Feuer und Blut. Tom Buk-Swienty

Feuer und Blut - Tom Buk-Swienty


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berichtete in einem Brief nach Hause, wie er Dinesens Führung in der Schlacht von Bov erlebte. »Das ist der schlimmste Tag meines Lebens«, schrieb er. »Hauptmann Dinesen ist, und das kann ich nur bestätigen, ein tapferer Offizier; obwohl eine Kugel sein Pferd unter ihm tötete, sprang er schnell ab, als wäre nichts geschehen, und feuerte die Mannschaft an, tapfer zu kämpfen. Währenddessen ritt ich zurück, um ihm ein frisches Pferd zu holen, aber der Feind musste sich wie vom Teufel besessen zurückziehen.«

      Drei Jahre wogten die Kämpfe auf den dänisch-schleswigschen Schlachtfeldern hin und her. Dänemark ging es darum, die schleswigholsteinischen Aufständischen in die Schranken zu weisen. Allerdings verfügte Dänemark bei Kriegsausbruch über kein großes Heer. Das Aufgebot zählte zunächst nur etwas mehr als 10 000 Mann in schmucken rot-weißen Uniformen. Dank der imponierenden organisatorischen Fähigkeiten von Kriegsminister A.F. Tscherning und der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ließ sich indes die Truppenstärke des Heeres im Verlauf des Krieges vervierfachen. Und die auffälligen krapproten Uniformen mit den weißen über der Brust gekreuzten Schulterriemen, die eine perfekte Zielscheibe für den Gegner abgaben, wurden gegen Uniformjacken in einem gedämpfteren Dunkelblau ausgetauscht.

      Während des gesamten Krieges hatte Dänemark einen gewichtigen Vorteil – seine Flotte. Die Deutschen verfügten über so gut wie keine Kriegsschiffe, und aus logistischer Sicht ergab sich daraus für die Dänen immer wieder die Möglichkeit für schnelle und nahezu ungehinderte Truppenbewegungen zwischen den Inseln und dem Festland. Diese Mobilität wurde ausschlaggebend beim ersten Zusammenstoß in diesem Krieg, den Gefechten bei Bov, nördlich von Flensburg. Schneller als die Aufständischen dies für möglich gehalten hatten, gelang es der Flotte, das dänische Heer nach Süden zu transportieren. In der Schlacht bei Bov am 9. April, die von den Kanonen A.W. Dinesens eröffnet wurde, schlugen die dänischen Truppen die Aufständischen ohne größere Probleme in die Flucht.

      Im dänisch gesinnten Teil der Monarchie herrschte überschäumender Jubel, die Niederschlagung des Aufstands schien eine Kleinigkeit zu sein. Die Dänen hielten den Krieg eigentlich für so gut wie gewonnen. Allerdings hatte der Aufstand der Schleswig-Holsteiner gegen die dänische Regierung inzwischen größere Dimensionen angenommen, er war zu einer gesamtdeutschen Angelegenheit geworden. Der Deutsche Bund schloss sich dem Aufstand an, Preußen lieferte militärische Unterstützung. Der preußische König, Friedrich Wilhelm IV., der in Berlin von Liberalen und Nationalliberalen unter Druck gesetzt wurde, sah eine Gelegenheit, seine Gegner in seine Politik einzubinden. Er entsprach dem Ersuchen einer schleswig-holsteinischen Deputation um preußische Hilfe im Krieg gegen Dänemark. Dadurch waren die vereinten deutschen Truppen den dänischen plötzlich weit überlegen. In der Schlacht von Schleswig schlugen sie an einem kalten Ostertag des Jahres 1848 die Dänen in die Flucht und konnten ungehindert in Jütland einmarschieren. Eine Zeit lang verstummte das Lied vom tapferen Landsoldaten.

      Zum Glück für die Dänen war der Krieg in der Zwischenzeit eine Sache der Großmächte geworden. Und der mächtigste Spieler auf der europäischen Bühne war der russische Zar. Er hatte eine ausgesprochen reaktionäre Einstellung und war besorgt über die schleswigholsteinischen Aufständischen und deren revolutionäre Forderung nach Selbständigkeit und Mitbestimmung. Durch sie wurde die bestehende Ordnung in Europa bedroht, und der Zar zwang König Friedrich Wilhelm in Berlin, die preußischen Truppen aus dem Krieg zurückzuziehen.

      Zur gleichen Zeit hatten die Dänen weiter aufrüsten können und waren in der Lage, in Kämpfen bei Sundeved und Düppel Ende Mai beziehungsweise Anfang Juni die Aufständischen zu besiegen. Man schloss einen Waffenstillstand. Im folgenden Jahr jedoch flammten die Kämpfe erneut auf, und schon nach wenigen Tagen erlitt Dänemark eine Niederlage. Das Linienschiff Christian VIII. mit Wilhelm Dinesens Onkel Christian Krieger als stellvertretendem Kommandanten an Bord, ließ sich auf ein Duell mit einer kleineren schleswigholsteinischen Landbatterie an der Bucht von Eckernförde ein. Dabei erhielt die Christian VIII. einen Volltreffer. Auf dem stolzen Schiff brach Feuer aus, es explodierte, und die meisten Seeleute an Bord kamen um, darunter auch Wilhelm Dinesens Onkel, Christian Krieger.

      Erneut verstummten die patriotischen Gesänge, bis eine dänische Einheit vor der belagerten Stadt Fredericia die Aufständischen überrumpelte. Der Ausfall der Dänen, der am 6. Juli, einem schönen Morgen, begann, entwickelte sich zu einem abscheulichen Gemetzel, und erst am frühen Abend war den Dänen der Sieg sicher. Als sich die Abendsonne blutrot färbte, waren von den dänischen Truppen 2000 Mann gefallen oder verwundet. Unter den Toten war der aus Norwegen stammende General Olaf Rye, schon zu Lebzeiten eine Legende. Dennoch hatte sich »der tapfere Landsoldat« mit dem spektakulären Ausfall als tauglicher Kämpfer erwiesen, auf den das neue demokratische Dänemark stolz sein konnte.

      Ja, das demokratische Dänemark. Politisch gesehen war einen Monat zuvor tatsächlich ein neues Dänemark entstanden, als die Reichsversammlung die erste dänische Verfassung verabschiedet hatte. Durch sie wurden die Standesprivilegien des Adels und der Aristokratie eingeschränkt. Dies entbehrte nicht einer gewissen Ironie, weil viele hervorragende Offiziere im Heer wie A. W. Dinesen diesem Stand angehörten. Während sie auf dem Kriegsschauplatz für die Sache Dänemarks eintraten, mussten sie sich in der heimatlichen politischen Arena geschlagen geben, wo die nationalliberalen Politiker sich sehr rasch mit dem König verbündet hatten.

      Denn der andauernde Kriegszustand hatte die beiden Parteien noch enger aneinander gebunden. Die Nationalliberalen wollten Macht, die der König ihnen geben konnte. Der König wiederum wollte kampfwillige Soldaten. Diese konnten die Nationalliberalen ihm zusichern, wenn er bereit war, dem Bauernstand entgegenzukommen, der für das Heer den weitaus größten Teil des Kanonenfutters lieferte.

      So bekam Dänemark mit dem Grundgesetz von 1849 eine der freiesten Verfassungen der Welt. Alle Bürger, auch die Bauern, bekamen das Wahlrecht, jedoch keine »Frauenzimmer, Verbrecher und Narren«, wie es hieß. Man kann nicht genug hervorheben, welch epochale Bedeutung dieses Ereignis für die dänische – um nicht zu sagen, europäische – Geschichte hatte. Nach fast zweihundert Jahren des Absolutismus bekamen die Dänen mitten in diesem tumultartigen Krieg – und in hohem Maß durch den Krieg – eine konstitutionelle Monarchie. Die politische Obrigkeit des Landes war nicht länger der König, sondern der Reichstag. Ein völlig neues Dänemark war entstanden und hatte mit dem Ausfall bei Fredericia den alten Schandfleck der Englandkriege abgewaschen. Abgewaschen zwar mit Blut, aber durch den Verlust der Flotte 1807, die Abtretung Norwegens 1814 und die Degradierung zu einem machtpolitisch drittrangigen Staat war Dänemark so eingeschüchtert und traumatisiert gewesen, dass der Sieg bei Fredericia einen nationalen Begeisterungstaumel auslöste. Er übertraf sogar die bewegten Tage im Frühjahr 1848 vor Ausbruch des Krieges.

      Alle, die in der Nähe der Lazarette bei Fredericia gewesen waren, die Eimer um Eimer und Bottich um Bottich mit amputierten Füßen, Beinen, Händen und Armen gesehen hatten, von Granatkugeln aufgerissene Bäuche, zerschmetterte Köpfe und klebrige Hirnmasse, alle, die diese vielen jungen Menschen röcheln gehört hatten, das unerträgliche Röcheln der Sterbenden – sie alle wussten natürlich, was Krieg in Wirklichkeit bedeutete. Und was der Preis für den Sieg gewesen war. Aber das Grauen, das der tapfere Landsoldat in seinem Herzen gefühlt hatte, wurde von dem kollektiven Freudengebrüll übertönt, das sich im ganzen Land erhob, als der Sieg bei Fredericia verkündet werden konnte und das aufständische Heer sich zum Rückzug nach Süden gezwungen sah.

      Im darauffolgenden Jahre bekämpfte ein dänisches Heer, das inzwischen mehr als 40 000 Mann zählte, die Aufständischen. Deren zugegeben heftiger Widerstand wurde nur als letzte krampfartige Zuckung einer verlorenen Sache angesehen. Dennoch musste das dänische Heer seine gesamten Truppen einsetzen, um die Gegner in die Knie zu zwingen. Am 24. und 25. Juli 1850 stießen die beiden Heere auf der Heide von Isted in einer fürchterlich chaotischen und blutigen Schlacht aufeinander – einer der bis dahin größten Schlachten in der Geschichte Nordeuropas. Die Aufständischen wurden in die Defensive gezwungen.

      Am Neujahrstag 1851 erdröhnte der letzte Schuss in diesem Krieg. Er kam von der Batterie Dinesen.

      A.W. Dinesens Kanonen hatten im Jahr zuvor unaufhörlich gesprochen. Die Batterie Dinesen war bei fast allen großen Schlachten und Kämpfen dieses Krieges dabei: Bov, Schleswig, Düppel, Isted und Mysunde. Und A.W. Dinesen,


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