Feuer und Blut. Tom Buk-Swienty
dass Kneipenwirte, Lebensmittelhändler, Bierzapfer, Schlachter oder andere, deren Gewerbe Lärm oder Geruch verursachten, in der Kronprinsessegade keinen Handel treiben durften.
Die wohlhabenden Bürger wetteiferten darum, in der Kronprinsessegade zu wohnen. Wer etwas auf sich hielt – geachtete Großhändler, Bankiers, Kammerherren, Generäle, Kapitäne, angesehene Professoren, berühmte und finanziell gut gestellte Künstler sowie bekannte Politiker –, zog in diese Straße. Auch der Gutsbesitzerstand und der Adel, zu deren Mitgliedern oft Kammerherren, Offiziere und Politiker zählten, sorgten dafür, dass sie ihre Winterwohnungen in diesen Prachtbauten bekamen. Hier gab es hohe, helle Zimmer, kassettierte Wände, getäfelte Balustraden, vergoldete Simse, Deckenrosetten und Suiten.
Für die Familie Dinesen begann die Wintersaison einige Wochen nach den großen Herbstjagden. Dann fuhr die gesamte Familie mit dem Schiff von Grenaa nach Kopenhagen. Hier nahm man in den Wintermonaten an einer Fülle von Gesellschaften, Bällen, Konzerten und Besuchen im Königlichen Theater teil. Man unternahm Spaziergänge auf den Wällen und an Langelinje entlang, und die jüngeren Familienmitglieder betätigten sich im Schlittschuhlaufen und Fechten.
Karen Blixen beschrieb später in ihrer Erzählung »Ib und Adelaide«, wie eine solche Wintersaison in Kopenhagen für den Gutsbesitzerstand verlief. Historikern zufolge zeichnet ihre Beschreibung ungeachtet aller Poesie ein treffendes und wirklichkeitsnahes Bild des damaligen gesellschaftlichen Lebens:
»Sozial und gesellschaftlich gesehen war die Saison von der Eroberung Kopenhagens durch den Landadel geprägt ... Alte graue und rote Palais in den Straßen und an den Plätzen, die in der Weihnachtszeit blind und stumm gewesen waren, begannen sich zu rühren und öffneten die Fenster. Sie wurden vom Keller bis zum Dachboden geheizt, gereinigt und gewienert und strahlten an festlichen Abenden durch doppelte Reihen hoher Fenster mit karmesin- und rosenroten Seidengardinen hinaus in eine dunkle und eiskalte äußere Welt. Schwere Tore, die monatelang verriegelt gewesen waren, wurden geöffnet, um feurige, schnaubende Pferdegespanne hinauszulassen, die auf dem Seeweg aus Jütland und von den Inseln hergebracht worden waren. Auf den Kutschböcken der Landauer und Coupés unerschütterliche Kutscher in pelzgefütterten Umhängen. An den Livreen konnten die Kopenhagener auf der Straße die glänzenden Fahrzeuge voneinander unterscheiden: Hier kamen die Danneskiolds, die Ahlefeldts, die Frijs und die Reedtz-Thotts auf dem Weg zum Hofe, zu den Theatern oder um sich gegenseitig zu besuchen. Ihre Karossen ließen auf der steinernen Brücke lange Funkenregen hinter sich. Alle Pferde trugen an den Stirnriemen sogenannte Blinker, die kleinen, glänzenden Scheiben, die dem Adel vorbehalten waren. Die alten Häuser bekamen neue Stimmen, Musik strömte in der Winternacht aus ihrem Innern. Nachtschwärmer blieben draußen stehen und hauchten in ihre kalten Hände. Und drinnen tanzten sie.
Eine neue Melodie gab es auch im Klangbild der Straßen, denn in der Konversation der bedeutenden Großgrundbesitzer waren die verschiedensten heimatlichen Mundarten zu hören. Die ganze Saison hindurch erklangen in mondänen Straßen, Theaterfoyers und königlichen Sälen kräftige, muntere jütische, fünische und Langeländer Töne aus dem Mund äußerst elegant gekleideter Menschen, in Pelz oder Uniform, oder im Frackhemd und geschmückt mit Orden. Die Mädchen von den Herrenhöfen ließen sich von den Stadtfräulein mit einem Blick unterscheiden: rank und schlank, mit klarer, reiner Haut, der Wind und Wetter nichts anhaben können, diszipliniert und stets zum Lachen aufgelegt, kühne Reiterinnen, unermüdliche, dahinschwebende Tänzerinnen; reißende Bärenjunge, gerade aus dem Winterschlaf erwacht und fest entschlossen, in einem drei Monate dauernden Märchen Revanche zu nehmen für Ausritte im Regen, Handarbeit, Vorlesen und frühes Zubettgehen.«
Wenn die Familie Dinesen dann im Laufe des Aprils die Großstadt wieder verließ, wohnte Wilhelm bei einem guten Freund seines Vaters, dem Reichsgrafen und früheren Finanzminister Wilhelm Carl Eppingen Sponneck und dessen Familie. Sponneck war einer der glühendsten Befürworter des Gesamtstaats. Zu der Zeit, in der Wilhelm bei der Familie wohnte, war Sponneck Generalzolldirektor. Russland hatte als Bedingung für seinen Druck auf Preußen im Zusammenhang mit dem Dreijährigen Krieg den Weiterbestand des alten dänischen Gesamtstaats unter einer konservativen Regierung verlangt. Aber die Konservativen verloren nach und nach ihre Macht, die Nationalliberalen gewannen erneut an Boden. Mitte der 1850er Jahre war im Kabinett kein Platz mehr für einen Mann wie Sponneck, der Holstein als einen ebenso wichtigen Teil des Reiches ansah wie Schleswig.
Sponneck war ein lebhafter kleiner Mann mit kräftigem Backenbart, akkurat frisiert und mit peinlich genau gezogenem Scheitel, voller Tatkraft und Willensstärke.
Bereits in jungen Jahren hatte er im Zollkammerkollegium Karriere gemacht und war Verfasser eines Buches mit dem Titel Om Toldvæsen i Almindelighed og det danske Toldvæsen i Særdeleshed (Über das Zollwesen im Allgemeinen und das dänische Zollwesen im Besonderen). Unmittelbar sollte man nicht glauben, dass ein solcher Mann soviel Einfluss haben konnte. Aber in einer Epoche, in der Dänemarks Handel zu blühen begann, und in der man auch in Kopenhagen gern wirtschaftliche Vorteile aus der Gemeinschaft mit den Herzogtümern Schleswig und Holstein ziehen wollte, besaßen Männer mit Fachkenntnissen in Zollfragen große Durchsetzungskraft.
Auf seinem Gebiet, Zoll, Finanzen und Abgaben, war Sponneck ebenso versiert und energisch wie A.W. Dinesen als Gutsbesitzer und Soldat. Obwohl er wie sein Freund auf Katholm ein Mann des Gesamtstaats war, ging er darauf ein, 1848 als vom König ausgewähltes Mitglied der nationalliberal orientierten Reichsversammlung beizutreten. Er wurde Dänemarks erster Finanzminister nach der neuen Verfassung und setzte etliche grundlegende Reformen durch. Unter anderem führte Sponneck die Briefmarke ein, denn als einer der Ersten erkannte er darin eine wichtige und gewinnbringende Einkommensquelle für den Staat. Er war ein Zahlenmensch, aber deshalb beileibe kein Langweiler. Das Motto auf seinem Wappen lautete »Fremad!« (Vorwärts). Politisch war er sicherlich konservativ, aber auf den Gebieten Finanzen und Kommunikation war er ein Mann der Zukunft. Schon bald sollte er ein glühender Anhänger eines weitmaschigen Eisenbahnnetzes und der Einführung des Telegrafen werden.
Sponneck und seine gleichfalls adlige Frau Antoinette Siegfriede, eine geborene Lowzow, hatten drei Kinder. Wilhelm fügte sich in die Familie ein und entwickelte ein fast brüderliches Verhältnis zum ältesten Sohn des Hauses, der ebenfalls Wilhelm hieß (benannt nach seinem Vater). Aber als Gast genoss der junge Dinesen größere Freiheit als Sponnecks eigene Kinder. So fand Wilhelm in Kopenhagen, weit weg von seinem dominanten Vater, einen Freiraum für die weitere Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit. Auch in der Schule konnte Wilhelm mehr oder weniger er selbst sein.
In den Jahren, in denen er bei der Familie Sponneck wohnte, zeichnen sich zwei parallele und doch sehr unterschiedliche Bilder des Schülers Wilhelm ab. Das eine zeigt einen beliebten Jungen, der Stärke, Selbstsicherheit und eine starke Anziehungskraft auf Schulkameraden und Lehrer ausstrahlt. Unter den Schülern war er oft der Mittelpunkt. Er besaß eine natürliche Autorität und verfügte über ein imponierendes Wissen über Pferde, Jagd, Wildhege und Fischerei, beliebte Themen auch bei seinen Mitschülern.
»Er sprach mit einem gewissen Selbstbewusstsein über alle möglichen Themen, ganz gleich welche«, heißt es in einem Porträt des jungen Dinesen. »Den größten Eifer zeigte er jedoch, wenn es galt, ein Fest oder eine andere Lustbarkeit zu besuchen.«
Das andere Bild zeigt einen Jungen, der das Bedürfnis hatte, seine eigenen Wege zu gehen, und hinter dessen lustigem und selbstsicherem Äußeren sich auch Sensibilität und Zerbrechlichkeit verbargen. Dass Wilhelm seine Eigenheiten hatte oder »merkwürdig« war, wie seine Schwestern es nannten, zeigte sich zum Beispiel darin, dass er ohne Rücksicht auf Mode, Wind und Wetter im Sommer gern eine Pelzmütze trug und aus irgendeinem Grund im Winter am liebsten in Sommerkleidung ging.
Seine Zerbrechlichkeit kam zum Ausdruck, als sein Vater A. W. Dinesen irgendwann beschloss, den Sohn von Mariboes Schule zu nehmen. Wilhelm zeigte so viel Talent, dass der Junge nach Meinung des Vaters auf eine noch bessere Schule gehen sollte. »Wilhelm war so verzweifelt, dass er ganz krank wurde und eine Gastritis bekam. Er lag da und fantasierte wild von den ekelhaften neuen Jungen und den ekelhaften Lehrern«, berichtet seine Schwester Anna. »Graf Sponneck musste A.W. Dinesen rufen, und als dieser sah, wie unglücklich sein Sohn war, versprach er, dass Wilhelm weiter auf seine alte Schule gehen dürfe, sobald er wieder