Der Geruch des Todes. Cat Warren

Der Geruch des Todes - Cat Warren


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Testreihe. Nick schloss die Studie im Mai 1973 ab, und von nun an hatten die Hunde Katastrophen-Bereitschaftsdienst.

      Lückenhafte Aufzeichnungen machen es schwierig, genau zu rekonstruieren, wer wann was tat. Menschen sterben. Erinnerungen verblassen. Teile der Arbeit wurden geheim gehalten. Als Nick seinen Abschlussbericht vorlegte, forschte das Southwest Research Institute jedenfalls auch bereits daran, ob Hunde helfen könnten, Tote zu finden.

      Was als Nächstes passierte, ist bekannt. Anders als Nick erwartet hatte, erforderte es weder einen Hurrikan noch eine Überflutung, um den Schritt von spekulativen Militärversuchen in Texas und Maryland zu handfester Leichenspürhundearbeit im Feld zu machen, sondern eine brutale Ermordung im südlichen New Yorker Adirondack-Gebirge. Mary Rose Turner, eine Mutter von fünf Kindern, die unter Depressionen und Schlaflosigkeit litt, verließ ihr Haus am 26. April 1973 in den frühen Morgenstunden. Ihr Spaziergang führte sie an Bohlings Shell-Tankstelle im ländlichen Syracuse vorbei, wo ein Mann namens Bernard Hatch Nachtdienst hatte.

      Später am selben Morgen sah ein Zeuge ein Auto, das „einen 1,80 Meter langen Gegenstand“ hinter sich herschleifte. Da ihm die Szene nicht aus dem Kopf ging, führte er die New Yorker Polizei in die Potato Hill Road in Steuben, New York. Die blutige Schleifspur war fast fünfzehn Kilometer lang. Drei Tage später fand die Polizei das, was von Mary Turner übrig war, in einem flachen Grab. Ihr Körper war nicht nur durch das Hinterherschleifen, sondern auch durch Zerstückelung verstümmelt worden.

      Langsam und unerbittlich häuften sich die Beweise gegen Bernie Hatch. Am 17. Oktober 1973 klagte ihn ein Geschworenengericht des Mordes an Mary Turner an. Doch die Geschichte ging noch weiter. Nur eineinhalb Monate nach der Anklage fanden Jäger die Überreste, hauptsächlich Knochen, der zweiundzwanzigjährigen Linda Cady und ihrer dreijährigen Tochter Lisa Ann. Sie waren zweieinhalb Jahre zuvor verschwunden und nur wenige hundert Meter von Mary Turners Fundstelle vergraben worden.

      Die Beziehungen der Opfer, der Fundort und Hatch wirkten nicht wie ein Zufall. Cady und Hatch waren mehrere Monate lang miteinander ausgegangen. In Cadys Tagebuch findet sich ein Eintrag über ihre Freude über einen Diamantring, den er ihr geschenkt hatte. Die Polizei begann zu vermuten, dass die Gegend rund um Potato Hill Road ein Massengrab sein könnte, als sie herausfand, dass Hatch nicht nur Verbindungen zu Cady und ihrer Tochter, sondern auch zu einer weiteren vermissten Frau und deren Kindern hatte. Mitte Dezember grasten Suchteams die Gegend ab und fanden unweit von Turners Grab angesengte und halb verbrannte Kinderkleider. Lorraine Zinicolas Familie identifizierte die Kleider − sie gehörten ihren drei kleinen Söhnen. Lorraine Zinicola hatte ebenfalls eine Beziehung mit Hatch geführt. Seit September 1971 galten sie und ihre Söhne als vermisst.

      Die New Yorker Polizei griff zum Telefon, und am 21. Dezember 1973 flog William H. Johnston vom Militärischen Tierwissenschaftsprogramm des Southwestern Research Institute in San Antonio in die kleine Stadt Steuben. Gemeinsam mit der Polizei inspizierte er die Umgebung, die Bodenbeschaffenheit und die Bedingungen für eine Suche vor Ort. Würden die Militärhunde, die lernten, verschüttete Leichen zu finden, in der Lage sein, weitere potentielle Opfer des mittlerweile angeklagten Bernie Hatch zu finden?

      Die Ermittlungsbeamten wandten sich an einen Hundeführer, der zweihundert Kilometer entfernt wohnte: an den New Yorker Landespolizisten Ralph D. Suffolk Jr. alias Jim, dem der Ruf eines brillanten Bloodhoundführers vorauseilte. Er und einer seiner Hunde, Colonel of Redstone, hatten einige Jahre zuvor Berühmtheit erlangt, als sie eine lange Fährte ausarbeiteten, die der Polizei half, drei Räuber zu stellen − 1969 fiel der Schuldspruch an einem New Yorker Strafgericht. Zum ersten Mal in der Geschichte des Staates New York war ein Fährtenhund zur Hilfe genommen worden, um jemanden zu überführen. Der einzige frühere Versuch, das Spurenlesen eines Hundes in ein Urteil miteinzubeziehen, war nicht gut ausgegangen: 1917 hob der Oberste Gerichtshof des Staates New York die Strafe einer Frau auf, die auf Basis der Nase eines Deutschen Schäfers der Brandstiftung verurteilt worden war. Der Hund, verkündete das Gericht, zeige einfach nur Tricks für die Gäste des Hauses.

      Jim Suffolks Bloodhounds zeigten keine Tricks für Gäste. Fast täglich suchten sie nach Menschen. Suffolk gebührt größter Respekt: Er gab unter Eid zu, dass Bloodhounds nicht unfehlbar sind, und seine Ehrlichkeit stärkte die Glaubwürdigkeit der Hunde.

      Die Wissenschaftler am SwRI hatten schon länger auf eine Gelegenheit gewartet, Hunde an heimischen Tatorten einzusetzen, und Suffolk war der ideale Mann für diese Sache. Doch seine treuen Bloodhounds waren dafür nicht geeignet. Sie waren zwar großartig darin, die Lebenden aufzuspüren, doch er brauchte Hunde, die darauf trainiert waren, Tote zu finden.

      Anfang Mai 1974 flog Suffolk nach San Antonio, um mit der neu ins Leben gerufenen Kategorie von Hunden zu arbeiten: mit dem Leichenspürhund, kurz Leichenhund. Suffolk gab Tipps für Training und Führung der Hunde; die Wissenschaftler am SwRI trugen andere Vorschläge bei. Schließlich kehrte Suffolk mit zwei Hunden nach New York zurück. Pearl, eine freundlich aussehende weißblonde Labradorhündin, hatte mit dem, was man sich unter einem geheimen Militärprojekt vorstellt, wenig gemein. Als sie 1974 in Oneida County landete, um Jagd auf die Opfer eines möglichen Serienkillers zu machen, war sie fünf Jahre alt. Auf jedem Schnappschuss hat sie das Maul leicht geöffnet und himmelt entweder Jim oder den Fotografen an. Ob ihr die Person hinter der Kamera wohl einen Keks zustecken würde? Pearl war von einem Ort zum nächsten gesendet worden, um an Rauschgift, Bomben und Landminen zu trainieren. Ihr jüngstes Spezialgebiet waren vergrabene und verschüttete Leichen.

      Pearls Sidekick, Baron von Ricktagfan, ein muskulöser schwarz-blonder Schäferhund, war in Fort Benning bereits als Militärfährtenhund trainiert worden. Mit Baron war nicht zu spaßen, erinnert sich Jim Suffolk, doch er machte seine Arbeit gut.

      Jim Suffolk und seine beiden neuen Leichenhunde machten sich auf in die Wälder von Oneida County, New York. Sie begannen ihre Arbeit in jener Gegend, wo mehrere der Opfer gefunden worden waren. In den folgenden sieben Monaten suchten sie nach weiteren flachen Gräbern, bis Schnee und Eis der Suche ein Ende setzten. Das Suchgebiet umfasste eine Fläche von sechzehn Quadratkilometern, darunter hauptsächlich Pinienwälder, die in den 1930ern gepflanzt worden waren. Sie verbrachten dreiundachtzig Tage in den Wäldern.

      Gelegentlich wurde die Suche unterbrochen, um sich noch wichtigeren Polizeiangelegenheiten zu widmen, darunter Pearls Suche nach Bomben am Oneida-County-Flughafen, bevor Vizepräsident Gerald Ford hier landete. Pearl fand nur das Trainingsmaterial, welches der Geheimdienst dort versteckt hatte, um sicherzustellen, dass Verlass auf ihre Nase war. Außerdem wurden Jim und seine beiden Hunde zu einer Kläranlage im nahegelegenen Onondaga County gerufen, nachdem einer der Abwasserarbeiter zugab, zwei Jahre zuvor eine Studentin der Syracuse University vergewaltigt und dort begraben zu haben. Beide Hunde zeigten am selben Punkt an einem Abhang an. Die Polizei von Syracuse organisierte einen Bulldozer und fand Karen Levy in einigen Metern Entfernung. Später ging Suffolk seine Aufzeichnungen durch und beschäftigte sich mit der Bodenbeschaffenheit. Vermutlich lag die Ungenauigkeit an einem unterirdischen Gewässer. Die Hunde hatten etwa 4,5 Meter unter der Leiche angezeigt. Suffolk kam zu dem Schluss, dass er selbst nach der Anzeige darauf bestehen hätte sollen, weiter bergauf zu arbeiten. Wissen wie dieses, gewonnen aus Erfahrungen, sollte forensischen Anthropologen in Zukunft helfen, die Anzeigemuster von Leichenspürhunden rund um heimlich verscharrte Leichen zu verstehen.

      Obwohl Bernie Hatch unter Verdacht stand, insgesamt sieben Frauen und Kinder ermordet zu haben, wurde er nach einer siebzig Tage langen Verhandlung − der teuersten in der Geschichte von Oneida County − nur des Mordes an Turner verurteilt. Er sitzt immer noch im Auburner Gefängnis und besteht auf seine Unschuld. Jim und seine beiden Leichenhunde fanden trotz monatelanger mühsamer Suche keine weiteren vergrabenen Opfer. Lorraine Zinicola und ihre drei kleinen Söhne wurden nie gefunden.

      Jim Suffolk und seine Hunde fanden zwar im Zusammenhang mit dem Hatch-Fall keine weiteren Leichen, doch leisteten sie einen bedeutenden Beitrag zur Geschichte des Gebrauchshundes: den ersten vollständig dokumentierten Einsatz von Leichenspürhunden in den Vereinigten Staaten.

      Der Hatch-Fall stellte nur der Anfang von Jim Suffolks Tätigkeit im Leichenspürhundebereich dar. Er sollte noch viele Jahre mit Pearl und Baron arbeiten. Um zu verhindern, dass ihre Nasen verlernten, was sie zu tun hatten, setzte


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