Feuer und Blut. Tom Buk-Swienty
eingeräumt. Doch obwohl er sich nicht für Politik interessierte, war er durch und durch ein politischer Überlebenskünstler.
Noch bevor die Nationalliberalen mit ihrer Forderung nach der Abschaffung des Absolutismus an die Tore von Schloss Amalienborg klopfen konnten, war er ihren Forderungen bereits nachgekommen. Ohne dass auch nur ein einziger Blutstropfen vergossen wurde, konnte der König eine Revolution in Kopenhagen abwenden. Damit entstand in Dänemark eine höchst merkwürdige Allianz zwischen dem bald darauf konstitutionellen Monarchen und den nationalliberalen Umstürzlern. Dies war nur denkbar, weil sie einen gemeinsamen Feind hatten.
Die schleswig-holsteinischen Deputierten aus Kiel hätten sich die Audienz beim König und seinen neuen Männern sparen können. Ihre Forderung wurde schlichtweg abgelehnt. Mit leeren Händen kehrten sie nach Kiel zurück. Der Bürgerkrieg war zur Realität geworden.
Die Begeisterung über den bevorstehenden Krieg schien kein Ende nehmen zu wollen, weder im Norden noch im Süden. Nördlich von Flensburg erklang überall Peter Fabers Kriegsschlager Dengang jeg drog af sted (»Damals, als ich von dannen zog«), und südlich der Stadt sang man mit der gleichen Inbrunst Schleswig-Holstein meerumschlungen. In Kopenhagen erwartete man einen schnellen Sieg über die Aufrührer. Dass es in diesem Krieg so heiß hergehen würde, hatte sich niemand vorgestellt, am wenigsten A.W. Dinesen. Er meldete sich Anfang 1848 sofort zu den dänischen Fahnen und wurde blitzschnell zum Kommandeur einer eigenen Batterie, der »Batterie Dinesen«, ernannt, die bald unter den Dänen berühmt und von den Deutschen gefürchtet wurde.
Ironischerweise unterstützte A.W. Dinesen, wie die meisten seiner Standesgenossen unter den Großgrundbesitzern und Adligen, König Frederik VII. und die Prämisse der Nationalliberalen nicht. Sie traten nicht für ein Dänemark bis zur Eider ein und kämpften kaum noch für ihren König. Aus ihm machten sie sich nichts. War es nicht unerhört, dass er ganz offen ein Verhältnis mit einer gefallenen Bürgerlichen unterhielt, einer ehemaligen Balletttänzerin, dieser Louise Rasmussen? Und welch ein Hohn, ihr den Titel einer Lehnsgräfin Danner zu geben, als sie 1850 heirateten. Gräfin? Den meisten Gutsbesitzern trat der Schaum vor den Mund, wenn sie sie mit diesem Titel anreden sollten.
Vor allem aber die politischen Verbündeten, die der König bekommen hatte, ließen Menschen wie A.W. Dinesen die Galle hochsteigen: die Nationalliberalen, diese Tölpel, die den Umsturz der Gesellschaft wollten, diese Bourgeoisie ohne Klasse und Manieren, mit all ihren Fantastereien über Demokratie und Gleichheit. Gleichheit? Es gab keine Gleichheit in der Gesellschaft, es hatte sie nie gegeben und würde sie auch nie geben. Ein Großgrundbesitzer war naturgemäß über solche Kleinexistenzen erhaben, diese armseligen Universitätsmenschen mit all ihrer entflammenden Rhetorik. Ein Großgrundbesitzer war das Rückgrat der Gesellschaft und das Landgut deren Anker. Hier herrschte Unveränderlichkeit. Stabilität. Sie wurde von den Geschlechtern gewährleistet, die seit Generationen auf ihren Gütern lebten. So gesehen waren diese Geschlechter unsterblich und daher die tragenden Stützen der Gesellschaft. Die Bürger – die Liberalen, sie waren nur wie der Schaum auf dem Meer. Sie brausten auf, aber beim nächsten Wellenschlag waren sie auch schon wieder weg. Der Antrieb für ihre Forderung nach Freiheit war eine kümmerliche Krämerseele. So dachten die meisten Gutsbesitzer, Hauptmann A.W. Dinesen eingeschlossen. Natürlich hatte er dem Kampf für Freiheit und Gleichheit Abd el-Kaders gehuldigt. Aber die Araber besaßen Würde, das spürte er. Sie waren Krieger, und ihr Wesen hatte etwas Edles und Nobles, ja, sie waren für die Freiheit geboren, meinte der Gutsbesitzer. Aber diese Kleinbürger, diese prahlerischen bürgerlichen Besserwisser? Das waren doch nur materialistische und kleinkarierte Menschen.
Und für was die Großgrundbesitzer, die ihrer Meinung nach die eigentlichen gesellschaftlichen Werte schufen, nicht alles ihren Buckel hinhalten mussten. Zum einen hatten viele von ihnen durch die Agrarreformen und die Französische Revolution mit all ihren Nachwirkungen einiges durchgemacht. Dann hatten sie unter den Napoleonischen Kriegen und den erbärmlichen wirtschaftlichen Konjunkturen als Folgen des Krieges gelitten, und jetzt, da die Konjunktur endlich gut war und man anständige Getreidepreise erzielte, kamen diese Dunkelmänner, deren erklärtes Ziel es war, die Privilegien des Fürsten, des Adels und der Grundbesitzer zu unterminieren. Die größte Kränkung jedoch war, dass die Nationalliberalen das alte Dänemark zerstören wollten: die Monarchie mit ihren Herzogtümern. Dies war das Vaterland der Großgrundbesitzer. Und für dieses Vaterland war A.W. Dinesen gern bereit zu sterben. Aber was sollte all das Gerede über Dänentum, Dänemark bis zur Eider und eine besondere Verbundenheit zu Skandinavien? Die Mitglieder der meisten Adelsfamilien und auch der bürgerlichen Gutsbesitzerfamilien waren viel gereist, sie waren auf zahlreichen Bildungsreisen in den europäischen Hauptstädten gewesen, hatten kreuz und quer über Landesgrenzen hinweg in andere Familien eingeheiratet, sprachen wie selbstverständlich mehrere Sprachen. Ein dänischer Gutsbesitzer hatte viel mehr mit einem deutsch sprechenden Gutsbesitzer in Holstein gemein, als mit einem bürgerlichen Staatsbediensteten in Kopenhagen. Die Idee eines Dänentums als etwas ganz Besonderem, etwas Erhabenem, etwas Identitätsstiftendem? Das ergab doch keinen Sinn.
Wie A.W. Dinesen meldeten sich dennoch auch zahllose Offiziere aus dem Gutsbesitzerstand sofort zum Kriegsdienst. Sie taten dies aus anderen Gründen als das einfache Volk, als der Bauernsoldat (dieser wurde im Übrigen ja auch nur einberufen) und der freiwillige Student, die beim Kommiss das Lied vom tapferen Landsoldaten schmetterten. Sie taten es aus Pflichtgefühl und Patriotismus gegenüber dem dänisch-deutschen Gesamtstaat, den die Aufrührer angriffen; sie taten es aus Pflichtgefühl gegenüber dem Heer, in dem viele von ihnen ausgebildet worden waren. Und viele taten es auch schlicht und einfach, weil es spannend war. Man konnte mit den Nationalliberalen einig sein oder nicht, aber eines musste man ihnen lassen – durch sie wurde 1848 zu einem aufregenden Jahr. Neuaufbruch, Leidenschaft, Gefahren und Erlebnisse lagen in der Luft.
A.W. Dinesen hatte ein Jahrzehnt lang ein friedliches Gutsbesitzerleben geführt, als der Krieg ausbrach. Er war gerade vierzig Jahre alt und sah sich selbst als achtbarer Herr mittleren Alters. Aber der alte Artilleriehauptmann hatte sein Pulver noch nicht verschossen, und 1848 lagen noch so viel Spannung und Enthusiasmus in der Luft, dass er sich nicht einfach nur in einem Sessel zurücklehnen konnte, um über den Krieg lediglich in der Zeitung zu lesen. Er musste sich selbst eingestehen: Bei dem Gedanken an die weißen Pulverwolken, zischenden Feuerschweife und an Landschaften, die von vorwärtsmarschierenden Kolonnen geprägt waren, juckte es ihn immer noch. Der Gedanke, auch im Krieg sein eigener Herr zu sein, war verlockend. Ach ja, A.W. Dinesen erkannte sich selbst wieder. Die Gefahr lag direkt voraus, die Lebensflamme flackerte nervös, und er spürte, wie das Adrenalin durch seinen Körper schoss.
Er verschwendete daher keine Zeit, als das Unheil heraufzog. Mit dem üblichen Mangel an Bescheidenheit schrieb er später in einem kleinen Bericht über seine Teilnahme am Krieg: »Der erste Kanonenschuss wurde bei Bov am 9. April 1848 von meiner Batterie abgefeuert, und auch die letzten Kanonenschüsse am 31. Dezember 1850 bei Flækkeby.«
Drei Jahre lang waren er, seine Männer und seine acht Kanonen inmitten des Geschehens.
7
Der Maler Jørgen Sonne, einer der hervorragendsten Schlachtenmaler Dänemarks, hat nicht weniger als drei Bilder von Hauptmann A.W. Dinesens Taten während des Krieges gemalt: die Schlacht bei Bov am 9. April 1848, die Schlacht bei Isted am 25. Juli 1850 und die Kämpfe bei Mysunde am 12. September 1850. Alle drei Gemälde zeigen Dinesen nahezu unnatürlich überhöht dargestellt. Besonders dramatisch ist das Bild von der Schlacht bei Bov. Wir sehen sein weißes Pferd, das leblos neben dem aufrecht stehenden A.W. Dinesen liegt, der sich triumphierend über allem erhebt. Mit stahlhartem Blick sieht er dem Feind entgegen, die Hüfte ist nach vorn geschoben, ein Arm trotzig in die Seite gestemmt. Nichts kann diesen Mann erschüttern. Man kann fast die Kanonen donnern hören. Eine gewaltige Pulverdampfwolke ballt sich am Horizont zusammen. Ein verwundeter Artillerist wird weggetragen, und in der Mitte des Bildes galoppiert der Adjutant mit einem frischen Pferd für seinen Batteriechef heran. In der wirklichen Schlacht triumphierte die Batterie Dinesen.
Das Gemälde war nicht der Fantasie Jørgen Sonnes entsprungen. Natürlich heroisierte es A.W. Dinesen, der den Maler ja immerhin für dieses und die beiden anderen Bilder bezahlte. Zeitgenössische Augenzeugenberichte