Feuer und Blut. Tom Buk-Swienty
unersättliche Eroberungsdrang Napoleon Bonapartes – bald Kaiser Napoleon – hatte Europa in diesen Jahren in einen nahezu dauerhaften Kriegszustand versetzt, wodurch sich der Doppel-Monarchie Dänemark-Norwegen mit ihrer relativ mächtigen Flotte keine Möglichkeit bot, neutral zu bleiben. Entweder stand man auf der einen oder auf der anderen Seite der kriegführenden Parteien.
A.W. Dinesens Geburtsjahr wurde für Dänemark zu einem annus horribilis. Im Spätsommer 1807 beschossen die Briten, die eine dänische Neutralität nicht akzeptieren wollten, Kopenhagen und erbeuteten die dänische Flotte. Ohne seine dreißig starken Linienschiffe und Fregatten hatte Dänemark jegliches machtpolitische Potenzial eingebüßt. Die stark geschwächte dänische Monarchie schloss ein Bündnis mit Frankreich. Diese Allianz brachte jedoch nur neues Unheil. Im Jahr 1813 musste die dänische Monarchie den Staatsbankrott erklären, und 1814 wurde sie gezwungen, Norwegen abzutreten. Mit äußerster Kraftanstrengung kämpfte Dänemark darum, diese Katastrophen zu überleben. So war es denn auch ein verwundetes, schwaches und ausgesprochen verarmtes Reich, in dem A.W. Dinesen aufwuchs.
Aber das Land verlor nicht seinen Selbsterhaltungstrieb. Nach dem Wiener Frieden von 1815 waren der dänische König und seine Minister fest entschlossen, dass Dänemark zumindest einen Teil seiner verlorenen Macht wiedergewinnen sollte. Es wurden große Pläne für den Wiederaufbau der Flotte geschmiedet, außerdem wollte der dänische Staat ein taugliches Heer, das im Kriegsfall auf 60 000 Mann verstärkt werden konnte. Man hoffte, mit einer solchen Truppenstärke eine erneute Katastrophe abwenden zu können, falls Dänemark wieder zum Spielball im Streit der Großmächte werden sollte.
Auch wenn die Größe des Heeres in Friedenszeiten bescheiden war, so spielte das wachsende Offizierskorps eine herausragende und sichtbare Rolle im gesellschaftlichen Leben Dänemarks. Außerdem war mit einer militärischen Karriere erhebliches Prestige verbunden.
Als A.W. Dinesen den militärischen Vorbereitungslehrgang abgeschlossen hatte, wurde er an die Artilleriekadetten-Schule aufgenommen, die sich in der alten Kanonengießerei, dem Gjethuset am Kongens Nytorv befand. Hier zeigte sich, dass Dinesen über ein glänzendes Talent für das Kriegshandwerk verfügte. Er wurde schnell befördert. 1823 wurde er Stückjunker (der niedrigste Offiziersgrad in der Artillerie), und 1827 war er bereits Leutnant.
Aber auch wenn A.W. Dinesen der geborene Soldat zu sein schien, hatte er bei Weitem nicht nur Pulver und Blei im Kopf. Er wuchs in einem Staat auf, in dem Kunst und Geistesleben wie in einer Art kollektiver Trotzhaltung gegen alle Zerstörungen durch die Napoleonischen Kriege blühten. Dänemarks Goldenes Zeitalter war angebrochen. Die Romantik, die sich überall in Europa Geltung verschaffte, hatte ihre Blütezeit in der Zeit der Napoleonischen Kriege und in den darauf folgenden Jahrzehnten. Sie durchdrang alle Genres der Kunst und Kultur – von Poesie, Literatur und Malerei bis hin zu Architektur, Philosophie und sogar den Naturwissenschaften.
Die Romantik suchte die Anmut, die Harmonie, das Große, das Schöne, das Vollendete, das Ideal, das Heroische und das Göttliche, die Inspiration und das Himmlische. Somit stand sie in scharfem Kontrast zu der gewaltsamen Zerstörung, Unruhe und Unsicherheit, die das Wüten der Napoleonischen Kriege hinterlassen hatte. Ungeachtet ihrer bescheidenen Größe vermochte die geschrumpfte dänische Monarchie eine lange Reihe glänzender Künstler, Denker und Naturwissenschaftler hervorzubringen: Bertel Thorvaldsen, C.W. Eckersberg, Adam Oehlenschläger, Hans Christian Andersen, Søren Kierkegaard, H.C. Ørsted und M.G. Bindesbøll, um nur einige wenige der bekanntesten zu nennen.
Die Pflege des Großen und Schönen durch die Romantik – und diese Hingabe an Kunst, Kultur, Poesie und Literatur – hinterließ einen tiefen Eindruck auf A.W. Dinesen. Er war nicht nur von dem Gedanken beseelt, ein unvergleichlich tüchtiger Offizier zu werden, sondern auch seinen Hunger nach Wissen und Bildung zu stillen. Und dafür gab es nur eine Möglichkeit: Er musste hinaus in die Welt.
In den folgenden Jahren unternahm der junge Leutnant mit Unterstützung des Heeres unzählige Reisen kreuz und quer durch Europa. Zum Teil waren es militärische Erkundungen, bei anderen handelte es sich um kulturelle Bildungsreisen. Die meisten Reisen unternahm er in Gesellschaft junger Aristokraten, besonders oft zusammen mit dem gleichaltrigen Offizier, Adligen und Kammerjunker Laurentius Neergaard.
Der junge A.W. Dinesen besuchte Preußen, Österreich, die Schweiz, das Rheinland, Holland, Belgien, Tirol und Sizilien; er unternahm etliche längere Rundreisen durch Frankreich und Italien, wo er sich besonders von Paris und Rom angezogen fühlte.
Für A.W. Dinesen war und blieb Paris die wunderbarste Stadt der Welt. Aber die denkwürdigste seiner vielen Jugendreisen war die Reise, die er zusammen mit Neergaard und dem jungen Schriftsteller Hans Christian Andersen im Spätsommer 1833 von Mailand nach Rom unternahm. A.W. Dinesen und Neergaard hatten in diesem Sommer zufällig in einem Hotel in Paris neben Andersen gewohnt und beschlossen, die Reise gemeinsam fortzusetzen. Mit Andersens Worten bildeten sie »ein nordisches Kleeblatt«.
An seine Schwester Augusta schrieb A.W. Dinesen zu Beginn der Reise, er und Neergaard wären »mit dem Poeten Andersen zusammengetroffen, der sich vermutlich glücklich preist, durch dieses für Banditen so berüchtigte Italien in Begleitung von zwei Militärs weiterzureisen, er ist nämlich ein großer Poet, aber ein sehr kleiner Held«.
A.W. Dinesen hatte vollkommen recht. Der Dichter bewunderte den männlichen Dinesen, und als sich ihre Wege einige Monate später in Rom trennten, schrieb Andersen in sein Tagebuch: »Wie viel habe ich doch von diesem jungen, entschlossenen Menschen gelernt, der mich in meiner Hingabe an ihn so oft verletzt hat – hätte ich doch seinen Charakter, auch mit dessen Fehlern! Lebwohl D!«
Auch im dänischen Heer war man auf A.W. Dinesen aufmerksam geworden. Bei seiner Rückkehr nach Dänemark wurde er zum Oberleutnant befördert und kurze Zeit später, erst siebenundzwanzig Jahre alt, zum Ritter des Dannebrog geschlagen. Im Frühjahr 1835 schickte man ihn nach Schweden, wo man ihn mit der Stellung eines Kontrolloffiziers in einer Kanonengießerei betraute. A.W. Dinesen hatte die Qualität der Kanonen zu kontrollieren, welche die dänische Artillerie hier kaufte. Außerdem sollte er bei etlichen Zeremonien in Stockholm Dänemark repräsentieren und schloss bei dieser Gelegenheit Freundschaft mit dem schwedischen Kronprinzen.
Aber A.W. Dinesens Hunger nach Erlebnissen und Wissen war noch längst nicht gestillt. Er sehnte sich danach, sich selbst bis an seine Grenzen zu erproben. Seinem Verständnis nach war dies gleichbedeutend mit großen Abenteuern. Und gab es für einen jungen, ehrgeizigen Offizier ein größeres Abenteuer, als in den Krieg zu ziehen? Seiner Ansicht nach auf keinen Fall, und so kam es, dass er sich an einem der ersten Apriltage des Jahres 1837 an Bord eines französischen Transport-Dampfschiffes mit Kurs auf Nordafrika befand, oder richtiger, mit Kurs auf die »Barbarei«, wie die Europäer es nannten.
Frankreich hatte sich in dieser Region, die später als Algerien bekannt werden sollte, auf einen Kolonialkrieg eingelassen. Die Araber waren indes nicht so leicht zu unterwerfen, und das französische Heer konnte tüchtige Soldaten und Offiziere aus ganz Europa als Freiwillige gut gebrauchen. In Paris nahm man A.W. Dinesens Angebot mit Freude entgegen, beförderte ihn zum Hauptmann der Artillerie und schickte ihn sofort weiter in einen brutalen Krieg, der in einer glühend heißen Landschaft am Rand der großen Wüste Sahara stattfand.
Trotz der schmählichen Niederlage der Franzosen in den Napoleonischen Kriegen rund zwanzig Jahre zuvor galt Frankreich noch immer als stärkste Militärmacht Europas, und die französischen Heere wurden als die besten der Welt angesehen. Gerade infolge der demütigenden Niederlage der vorigen Generation sehnte sich die französische Nation danach, die alte Größe vergangener Zeiten durch neue Eroberungen wiederzuerlangen. Größe durch Kriege zu gewinnen, mutige Taten auf Schlachtfeldern und Eroberungen hatten obendrein in der französischen Sprache eine ganz eigene Bezeichnung: la gloire.
A.W. Dinesen bekam all den Krieg und la gloire, die er suchte, und die vielen Abenteuer, die er unter dem fernen Himmel Nordafrikas erlebte, hatten aufgrund der arabisch geprägten Region einen Anstrich von Tausendundeiner Nacht. Aber weil A.W. Dinesen nicht die Hauptperson dieser Geschichte ist, sei hier lediglich erwähnt, dass er an zwei großen Feldzügen teilnehmen konnte. Auf dem ersten war er in Gesellschaft des legendären französischen Generals aus den Napoleonischen