geistesschwäche hinweist. (…) Kritiklos und unterdurchschnittlich intelligent hat sie bislang konstitutionellen Entartungstrieben stets ohne Rücksicht auf etwaige Folgen nachgegeben.85
Es handelte sich hier also prinzipiell um Frauen, die „infolge ihres sittlichen Verschuldens in stärkerem Maße der öffentlichen Fürsorge anheimgefallen sind, jede Arbeit beharrlich verweigern und der Unzucht nachgehen“86. Unter dem Deckmantel der „Fürsorgeleistung“ reichte allerdings schon eine nicht bezahlte Krankenhausrechnung aus, um „sich herumtreibende“ junge Frauen in ein sogenanntes Arbeitshaus87 einzusperren.88 Der Zwangsaufenthalt war für die Dauer von mindestens zwei Jahren vorgesehen und die Frauen mussten, um dem Staat nicht noch mehr auf der Tasche zu liegen, etwa in einem Pflege- oder Altenheim waschen, nähen, stopfen bzw. im Garten mitarbeiten.89
In Hamburg – wo neben Berlin die meisten Prostituierten lebten – ermutigte das für Prostituierte zuständige Pflegeamt im November 1934 die Fürsorger, einmal pro Woche einen Sterilisationsvorschlag zu liefern.90 Die Leiterin des dortigen Pflegeamtes, Käthe Peterson, übernahm selber zwischen 1936 und 1945 die Vormundschaft von insgesamt 1.450 aufgrund ihrer „Geistesschwäche“ entmündigten, „gemeinschaftsfremden und gefährdeten“ Frauen und errichtete eine spezielle Sammelvormundschaft, die eine Einweisung in eine Anstalt erleichtern sollte.91 Bereits Ende Juli 1936 standen 230 Frauen unter der Sammelvormundschaft von Käthe Peterson, von denen 80 Prozent in Anstalten untergebracht worden sind. Ihrer Wunschvorstellung und Argumentation zufolge, sollten monatlich bis zu zehn Frauen hinzukommen: „Sie sind willensschwach und stumpf, daß eine Gewöhnung an ein geordnetes Leben nicht möglich ist.“92
Aufgrund des enormen Arbeitskräftemangels wurde Prostitution zusätzlich