Der Geruch des Todes. Cat Warren
pensionieren; heute ist er Anfang achtzig. Obwohl er vor Kurzem aufgrund von Durchblutungsstörungen ein Bein verlor und mehrere Schulteroperationen über sich ergehen lassen musste − eine Spätfolge der Jahre, die er sich von seinen Bloodhounds an Geschirr und Leine die Hügel der Adirondacks hinauf- und hinunterzerren hatte lassen −, fungiert er als Friedensrichter in seiner Heimatstadt. Er lebt mit seiner Frau Sally in einem Haus mit Blick auf den Canadarago-See.
Ich konnte nicht widerstehen, Suffolk die Frage zu stellen, die auf der Hand lag: Hatte er mit dem Gedanken gespielt, Bloodhounds für die Leichenspürarbeit einzusetzen? Ich wusste, dass er zugeben würde, dass Schäfer und Labradore besser für diese Arbeit geeignet waren.
„Die Bloodhounds für Leichenarbeit einsetzen?“, rief er entrüstet. „Nie im Leben. Was für eine Verschwendung ihrer Nase!“ Andererseits, gab er nach einigem Nachdenken zu, hielt er sie, wenn er auch davon ausging, dass sie den Ferrari unter den Nasen trugen, für weniger gut darin, über Gräben und Baumstämme zu springen und selbst in die dunkelsten, engsten Ecken und Dickichte vorzudringen. Seine Stimme nahm einen wehmütigen Ton an: „Ich habe mich immer gefragt, ob ich eine Leichenspürkatze ausbilden könnte.“
Militär und SwRI-Wissenschaftler, optimistisch und aufgeschlossen wie immer, hatten das bereits versucht. Die Samtpfoten hatten kein Interesse daran, den Wissenschaftlern mitzuteilen, ob sich Bomben in der Nähe befanden: „Die Katzen wurden vom weiteren Training ausgeschlossen, weil sie sich demonstrativ weigerten, verlässlich mit den Männern zu kooperieren.“
Man nahm mich nicht ernst, bis ich die beiden magischen Wörter aussprach: „Andy Rebmann.“ „Mein Gott, Sie haben mit Andy Rebmann trainiert?“, antworteten sie. „Dann wissen Sie, wie man sucht.“
- Edward David, stellvertretender Leichenbeschauer, Main, 2011
Es wäre falsch, zu behaupten, dass die Leichenspürhundewelt bis zu Andy Rebmanns Auftauchen nicht existiert hätte. Andere kamen vor ihm: Nick Montanarelli, die Wissenschaftler am SwRI, und natürlich Jim Suffolk. Im selben Jahrzehnt notierte William D. Tolhurst, ein berühmter Bloodhound-trainer in New York, in seinen Memoiren, dass er 1977 begonnen hätte, seinen Bloodhound Tona sowohl in der Personen- als auch in der Leichensuche auszubilden. Wahrscheinlich starteten weitere Hundeführer und Trainer zur selben Zeit ähnliche Versuche, die aber in Vergessenheit gerieten.
Dennoch war die Welt des Leichenhundetrainings damals noch relativ uneinheitlich. Mitte der 1970er Jahre besuchte Andy eine Polizeikonferenz, auf der Jim Suffolk eine Präsentation zum Thema Leichenspürhunde hielt. Andy war fasziniert und sprach Jim später an. Die beiden Männer müssen ein seltsames Paar abgegeben haben: Jim Suffolk sah aus wie ein stämmiger James Garner, sein Kinn noch heldenhafter als das des amerikanischen Schauspielers. Seine frisch gebügelte landespolizeiliche Khakiuniform lag eng am Körper an. Er hatte dichtes, dunkles gewelltes Haar, welches meist unter einem Polizeihut hervorquoll. Da er sich auf einer Konferenz befand, ist es möglich, dass Andy eine Uniform trug und sein Markenzeichen, eine schräg getragene verblasste Baseballmütze, zuhause gelassen hatte. Er hatte große Augen, einen Mund, der ständig in Bewegung war, Wangen, die an eine zerklüftete Landschaft erinnerten, und beeindruckende Ohren. Wahrscheinlich rauchte er eine Pall-Mall-Zigarette.
Andy stellte sich vor und fragte Jim, wie er seine Hunde trainiere. Jim weigerte sich, ihm dies zu verraten − noch immer handelte es sich um geheime Information. Andy wusste, dass Jim mit einer Militärforschungsgruppe zusammenarbeitete, und nahm Jims Weigerung, ihm Auskunft zu geben, nicht persönlich − doch sein Ehrgeiz war angestachelt. „Verdammt noch mal“, erinnert sich Andy daran, was ihm durch den Kopf ging. „Ich würde einen Leichenspürhund haben. Jetzt erst recht!“
Andy ging seinen eigenen Weg. Er interviewte einen Pathologen am Gesundheitsministerium von Connecticut. Dieser riet ihm, mit den stinkenden Chemikalien Cadaverin und Putrescin zu beginnen. Stark riechend entstehen die beiden Stoffe, wenn tierisches Gewebe zersetzt wird. Bereits vor einem Jahrhundert waren sie im Jahr 1885 von dem deutschen Physiker Ludwig Brieger identifiziert und beschrieben worden. Wie wir heute wissen, entspricht keiner der beiden Stoffe dem, was bei Zersetzung des menschlichen Körpers entsteht, zu hundert Prozent − auch manche Stinkkäsesorten und Mundgeruch enthalten dieses Gemisch −, doch steckten das Leichenhunde-training und die Wissenschaft vom Zerfall des menschlichen Körpers damals noch in den Kinderschuhen.
Mitte der 70er Jahre, zur selben Zeit, zu der Andy und die Pathologen in Connecticut den Geruch des menschlichen Todes zu entschlüsseln versuchten, warf ein Kognitionspsychologe an der Universität Tel Aviv, Robert E. Lubow, eine Frage zu den Leichenspürausbildungen der Polizei von Lancashire und des US-Militärs auf: „Wir müssen uns dem Problem der Stimulus-Generalisation widmen“, schreibt Lubow in seinem faszinierenden Buch The War Animals. „Die Briten trainierten einen Schweinedetektor, die Amerikaner einen Affendetektor. Welche Beweise haben wir, dass Hunde, die jeweils auf einen spezifischen Geruch trainiert wurden, in der Lage sind, ihr Anzeigeverhalten auf menschlichen Leichengeruch im echten Leben zu generalisieren?“
Die Generalisierungsfrage sollte alle Spürhundearbeit − nicht bloß die Arbeit mit Leichen − für die nächsten Jahrzehnte quälen. Zu Beginn seines Trainings war Andy davon ausgegangen, dass Tiere und Menschen im Zersetzungsprozess mehr oder weniger gleich rochen, doch wie schon Jim Suffolk vor ihm musste auch er feststellen, dass es entscheidende Unterschiede gab. Ideal war, die Hunde an tatsächlichen menschlichen Überresten zu trainieren. Die Exekutive hatte diesbezüglich weniger Einschränkungen als das Militär: Nachdem die Arbeit an einem Tatort oder am Schauplatz eines Selbstmordes beendet war, fand sich immer irgendetwas, das sich zum Training der Hunde einsetzen ließ.
Rufus, Andys gedrungener dunkler Dienstschäferhund, hatte seine Karriere als Ausbildungskandidat für die Blindenführarbeit an der Fidelco Guide Dog Foundation in Bloomfield, Connecticut begonnen. Er war aus dem Programm ausgeschlossen worden, weil er sich nicht dazu eignete, irgendjemanden ruhig und sanft zu führen. Er war ein guter Diensthund, doch Andy begann auch, ihn zur Suche nach einer Kombination von Cadaverin und Putrescin sowie Erde, auf der Leichen gelegen hatten, zu trainieren. Die Erde enthielt Flüssigkeiten und Leichenlipid − jenes fettige Wachs, das bei Leichen auftritt, die in feuchter Umgebung liegen. Man schrieb das Jahr 1977; dasselbe Jahr, in dem Andys zweiter Hund, der Bloodhound Clem, als bester Personensuchhund des Landes gefeiert wurde. War eine vermisste Person noch am Leben, war Clem zur Stelle, um sie zu finden. Ging man davon aus, dass die Person tot war, übernahm Rufus die Arbeit. Es war ein guter Deal für beide Hunde. 1980 begann Andy, Rufus und seine Nase für immer herausforderndere Aufgaben einzusetzen.
Heimlich vergrabene Leichen sind die schlimmsten Fälle. Sie involvieren Schaufeln, Bulldozer und manchmal auch Presslufthämmer. Liegt man um mehr als zehn Meter daneben, könnte die Leiche ebenso gut zwei Kilometer weit weg sein. Niemand gräbt gerne nach Leichen, besonders, wenn aussagekräftige Beweise fehlen.
Das adrette, mit Schindeln verkleidete Bauernhaus mit seiner großen Terrasse im kalifornischen Monroe wirkte gepflegt und rundum perfekt. Hinter dem Haus befanden sich ein kürzlich gemähter, strahlend grüner Rasen, ein Swimmingpool und daneben ein neu betonierter Vorplatz. Robin Oppel, achtundzwanzig, war verschwunden. Ihr Ehemann Kent Oppel, ein neunundzwanzigjähriger Unternehmer, hatte der Polizei erlaubt, sein Anwesen zu durchkämmen, ohne einen Durchsuchungsbefehl zu verlangen.
Etwa einen Monat nach Robins Verschwinden war ihr Auto in vierzig Kilometer Entfernung gefunden worden. Darin befand sich ein abgebrochenes Stück von einem Eulen-Schlüsselanhänger, aber keine Spur von Robin. Zuletzt war sie am 19. September 1980 gesehen worden. Andy spielte kurz mit dem Gedanken, einen seiner Bloodhounds anzusetzen, um zu sehen, ob dieser ihnen selbst nach all dieser Zeit zeigen könne, in welcher Richtung sie suchen sollten. Das war ausgesprochen unwahrscheinlich, und Andy wusste es. Die Kriminalbeamten, die den Fall bearbeiteten, hatten bereits eine Hypothese.
Rufus war seit drei Jahren als Leichenspürhund im Einsatz, als er und Andy in Monroe eintrafen. Kent Oppel sah zu, wie Andy Rufus vor dem Haus sein Suchsignal gab. Rufus lief den Zaun entlang zum Swimmingpool, bohrte die Nase in die Erde neben dem frisch betonierten Vorplatz und begann