Feuer und Blut. Tom Buk-Swienty
das ein Bauer gesetzt wurde, der bestraft werden sollte; an die Füße des Bauern wurden schwere Gewichte gehängt. Dieses verhasste Pferd wurde jetzt feierlich verbrannt. A.W. Dinesen erließ den Bauern auch Steuerschulden an das Gut und den Staat, unter der Bedingung, dass sie versprachen, Steuertermine künftig einzuhalten.
All dies hatte positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Guts und auch für den einzelnen Bauern. Zwar wurde der Frondienst nicht von einem Tag auf den anderen abgeschafft, aber er wurde im Laufe der Jahre erleichtert. In Wilhelm Dinesens Kindheit war der Zinsbauer nur noch ein Mythos auf Katholm, und der Ort erlebte eine wirtschaftliche Blüte. Der frühere Finanzminister und Gutsbesitzer Regnar Westenholz til Mattrup – die nächste Generation seiner Familie wird in dieser Geschichte noch eine ganz entscheidende Rolle spielen – fragte A.W. Dinesen einmal, wie sein großes Vermögen zustande gekommen sei.
Dinesen gab kurz und bündig einen Abriss seiner Initiativen, worauf Westenholz antwortete: »Sie sind sehr kühn gewesen, im Krieg wie auch im Frieden.«
Kühn war er auch im Ehebett. Wilhelm Dinesen bekam eine ganze Schar von Geschwistern. Insgesamt gebar Alvilde acht Kinder, zwei Söhne und sechs Töchter.
Wilhelm hatte zwei ältere Geschwister. Alvilde, nach ihrer Mutter benannt und 1841 geboren, war die Älteste. Sie galt als schönes, schlankes Mädchen, das gern tanzte und »das ihre kleinen Schwestern verzückt anstarrten, als diese sie im Ballkleid und mit einem Kranz aus Kornblumen auf ihrem hellblonden Haar sahen«, heißt es in einer schriftlich festgehaltenen Erinnerung.
Das zweitälteste Kind war Wilhelms großer Bruder Laurentzius, der trotz einer etwas abweichenden Schreibweise des Namens nach Hauptmann A.W. Dinesens altem Freund und Reisegefährten, dem Kammerjunker Laurentius Neergaard benannt war. Als Junge war Laurentzius blond und mager. Und er war blauäugig, im doppelten Sinn des Wortes. Man kannte ihn als einen soliden jungen Mann, der über keinen großen Witz verfügte. Ein bisschen langsam und ein wenig naiv, doch als junger Gardeoffizier erschien er mit seiner hochgewachsenen, schlanken und inzwischen breitschultrigen Gestalt, seinen scharfgeschnittenen Gesichtszügen und den klaren Augen wie ein Glanzbild aus einem Bilderbuch. Nicht zuletzt aufgrund seines präsentablen Äußeren bestimmte man ihn 1866 zum persönlichen Attaché des Kronprinzen auf einer Reise nach Sankt Petersburg. Kronprinz Frederik war zusammen mit Prinzessin Dagmar auf dem Weg nach Sankt Petersburg, um an Dagmars Hochzeit mit dem großfürstlichen Thronfolger Alexander teilzunehmen.
Die Reise nach Sankt Petersburg und die rauschenden Festtage dort wurden für Laurentzius zu einem Ereignis, von dem er zeit seines Lebens schwärmte. Besonders gern erzählte er von seinem diskreten Flirt mit der hübschen Prinzessin Dagmar. Auf der Fahrt mit dem Schiff zur russischen Hauptstadt war er von ihr verzaubert. Als er an einem hellen Sommerabend an Deck neben der Prinzessin stand, sah sie verträumt auf das vom Mond beschienene Meer hinaus und fragte: »Was ist das Größte auf der Welt, Dinesen?«
»Die Liebe, Eure Königliche Hoheit!«, antwortete er ohne zu zögern.
Aber wie sehr er auch für romantische Liebesabenteuer empfänglich war, so sollte sich sein Lebensweg doch in festen Bahnen bewegen. Als ältester Sohn der Kinderschar würde er einst das Gut und das Land erben. Sein Vater glaubte, eine Offiziersausbildung wäre gut für ihn, aber es stand nie in Frage, dass er einmal das Gut übernehmen würde.
Wie es bei Vätern in der damaligen Zeit so oft der Fall war, gab ihm der Patriarch A.W. Dinesen Ermahnungen, gute Ratschläge und goldene Lebensregeln mit auf den Weg, die stets so ernsthaft vermittelt wurden, als ob es sich dabei um die Zehn Gebote handeln würde.
So schickte er während eines Aufenthalts in Kopenhagen dem nicht einmal zehn Jahre alten Laurentzius einen Klumpen Gold mit einem Begleitbrief, in dem es hieß:
»Mein lieber, kleiner Laurentzius!
Gold ist das edelste Metall auf Erden; auch unter vielfältigen Umständen verändert es sich nicht, und so sollte es auch mit dem Herzen und dem Gemüt des Menschen sein: ›Sei treu wie Gold!‹, das heißt, erfülle Deine Pflichten mit unerschütterlicher Standhaftigkeit, ganz gleich ob sie Dir selbst zum Vorteil oder zum Schaden gereichen; bewahre Dir treu ein reines und liebevolles Herz, sei ein dankbarer und liebender Sohn und vergiss nie die Fürsorge, Liebe und liebevolle Zuwendung, die Deine Mutter Dir seit der Stunde, als Du das Licht der Welt erblicktest, entgegengebracht hat. Sei ein treuer, in Liebe zugeneigter Bruder, und halte Dir stets Deine glückliche Kindheit und Jugend vor Augen, und bewahre Dir die Reinheit und Unschuld der Seele und der Gedanken, welche die Kindheit so froh machen ... Mit diesen Gedanken, mein lieber Laurentzius, sehe ich Deiner Zukunft entgegen; vergiss nie die Worte Deines Vaters, die sich auf Erfahrung stützen. Bewahre diese Zeilen so wie auch dieses Stück Gold, gib sie nicht aus der Hand, sondern lies oft, was ich schreibe; und glaube mir wahrlich – ohne strenge Erfüllung all seiner Pflichten gibt es kein irdisches Glück und keinen klaren, leuchtenden Blick in das himmlische, also keinen Seelenfrieden, der das höchste Gut im Leben und in der Stunde des Todes eine Seligkeit ist ... Könnte ich nur recht lange an Deiner Seite sein, und Dir diese große Wahrheit recht oft noch wiederholen, eine Wahrheit, welche die zärtliche Liebe Deiner teuren Mutter bereits tief in Dein Gemüt und Dein Herz gesenkt hat.
›Sei treu wie Gold!‹
Dein Dich liebender Vater, Dinesen.«
Wilhelm, das dritte der Kinder, hatte blaue, glasklare Augen wie sein Bruder, allerdings war sein Haar kastanienbraun und nicht blond. Auch der Blick war ein ganz anderer, wenn man die Fotos der beiden aus ihrer Kindheit und Jugend sieht. Laurentzius’ Blick war weich und mild wie der eines treuen Hundes. Wenn man dagegen Wilhelms Augen sieht, scheint es, als schaue man in die Augen eines wachsamen Wolfs. Sein Blick war scharf und wach, mit einem Anflug von Misstrauen, als würde er im nächsten Moment zur Flucht ansetzen. Aber ebenso fand sich ein ständiger Schimmer von Verwundbarkeit in seinem Blick, auch als seine Augenlider im Erwachsenenalter schwerer wurden und der Blick mehr in die Ferne schweifte, träumerischer wurde.
Vielleicht rührte der Fluchtinstinkt von der Welt her, in der er aufwuchs. Er entwickelte nie eine enge Beziehung zu Laurentzius. Obwohl ihr Vater, A.W. Dinesen, auch in Bezug auf Wilhelm große Ambitionen hegte, widmete er doch seine größte Aufmerksamkeit dem ältesten Sohn Laurentzius. Und der große Bruder fühlte sich schnell zu der Welt des Vaters hingezogen. Das bedeutete, dass Wilhelm praktisch der einzige Junge in einem von Frauen und Mädchen dominierten Umfeld war.
Neben seiner älteren Schwester Alvilde hatte er fünf weitere jüngere Schwestern: Thyra, Anna, Emilie Augusta – genannt Emy –, Christentze Bryske – genannt Tenne – und die kleine Dagmar. »Wie hübsch sie doch alle waren«, bemerkte eine der Lehrerinnen der Mädchen, Fräulein Hagerup, einmal begeistert. »Besonders Thyra. Emy war wie eine kleine Rosenknospe! Und dann die besonders hinreißende Christentze. Dagmar, die Jüngste mit den dichten, blonden Haaren, die so lang waren, dass sie darauf sitzen konnte, war ebenfalls süß.« Zweifellos war dieser Rückblick aus der Erinnerung heraus idealisierend, aber er reflektiert auch, dass die Mädchen in einem beschützten Umfeld lebten, wo sich nahezu alles um Geborgenheit, Harmonie, Schönheit und Komfort drehte. Die Mädchen sollten sich zu anmutigen, hinreißenden jungen Damen entwickeln, die eine gute Partie machen könnten, wenn die Zeit gekommen war und der rechte Prinz, oder wohl eher Kammerjunker, um ihre Hand anhielt.
Jedes der Mädchen hatte seine persönliche Kammerzofe für die Morgentoilette, die eine kleine Wissenschaft war. Es brauchte einige Zeit und erforderte viel Geschick, die kunstvollen Frisuren mit hochgesteckten Zöpfen und lose geschlängelten Locken zu kreieren. Von der Mühe, den Mädchen in die Kleider zu helfen, ganz zu schweigen. Schon bei halboffiziellen Anlässen mussten selbst die kleinen Mädchen sich in ein Korsett zwängen lassen, dann kamen Schicht um Schicht Unterhemden oder ein Reifrock und darüber ein schweres Kleid mit Schleppe. Es war keine einfach zu tragende Mode, und die Mädchen glichen kleinen Teekannenwärmern mit Rumpf und Kopf.
A.W. Dinesen sorgte dafür, dass jede seiner Töchter ihr eigenes Reitpferd bekam und dass jede seiner kleinen Prinzessinnen auch ein Pony hatte, das für ihre eigene Pferdekutsche verwendet werden konnte. Außerdem wurden die Mädchen täglich von dänischen und ausländischen Privatlehrerinnen unterrichtet, die ihnen