Gottes Angebote. Manfred Engeli
Dr. Manfred Engeli, geboren 1937, ist Psychologe und Psychotherapeut. 20 Jahre lang leitete er die Christliche Beratungsstelle Bern. Heute widmet sich der Paar- und Familientherapeut vor allem der Ausbildung von Seelsorgern.
Er ist verheiratet mit Anne-Fleurette Engeli-Méroc; die beiden haben fünf erwachsene Kinder und leben bei Bern.
Vorwort
Vor einigen Jahren fiel mir in einer psychologischen Fachzeitschrift der Titel eines Artikels auf: Lösungen erfinden statt Probleme lösen – Lösungsorientierte Kurzzeittherapie1. Er löste bei mir ein Aha-Erlebnis aus: „Das ist es! Der Titel umschreibt meine Arbeitsweise!“ Was mich damals angesprochen hat, ist der hier indirekt ausgedrückte Wechsel von einer vergangenheitsbezogenen zu einer vorwärtsgerichteten Sicht- und Arbeitsweise, von der Problemorientierung zu einem lösungsorientierten Vorgehen, und das Bestreben, mit einer Kurzzeittherapie nachhaltige Veränderung zu bewirken. Dabei wurde mir aber auch das Privileg meines christlichen Ansatzes bewusst: Ich brauche mit dem Klienten keine Lösungen zu „erfinden“; es geht in einem Gespräch jeweils einfach darum, miteinander zu entdecken, welche einmalige Lösung Gott in seiner liebevollen, schöpferischen Kreativität für mein Gegenüber vorbereitet hat, und ihm zu helfen, Gottes Angebot anzunehmen. Diese Feststellung hat mich tief beglückt. Die „gute Nachricht“ von Gottes Angeboten zur Lösung unserer Nöte, die ich in meiner therapeutischen Tätigkeit entdeckt habe, will ich an andere weitergeben. Das ist der Sinn dieses Buches.
Einführung ins Thema
Meine Arbeitsweise hat sich in meiner mehr als zwanzigjährigen vollzeitlichen Tätigkeit als christlicher Psychotherapeut entwickelt und immer klarer herausgebildet. Dabei kam mir die Herausforderung zustatten, meinen ganz in der Praxis entwickelten Ansatz in Seelsorgeaus- und -weiterbildungen immer wieder theoretisch und biblisch klar begründen und einfach, verständlich und praxisbezogen lehren zu müssen. Erst durch die Ausbildungstätigkeit wurde mir bewusst, dass sich in meiner Arbeit ein eigenständiger, kohärenter Ansatz entwickelt hatte, den nicht nur Psychotherapeuten, sondern auch Laienseelsorger aufnehmen und umsetzen können. Was ich hier weitergebe, ist also die Frucht meiner Erfahrung als Psychotherapeut und Ausbilder. Es ist aber auch Ausdruck der Entwicklung meiner Denkweise und meiner Person; das Vermittelte soll in Übereinstimmung mit meinen tiefsten Überzeugungen stehen2, es soll „Golddeckung“3 haben in meinem Leben.
Auch für mich gilt die Regel: Wir haben die Meinungen und Theorien, die sich aus unserem Leben ergeben, und vertreten das, wovor wir selber bestehen können. Deshalb will ich Ihnen als Leser zunächst meinen persönlichen Weg und die Hintergründe meiner Überzeugungen offenlegen.
Nach fünfzehn Jahren Lehrtätigkeit in den Fächern Deutsch, Französisch und Geschichte entschloss ich mich mit 38 Jahren, das Psychologiestudium an der Universität Bern aufzunehmen. Als Nebenfächer wählte ich Psychopathologie und Schweizergeschichte. Schon während des Studiums begann ich mit einer Ausbildung in Verhaltens- und in Gesprächspsychotherapie. 1982 promovierte ich mit dem Thema: „Das handlungsbegleitende laute Selbstgespräch“. Nach dem Abschluss begann ich, psychotherapeutisch zu arbeiten, und baute die Christliche Beratungsstelle Bern auf. Ausbildungsmäßig bin ich Gesprächspsychotherapeut und Supervisor SGGT, Fachpsychologe FSP für Psychotherapie und habe später noch eine Weiterbildung in Paar- und Familientherapie gemacht. Ich und die wachsende Zahl meiner Mitarbeiter4 – zuerst eine Psychologin, dann ein Psychiater, eine Psychiaterin und ein Psychologen-Ehepaar – hatten uns zum Ziel gesetzt, unsere ausbildungsspezifische Arbeitsweise mit dem christlichen Glauben zu verbinden. Dies wurde zum Markenzeichen der Christlichen Beratungsstelle. Es zeigte sich sehr rasch, dass dieses Angebot einem großen Bedürfnis gläubiger Menschen entsprach. Trotz der wachsenden Mitarbeiterzahl wurde der Zudrang so stark, dass ich pro Jahr oft bis zu hundert Menschen die gewünschte Therapie versagen musste und ihnen höchstens ein einzelnes Gespräch anbieten konnte. Seit 2002 bin ich nun pensioniert; die anderen Therapeuten führen das Christliche Therapiezentrum im Siloah Gümligen, wie die Beratungsstelle nun heißt, weiter.
Von Anfang an war es mein Ziel gewesen, zuerst die psychologische Sicht des Menschen und die menschlichen Hilfsangebote kennen zu lernen und dann zu entdecken, welche Angebote Gott, der Schöpfer des Menschen, für diesen hat. Zu Beginn meiner Tätigkeit erlebte ich dann die freisetzende und verändernde Kraft des Glaubens an mir selbst: In einer Woche für Gebetsseelsorge erfuhr ich eine befreiende und tief greifende Veränderung meiner Person. Gott hat mich mit dem Geschenk der Freiheit der Kinder Gottes, dem Leben aus der Liebe des Vaters und der Hilfe des Heiligen Geistes so überrascht, dass ich den Entschluss fasste, ihm mein ganzes Wissen und Können abzugeben; er sollte darüber verfügen können und mich durch seinen Geist leiten. Das eigene beglückende Erleben hat den Wunsch geweckt, anderen Menschen die gleiche Erfahrung zu ermöglichen. Es hat die weitere Entwicklung meiner therapeutischen Tätigkeit stark bestimmt und zudem zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Zusammenspiel von psychologischen Kenntnissen, psychotherapeutischen Vorgehensweisen und der Kraft des Glaubens geführt.5
Auch meine Zertifizierung als Gesprächspsychotherapeut wurde zu einer überraschenden Erfahrung. Ich hatte mich mutig entschlossen, den Experten Therapien und Tonbänder vorzulegen, die mein Einbeziehen des Glaubens in klarer Weise dokumentierten. Nun war ich gespannt auf ihre Reaktion. Würden sie mir die Zertifizierung verweigern? Das Gegenteil trat ein. Der eine Experte sagte: „Ich beneide diese Frau um das Veränderungspotential, das in ihrem Glauben liegt.“ Der andere ging noch weiter: „Was in dieser Therapie geschehen ist, beeindruckt mich so …; eigentlich müsste ich persönliche Schritte tun in dieser Richtung.“ Dann ermutigten sie mich, über das Thema „Der christliche Glaube als Veränderungspotential“ zu schreiben.6 Diese erstaunlichen Reaktionen werden verständlicher, wenn man den überzeugungsmäßigen Hintergrund der Gesprächspsychotherapie kennt: Sie geht davon aus, dass das Beziehungsangebot des Therapeuten das eigentliche therapeutische Agens ist. Das Veränderungspotential des Klienten wird durch eine therapeutische Haltung von bedingungsloser Wertschätzung, Empathie (einfühlendes Verstehen) und Kongruenz (Echtheit) freigesetzt. Damit wird Gott zum besten therapeutischen Gegenüber, denn er verkörpert diese Haltung in vollkommener Weise, und die Gottesbeziehung wird zum idealen Raum für tief greifende Veränderung. Für jede Art von christlicher Psychotherapie oder Seelsorge müsste die Arbeit mit dem Klienten an einer durch Liebe geprägten Gottesbeziehung eigentlich zur Priorität Nr. 1 werden.
Die Erfahrungen des Anfangs haben sich in der Folge vertieft und bestätigt. Ich könnte meine Überzeugung heute so zusammenfassen: Gott ist in jeder helfenden Tätigkeit der eigentlich Wirkende; es ist seine Gnade, die dem Menschen Veränderung ermöglicht7. Der Ausruf Jesu am Kreuz: „Es ist vollbracht“8 bedeutet, dass alles, was zur Freisetzung, Stillung, Heilung und Veränderung eines Menschen nötig ist, schon für ihn bereitsteht. Wenn ein Mensch im Glauben sich nach Gottes Angeboten ausstreckt, kann seine Kraft viel mächtiger wirksam werden.9 Dort, wo die Motivation eines Klienten aus dem Glauben kommt und er Gott vertraut, steigern sich die Intensität, die Effizienz, die Kürze und die Nachhaltigkeit des therapeutisch-seelsorgerlichen Prozesses. Je mehr Gott in den Gesprächen direkt zum Zuge kommt, desto effizienter werden sie. Durch das Einbeziehen des Glaubens erhöht sich die Kompetenz des Helfers. Als Gottes Mitarbeiter tätig zu sein, bewirkt viel Entlastung, bringt aber auch große Herausforderungen mit sich und bedingt eine eigene, anspruchsvolle Professionalität. Auf der Basis des Glaubens Hilfe anzubieten, verstehe ich als ein fachkompetentes Handeln in Verantwortung vor Gott, dem größten therapeutischen Experten, dessen Mitarbeiter wir sind.
Was ist nach meiner Grundentscheidung, mich Gott zur Verfügung zu stellen und ihm all mein Wissen und Können abzugeben, geschehen? Aus dem Neuen, das ich in der Zusammenarbeit mit ihm entdeckte, dem psychologischen Wissen, an das Gott mich von Zeit zu Zeit erinnerte, gewissen therapeutischen Regeln, die sich von ihm her bestätigten, und der wachsenden praktischen Erfahrung hat sich mein Ansatz Schritt um Schritt entwickelt. Er ist für mich ein unteilbares Ganzes geworden. Auf die immer wieder gestellte Frage: „Welches ist der Anteil Ihres Psychologiestudiums