Gottes Angebote. Manfred Engeli
Die Gefühle zogen ihn zur Geliebten, die Treue seiner Frau und die Erwartungen der Kinder zogen ihn zurück nach Hause. Gegen Ende eines Gesprächs sagte er: „Wenn ich nur wüsste, was Gott mir raten würde!“ Ich war überrascht – das war doch klar. Ich hätte ihn an Maleachi 2,15–16 erinnern können. Aber die innere Stimme hielt mich zurück, ihm eine Antwort zu geben. So fragte ich nur: „Wollen Sie es wirklich wissen?“ „Ja“, sagte er. „Dann bitten wir jetzt Gott, dass er es Ihnen bis zum nächsten Gespräch zeigt.“ Als wir das getan hatten, entließ ich ihn. Was würde nun geschehen?
Er war ganz beglückt, als er das nächste Mal kam: „Er hat es mir wirklich gezeigt, es ist ganz klar: Ich kehre zu meiner Frau und meiner Familie zurück.“ „Wie hat er es Ihnen gezeigt?“, fragte ich ihn. „Er hat mir die Liebe zu meiner Frau wieder geschenkt.“ Welch liebevolle, gnädige Antwort von Gott! Darauf wäre ich nie gekommen.
Als Schöpfer-Gott mit unendlicher Kreativität fehlt es ihm nie an Lösungen und Wegen. Auch seine individuellen Angebote sind immer Ausdruck seiner Weisheit und seiner allparteilichen39 Liebe. Gottes Lösungen machen uns nie von anderen Menschen abhängig; er selber tritt in die Lücke und schenkt uns, was wir brauchen. Sie bewirken zudem den größtmöglichen Segen für alle Beteiligten. Auch dazu ein Beispiel aus der Praxis (Beispiel 6):
In einem Paargespräch ging es um das Chaos, das jeweils losbrach, wenn der Mann abends nach Hause kam und mit den Kindern noch etwas „Freude“ haben wollte. Seine Frau fürchtete sich oft vor seiner Heimkehr: In kurzer Zeit brach die sorgfältig bewahrte Atmosphäre von Frieden zusammen; es war häufig kaum mehr möglich, die Kinder vor dem Schlafengehen wieder zur Ruhe zu bringen. Beide waren frustriert: Der Mann, weil ihm seine Frau die Freude mit den Kindern anscheinend „nicht gönnte“, und die Frau, weil er die Bemühungen eines ganzen Tages jeweils „in kürzester Zeit zunichtemachte“40. Welches konnte hier Gottes Lösung sein? In einer Hör-Stille machte Gott dem Mann ein Angebot: „Ich hänge dir meine Freude an die Klinke der Haustüre. Wenn du heimkommst, kannst du sie anziehen, bevor du hinein gehst.“ Dies empfand auch die Frau als Geschenk für sie; sie verstand, dass Gottes Freude nicht Chaos stiftet, sondern den Frieden bewahrt.41
Gottes Lösungen und Angebote sind oft so überraschend und unerwartet, dass sie Erstaunen auslösen. Was mir dabei besonders aufgefallen ist, ist Gottes feiner Humor, der dem Klienten eine hilfreiche Distanz zu seinem Problem ermöglicht. So ist in meinen Gesprächen auch immer wieder ein herzhaftes Lachen ausgebrochen. Selbst mir gegenüber hat Gott seinen Humor schon oft eingesetzt (Beispiel 7):
In einer meiner ersten Gebetsseelsorge-Wochen, an der ich teilnahm, erzählte mir ein Seelsorger gegen Ende der Seelsorgezeit ein inneres Bild, das Gott ihm für mich geschenkt hatte: Ich lief kreuz und quer auf einem Hügel umher; über mir schwebte ein kleines Wölkchen, aus dem Segens-Regen auf mich fiel. Dazu kam einfach der Satz: „Könntest du es mir ein bisschen einfacher machen und weniger umher rennen?“ Wie liebe- und humorvoll Gott seinen Rat ausgedrückt hatte, brachte uns zum Lachen.
Das Bild sprach zu mir und prägte sich mir ein. Wenn ich dann später wieder in der Gefahr stand, überaktiv zu werden, hörte ich in mir nur: „Wölkchen!“ Und dann wusste ich, was Gott sich jetzt wünschte.
Impulse zur Vertiefung:
Wenn ich aus Gottes Angeboten leben will – mit welchem beginne ich?
Wie kann ich Gottes individuelle Angebote und Lösungen persönlich erfahren?
1.4. Gottes Wege
In Gottes Wort können wir nicht nur Angebote, sondern auch Wege entdecken, wie wir zum Ziel kommen können. In den Hinweisen zu den drei Angeboten Gottes habe ich einige wichtige Wege Gottes bereits angedeutet. Was ist aber mit dem Begriff der „göttlichen Wege“ gemeint? Darunter verstehe ich die Art, wie das Ziel der Neuschöpfung angestrebt werden kann.
Gottes Wege stehen oft im Gegensatz zu unseren menschlichen Theorien und Wegen, an denen wir trotz aller Misserfolge oft hartnäckig festhalten. Es soll genügen, an einige zu erinnern: „Wenn man etwas begriffen hat, kann man es auch tun“; „Man kann, wenn man will“; „Ohne Fleiß, kein Preis“ usw. In der Realität unseres Lebens bewähren sich diese Theorien aber nicht. Die menschlichen Wege haben viel mit Anstrengung, Mühsal und selbstverdientem Erfolg zu tun. Sie überschätzen die Möglichkeiten des Menschen und überfordern ihn.
Es gibt aber auch christlich-religiöse Handlungsanweisungen, welche an der Realität des Menschen vorbeigehen und ihn überfordern, indem sie das Ziel durch eigene Leistung und Anstrengung erreichen wollen: „Man muss nur tun, was die Bibel sagt“, verbunden mit der Aufforderung zu einem Willensakt, bei dem die Seele nicht mitkommt.42 „Man muss nur richtig beten, dann …“, verbunden mit einem Gebets-Programm, durch welches der Erfolg garantiert werden soll.43 „Reiß dich ein bisschen zusammen; den Rest, den du nicht tun kannst, den tut Gott dann schon“, als ob Jesus nicht alles für uns vollbracht hätte. Gottes Wege verlangen ganz andere innere Haltungen: Das ehrliche Eingeständnis des Unvermögens, Demut, bitten können, ein unverdientes Geschenk annehmen und Dankbarkeit. Sie sind Ausdruck von Gottes Gnade, seinem stellvertretenden Handeln und seiner Barmherzigkeit.
Auf Gottes Wegen können wir seine Angebote in Besitz nehmen und durch seine Kraft von innen heraus verändert werden. Sie führen alle auf’s Ziel der Neuschöpfung zu. Wenn wir uns im Gespräch von ihm führen lassen, wird Gott uns zeigen, auf welchen seiner Wege er diese Person jetzt führen will.
Hier nun ein Überblick über die Wege, die Gott uns anbietet:
Übersicht 5 |
Gottes Wege |
Eine nach vorne gerichtete, durch den Glauben geprägte, finale Haltung: Jes 43,18–19; Phil 3,12–14 |
Sich nach dem neuen Herzen ausstrecken: Spr 23,12.26; Hes 36,26–27; Gal 4,6; |
Bitten – empfangen: Jak 4,2–3; Mt 7,7–11; Joh 15,16; Mt 18,19–20 |
Sein Verhalten wie ein altes Kleid ausziehen – das von Gott bereitgestellte neue anziehen: Gal 3,27; Eph 4,22–24; Kol 3,7–10 |
In der von Gott geschenkten „Neuheit des Lebens“, im Licht und in den vorbereiteten Werken „wandeln“: Röm 6,4; 1. Joh 1,7; Eph 2,10 |
Gott Raum geben, damit seine Frucht in uns wächst: Joh 15,1–8.16; Gal 5,22 |
Mit Dankbarkeit begießen, was Gott in unserem Leben pflanzt: Ps 50,23; 1Thess 5,18; Phil 4,6; Kol 3,15 |
Auch hier soll ein Beispiel wieder Klärung bringen (Beispiel 8):
Das Ergänzungsmuster dieses Paares war sehr herausfordernd: Er war aufgrund seiner Herkunft und seiner Kindheit ein intellektueller Chaot; sie entstammte einer wohlgeordneten, kleinbürgerlichen Familie; beide standen im Glauben. Die Frau hatte lange versucht, sich immer wieder neu auf die sprunghaften, für sie unverständlichen und verletzenden Entscheidungen ihres Mannes einzulassen; sie hatten ihr und den Kindern viel Unsicherheit beschert. Diese unvermittelten Kurswechsel hatte sie als Treubruch erlebt und mit der Zeit begonnen, auf Distanz zu gehen und ihm sein ungutes Verhalten bei jeder Gelegenheit vorzuwerfen. In unseren Paargesprächen machte er klare Schritte der Veränderung; sie aber fuhr fort, ihn durch Liebesentzug zu bestrafen.
Eines Tages stießen wir auf folgenden Satz von Paulus: „Lasst alle Menschen eure Freundlichkeit spüren.“44 Wir sprachen darüber, dass diese Freundlichkeit eigentlich zur „Grundausstattung“ des neuen Menschen gehöre. Ich fragte die Frau: „Spüren Sie, dass Gott diese Freundlichkeit in Sie hineingelegt hat?“ „Ja.“ „Auch Ihrem Mann gegenüber?“ Sie schaute mich verschmitzt an: „Ja, auch ihm gegenüber.“ „Wollen Sie sie ihn nicht von Zeit zu Zeit spüren lassen?“45 „Nein, das möchte ich nicht.“ „Nun“, sagte ich, „das ist Ihre freie Entscheidung. Wichtig ist, dass Sie spüren, dass die Freundlichkeit in Ihnen da wäre.“
Sie tat es dann im Nachhinein doch, sogar immer häufiger. Der Zeitpunkt aber, wo sie bereit war, den anderen göttlichen Weg bewusst zu beschreiten, „sein Verhalten wie ein altes Kleid ausziehen – das von Gott bereitgestellte neue anziehen“, kam erst nach einigen Gesprächen.