Der Geruch des Todes. Cat Warren
nichts gefunden hatte.
Qualvoll langsam verstrichen die Minuten, in denen Andy fürchtete, dass Rufus vielleicht falsch gelegen hatte. Die Ermittler bearbeiteten den Beton neben der Stelle, an der Rufus angezeigt hatte, mit einem Presslufthammer, gruben dreißig Zentimeter tief und stießen auf elektrische Leitungen. Erneut wurde Rufus zurate gezogen. Dieser, erinnert sich Andy, begann, „sich nach China durchzugraben.“ Die Ermittler schaufelten weiter. Nur ein wenig tiefer leuchtete ihnen ein kleiner Gegenstand entgegen: die zweite Hälfte des Eulen-Schlüsselanhängers, der in Robins Auto gefunden worden war. Sie gruben weiter und fanden Robin in 1,20 Meter Tiefe, unter dem Beton und einer Schicht Kalk.
Die Leichenspürarbeit stellte eine neue und faszinierende Hundekarriere dar, und anfangs vertaten sich die Journalisten manchmal mit den Begriffen. Rufus, schrieb ein Zeitungsreporter ebenso ernst wie falsch, war „einer von acht,toten Hunden’ “ in den USA; der einzige in New England. Derartige Berichte über Rufus’ Tod waren vorschnell. Im Laufe seiner Karriere sollte er noch sechsundzwanzig Leichen aufspüren.
Ob die Beziehung von Andy Rebmann und Jim Suffolk auf jener Polizeikonferenz endete, noch bevor sie richtig begonnen hatte? Nein, keineswegs. Ein Bild in einer Vermonter Zeitung von 1986 zeigt die beiden, wie sie ihre Leichenhunde bei Ermittlungen in einem Mordfall einsetzen. In seiner frisch gebügelten Khakiuniform, mit seinem freundlichen Lächeln und dem Blick direkt in die Kamera sieht Jim aus, als wäre er einem Werbeplakat entsprungen. Andy, schräg zur Kamera, wirkt zwanglos, ja fast schon unverschämt mit Jeans und T-Shirt, schiefer Baseballkappe und einem breiten Grinsen. Jim Suffolks Schäfer ist ein großer Rüde namens Argus. Neben Andy sitzt Rufus’ Nachfolgerin: eine grazile, leicht gebaute Schäferhündin, die er Dupa genannt hatte − Polnisch für „Hintern“ oder „scharfe Puppe“. Nach einer Personensuche in einer polnischen Nachbarschaft bestand die Polizei von Connecticut auf einen neuen Namen. Von da an nannte er sie Lady.
Wie Rufus vor ihm arbeitete auch Lady für ihr Futter und lehrte Andy mehr über die Fähigkeit des Hundes, Tote zu finden. Mitte Januar 1987 ging es nicht um eine vergrabene, sondern um eine in alle Winde verstreute Leiche − ein Fall, an dem auch der forensische Wissenschaftler Henry Lee arbeitete, der später als Verteidigungsexperte im O.J.-Simpson-Prozess Berühmtheit erlangen sollte. Der Fall inspirierte die Coen Brothers zum schwarzhumorigen Film Fargo. Kurz nachdem Stewardess Helle Crafts den Scheidungsprozess gegen ihren notorisch untreuen Ehemann Richard Crafts, einen Piloten, eingeleitet hatte, wurde sie als vermisst gemeldet. Ihr Mann hatte seine Kreditkarte verwendet, um eine Häckselmaschine zu mieten, eine Gefriertruhe und eine Kettensäge zu bezahlen. Ein Schneepflugfahrer berichtete, dass er während eines Schneesturms mitten in der Nacht einen Mann mit einer Häckselmaschine am Ufer des Housatonic River in Connecticut habe arbeiten sehen.
Ladys mühsame Aufgabe war es, einen Berg gefrorener Hackschnitzel nach dem anderen, die man am Ufer zusammengerecht hatte, mit der Nase zu durchforsten. Einer der Berge war besonders interessant: Lady zeigte an. Das war es! Was sie gefunden hatte, war zwar winzig, aber dennoch menschlich. Dank Ladys Anzeigen fand die Polizei ganze sechzig Knochensplitter, etwas Blut und blonde Haarsträhnen, einen Zahn mit einer Goldkrone und einen Fingernagel, dessen Farbe mit einer Flasche Nagellack in Helle Crafts’ Badezimmerschrank übereinstimmte. Zum ersten Mal in der Geschichte von Connecticut kam es zu einer Verurteilung in einem Mordfall, obwohl es keine Leiche gab: 1990 wurde Richard Crafts zu fünfzig Jahren Gefängnis verurteilt. Er kann frühestens im August 2021 im Alter von vierundachtzig Jahren entlassen werden.
Ein weiterer Zweck [dieser Erfindung] ist es, eine Hochbaumethode zu schaffen, welche die Gefahren, die mit der Arbeit in großer Höhe einhergehen, auf ein Minimum reduziert.
- Patentbüro Nr. 2.715.013 der Vereinigten Staaten, 9. August 1955 -
Ende April 1987, nur drei Monate nach dem Helle-Crafts-Fall, setzte Andy seine Leichenspürhunde erstmals für jenen Zweck ein, den sich das Militär und das Southwest Research Institute ursprünglich vorgestellt hatten: eine Katastrophe − die größte in der jüngeren Geschichte Connecticuts.
In Bridgeport stürzten zwei sechzehnstöckige Betongebäude, die sich erst im Aufbau befanden, in sich zusammen. Innerhalb weniger Sekunden war L’Ambiance Plaza ein Trümmerhaufen. Innerhalb weniger Stunden waren Andy und Lady sowie einige weitere Hundeführer der Polizei von Connecticut vor Ort. Sie sahen sich einem Berg geborstener Betonplatten, verbogenen Stahls und Bewehrungsstahl gegenüber. Zentimeter für Zentimeter bewegten sich die Hunde und ihre zweibeinigen Partner über die Trümmer. Die Deutschen Schäferhunde zeigten den Fund von Leichen an, manchmal an klaffenden Löchern, manchmal am Rande der zerbrochenen Platten; wo immer Geruch entkommen konnte.
Obwohl es noch früh war, wurde den Bauarbeitern und ihren Familien schnell bewusst, dass es sich hierbei weniger um eine Rettungs-, sondern eher um eine Bergungsaktion handelte. Zweiundzwanzig Arbeiter waren verletzt, einige von ihnen schwer − sie hatten das Glück gehabt, von der beim Einstürzen entstehenden Druckwelle von den Etagen ins Freie gefegt statt darunter zerdrückt worden zu sein. Die Hunde inhalierten Zementstaub und zeigten an − immer und immer wieder. Dann setzte der kalte Frühlingsregen ein, verwandelte den Staub in Schlamm, machte den Untergrund noch trügerischer und intensivierte das kalte, grelle Licht der Scheinwerfer auf dem Schuttberg.
Die Hunde halfen dabei, alle achtundzwanzig Opfer zu finden. Italoamerikanische, afroamerikanische und irischamerikanische Arbeiter, deren Körper so zugerichtet waren, dass Andy meinte, niemals zuvor oder danach Vergleichbares gesehen zu haben. Und Andy hat fast alles gesehen, was Menschen oder die Natur anzurichten in der Lage sind. „Es verfolgt mich noch heute“, gibt er zu.
L’Ambiance Plaza macht ihn heute noch wütend. Schnell, billig − und gefährlich. Es macht auch mich noch heute wütend. Wie es eine Laune des Schicksals wollte, stellten Andy und ich ein Vierteljahrhundert später fest, als wir einander persönlich kennen lernten, waren wir einander damals wahrscheinlich vor den Trümmern der Gebäude begegnet. Mehrere Tage lang koordinierte Andy die Suche und die Spürhundeteams, bis die letzte Leiche geborgen war. Als Reporterin für den Hartford Courant war ich nur einen Tag lang vor Ort. Es liegt in der Natur der Sache, dass alle Katastrophen schrecklich sind, doch diese war die schlimmste, über die ich jemals berichtet hatte. Ich spielte nur eine winzige Rolle, als ich einen kalten Tag und eine noch kältere Nacht lang Bereitschaft hielt für den Fall, dass weitere Verletze oder Opfer gefunden würden. Reporter und Ermittler kamen zu dem Schluss, dass mit der als effizient und ökonomisch angepriesenen Bauweise etwas katastrophal schiefgelaufen war. Nach dem Vorfall wurde das Hubplattenverfahren bis auf Weiteres völlig aus der Architektur verbannt. Mittlerweise darf wieder so gebaut werden; dennoch wird in den USA bis heute kaum im Hubplattenverfahren konstruiert.
Die Tatsache, dass Andy und ich einander während der furchtbaren Tage in Bridgeport nicht kennen lernten, änderte vermutlich nichts am Verlauf meines Lebens. Ich bezweifle, dass ich an jenem Punkt meiner Zeitungskarriere begonnen hätte, Hunde für die Sucharbeit zu trainieren. Erst im mittleren Alter sollte Solo mich dafür begeistern.
Unsere Begegnung war nicht der einzige sonderbare Zusammenhang, auf den ich aufmerksam wurde. Im Zuge meiner Recherchen zum SwRI und seiner Rolle in der Hundeforschung stieß ich auf eine ganz andere Erfindung des Institutsgründers. 1848 hatte Tom Slick Jr. ein „Gerät zur Errichtung eines Gebäudes“ patentieren lassen. Als die alten Tintenzeichnungen meinen Bildschirm füllten, erkannte ich die Umrisse einer Hochbautechnik, die ich seit L’Ambiance Plaza im Schlaf erkannt hätte: Flaschenzüge, Pumpen und Betonplatten. Slick hatte das Hubplattenverfahren erfunden.
Andy fand die besten Worte: „Was für ein Zufall! Er finanzierte die Ausbildung jener Hunde, deren Arbeit darin bestehen sollte, die Opfer seiner gescheiterten Erfindung zu bergen.“
Kein Gebrauchshundeführer war überrascht, als Andy gemeinsam mit Edward David und der forensischen Anthropologin Marcella Sorg jenes Buch schrieb, das bald zur Bibel der Leichenspürhundetrainer und -führer werden sollte: Das Cadaver