Kittys Salon: Legenden, Fakten, Fiktion. Urs Brunner
in Vorbeugehaft genommen werden, „wer, ohne Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet“93. Unter den Begriff Asoziale fielen ab April 1938 dann auch Dirnen und geschlechtskranke Personen, die sich den „Maßnahmen der Gesundheitsbehörden entziehen“94. Auf dieser Grundlage sollen bis 1945 mehrere tausend Frauen in Konzentrationslager gebracht worden sein.95
Abb. 4: Adolf Hitler und Heinrich Himmler während einer Parade zum Reichsparteitag in Nürnberg 1938.
Auch wenn sich die Repressionen gegenüber Prostituierten immer weiter zuspitzten, so war es den Nationalsozialisten vollkommen bewusst, dass die Prostitution als Dienstleistung nicht vollständig von der Bildfläche verschwinden konnte und sollte. Bei den Olympischen Spielen 1936 beispielsweise propagierte man sogar das Gewerbe käuflicher Liebe, um möglichst viele Besucher nach Berlin zu locken. Die NS-Behörden erteilten zu dieser Zeit 7.000 Prostituierten eine befristete Sondergenehmigung und zudem war es den Berlinerinnen erlaubt, ihren Rocksaum bis zu fünf Zentimeter nach oben anzuheben.96 Heinrich Himmler97 war sich ebenso bewusst, dass ein komplettes Verbot der Prostitution eher kontraproduktiv sei. Er äußerte sich 1937 dazu in einer Rede vor SS-Gruppenführern folgendermaßen: „Wir werden auf dem Gebiet [Anm.: der Prostitution] großzügig bis dorthinaus sein, denn man kann nicht einerseits verhindern wollen, daß die ganze Jugend zur Homosexualität abwandert und andererseits jeden Ausweg sperren. Das ist Wahnsinn.“98
Die Großzügigkeit beschränkte sich hier allerdings nur auf die Freier. Die militärischen Interessen bewirkten auch künftig keinerlei Zurückhaltung in der Verfolgung von Prostituierten. Ganz im Gegenteil: Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 verschärften sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der käuflichen Liebesdienerinnen noch einmal erheblich. Sie wurden in Bordellen bzw. in eigens errichteten Wehrmachtsbordellen kaserniert, strengstens reglementiert, polizeilich erfasst und gesundheitsamtlich überwacht. In nie gekannter Härte wollte nun die Polizei das Dirnenwesen vollständig und umfassend kontrollieren. Prostitution auf den Straßen und an Plätzen wurde völlig untersagt99 und nur in besonderen Häusern erlaubt. Sollten solche Häuser nicht bereits zur Verfügung stehen, so hatte die Polizei diese bereitzustellen. Dabei mussten sie den „allgemeinen rassischen Grundsätzen“ nachkommen, wonach auch „nicht-deutschblütige Prostituierte“ zugelassen wurden – mit Ausnahme von jüdischen Frauen.100 Am 9. September 1939 forderte das Reichsinnenministerium die polizeiliche Erfassung aller Dirnen an101 und noch am selben Tag wurden entsprechende Regeln für Prostituierte wie auch Vermieter erlassen. So hieß es in einem vertraulichen Rundschreiben, dass Straßenmädchen nur in festgelegten Räumlichkeiten ihre Kunden anwerben, sich nachts nicht außerhalb ihrer Wohnung und tagsüber nicht an bestimmten öffentlichen Orten aufhalten durften. Der Kontakt zu Zuhältern war verboten, genauso wie der Gebrauch von sadomasochistischen Utensilien. Ein Wohnungswechsel musste gemeldet werden und die regelmäßige Kontrolle beim Arzt war Pflicht. Zudem mussten die Prostituierten beim Geschlechtsverkehr Schutzmittel verwenden102, obgleich diese bis zum Kriegsausbruch offiziell verboten waren.103 Die Verhütungsmittel dienten zum einen dazu, dass sich die „Asozialen“ nicht weiter fortpflanzten, und zum anderen hatte Heinrich Himmler Interesse daran, das männliche Sperma aufgrund rassentheoretischer Grundlagen erforschen zu lassen. Zu diesem Zwecke mussten die Dirnen der Stuttgarter Klosterstraße beispielsweise die gefüllten Präservative nach dem Verkehr in dafür vorgesehenen Behältern zur Abholung aufbewahren.104
Am 18. September 1939 wurde zudem die verstärkte Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten angeordnet.105 Propagandaminister Joseph Goebbels beklagte, dass 15 Prozent aller bei einer Razzia 1942 aufgegriffenen Frauen geschlechtskrank, teils syphilitisch gewesen seien.106 Die größte Gefahr sah man in der heimlichen, unkontrollierbaren Prostitution.107 Sogenannte „Fürsorgestreifen“108 sollten von nun an noch verschärfter nach „h.w.G.-Personen“ fahnden. Das nationalsozialistische Bordellsystem in Deutschland sollte lückenlos erfasst sein und so forderte der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich109, in einem Rundschreiben an alle deutschen Kriminalpolizeistellen vom Mai 1941 eine konkrete Auflistung existierender Bordelle, Angaben zu ihren rassenpolitischen und militärischen Zweckbestimmungen sowie zu Anzahl und Nationalität der Prostituierten.110 Wer sich der Registrierung entzog oder am Straßenstrich gefasst wurde, dem drohte wegen „Asozialität“ Konzentrationslager mittels Vorbeugehaft.111 Wie viele Prostituierte genau in KZs eingeliefert wurden, ist nicht bekannt.112
Dass Bordelle unter dem Nationalsozialismus nicht völlig eliminiert wurden, hängt nicht zuletzt mit Heinrich Himmlers bereits vor Ausbruch des Krieges geäußerten und schon zitierten Befürchtung zusammen, dass besonders junge Männer der Homosexualität anheimfallen könnten, wenn ihnen jegliche Möglichkeit zu käuflichem Sex verwehrt würde. Und der Umgang mit Homosexualität gestaltete sich im Dritten Reich rigoros. Innerhalb der SS und der Polizei wurden homosexuelle Beziehungen ab November 1941 sogar mit der Todesstrafe geahndet.113 In Himmlers Erlass vom 15. November 1941 zur „Reinhaltung von SS und Polizei“ heißt es dazu:
Um die SS und Polizei von gleichgeschlechtlich veranlagten Schwächlingen reinzuhalten, hat der Führer bestimmt, daß ein Angehöriger der SS oder Polizei, der mit einem anderen Manne Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, ohne Rücksicht auf sein Lebensalter mit dem Tode bestraft wird. In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder auf Gefängnis nicht unter sechs Jahren erkannt werden.114
Als eine Art „präventive Maßnahme“, die derartigen homosexuellen „Entartungen“ Vorschub leisten sollte, wurden während des Zweiten Weltkrieges KZ- und Wehrmachtsbordelle eingerichtet.
1.3 KZ- und Wehrmachtsbordelle
Die eigens eingerichteten Bordelle in den Konzentrationslagern und Wirkungsstätten der Wehrmacht könnten gar nicht weiter entfernt sein von den oft primitiven „Nuttenbetrieben“ für „Asoziale“ und einfache Soldaten einerseits und den Plüschsalons der Luxusklasse für die Mächtigen und Reichen − wie der „Salon Kitty“ einer war – andererseits. Dennoch oder gerade deshalb gestatten diese Einrichtungen einen interessanten Einblick in das gespaltene und teils auch schlichtweg masochistisch-sadistische Denken