In irrer Mission. Bernt Danielsson

In irrer Mission - Bernt Danielsson


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      Bernt Danielsson

      Kevin & Schröder

      In irrer Mission

      Aus dem Schwedischen

      von Regine Elsässer

      Saga

      1

      Adelante

      In dem Moment, als Philip Marlowe sich in einer dunklen Nacht bei strömendem Regen hinter ein Auto duckte, das im Leerlauf lief, und Silver-Wig schrie:

      „I can see him! Through the window. Behind the wheel, Lash!“, klingelte es an der Tür.

      Ich hatte gerade die letzte Zimtschnecke in den Mund gesteckt und meine Kiefer unterbrachen erschrocken ihr lustvolles Kauen.

      Mein rechter Zeigefinger, der beim Lesen zerstreut an einem der drei Pickel, die ganz plötzlich vor einigen Tagen auf dem Kinn aufgetaucht waren, herumgefingert hatte, rutschte aus, und ich schnitt mich mit dem Nagel – es tat furchtbar weh, aber ich konnte den Schrei gerade noch unterdrücken.

      Ich setzte mich mit einem Ruck auf und schaute auf die grün leuchtenden Zahlen der Videoanzeige: 23. 28. Konnte es schon so spät sein? Und – Moment mal, habe ich gesagt, es klingelte an der Tür?

      Kurz vor halb zwölf an einem Donnerstagabend im Juni? Wer konnte das sein?

      Ich versuchte cool zu bleiben und war es natürlich nicht.

      Ich spülte die Zimtschnecke mit einem großen Schluck Himbeersaft runter.

      Das gefiel mir überhaupt nicht. Vor allem deshalb nicht, weil ich allein zu Hause war. Meine Eltern waren unten bei den Großeltern in Västervik und würden erst am Montag zurückkommen. Ich war eigentlich nie sehr gern allein gewesen, vor allem nicht abends, aber im letzten halben Jahr war es immer schlimmer geworden. Ich regte mich fürchterlich leicht auf und konnte mir alle nur denkbaren, widerwärtigen Scheußlichkeiten vorstellen.

      Dabei war es bestimmt nur ein Betrunkener, der die Bushaltestelle suchte.

      Es klingelte wieder an der Tür.

      Was sollte ich tun? Nicht aufmachen?

      Ziemlich bescheuert, denn wer auch immer es war, sah, dass es hell in der Hütte war.

      Waren die Nachbarn zu Hause?

      Ich legte das Buch beiseite, stand vom Sofa auf und schaute aus dem Wohnzimmerfenster, das zu den Nachbarn ging. Wenn sie zu Hause waren, dann waren sie auf jeden Fall nicht mehr wach, stellte ich fest. Ihre Haus lag völlig im Dunkeln und wenn ich nicht gewusst hätte, dass es da war, hätte ich es nicht gesehen.

      Ich schlich so leise wie möglich in die Küche, stellte mich ans Fenster und schaute hinaus. Ich sah nicht sehr viel. Für die erste Woche im Juni war es außergewöhnlich dunkel. Und ich hatte die Außenlampe vor ungefähr einer halben Stunde ausgemacht. Und die Lampe unten am Tor war kaputt. Es regnete nicht mehr, aber Dunstschleier flatterten noch in der Luft, der Himmel war so dunkel wie die Nacht.

      Ein weiteres, kurzes, wütendes Doppelklingeln an der Tür.

      Ich holte tief Luft und ging dann mit übertrieben polternden Schritten in den Flur.

      „Platz, Chandler! Platz!“, rief ich und versuchte so zu klingen, als ob ich das Herrchen eines muskulösen Wachhundes sei, der mit sabbernden Lefzen seine Zähne fletschte und bereit war, dem Eindringling mit einem tödlichen Sprung an die Gurgel zu gehen. Die Idee hatte ich aus einem Buch, das ich vor ein paar Jahren gelesen hatte.

      Bevor ich im Flur war, polterte es an die Tür und eine raue Stimme brüllte etwas, das klang wie „Erschieß den Satansbraten!“ Aber ich musste mich verhört haben.

      Was zum Teufel soll ich bloß machen?, dachte ich erschrocken, aber ich war mit meinem Gedanken noch nicht beim Fragezeichen angelangt, da wusste ich, wer es war.

      Natürlich ...

      Wer sonst konnte es sein? Wer sonst würde brüllen: „Erschieß den Satansbraten!“, und das in einem dicht besiedelten Vorort nachts um halb zwölf?

      Ich machte die Tür auf und stellte zu meiner großen Erleichterung fest, dass ich völlig Recht hatte.

      „Buenas noches, Kevin! Ich habe gar nicht gewusst, dass Chandler hier seine ewigen Jagdgründe gefunden hat!“

      Natürlich was es Raymond Schröder, natürlich grinste er spöttisch und riss sich die Ray-Ban-Sonnenbrille runter, kaute auf einem Bügel und blinzelte mich erwartungsvoll an. Er hatte seinen obligatorischen, alten, schmutzig weißen, langen Trenchcoat an, aber ansonsten sah er etwas anders aus. Irgendwie ordentlicher. Khakifarbene Hosen, die aussahen, als seien sie sogar gebügelt worden – zumindest vor ein paar Wochen, ein blaues Hemd, das auch frisch gebügelt aussah, ein schwarzer Schlips aus so einem groben Stoff, er hatte ihn lässig gebunden und den obersten Hemdenknopf geöffnet, und unter dem Mantel ahnte ich den Aufschlag eines braunen Jacketts.

      „Jetzt hast du Angst gekriegt, was? Hast gedacht, das ist so ein Psychosomatpsychopath, der dir den Schwanz abschneiden will. Cómo estas mit umgedrehtem Fragezeichen!“

      „Was?“

      „Cómo estas. ‚Wie geht es‘ auf Spanisch natürlich. Und da verwendet man umgedrehte Fragezeichen, hast du das nicht gewusst? Vermutlich wegen zu viel billigem Rioja Tinto ... Aber was zum Teufel hast du denn gemacht?“ Ich schaute ihn verständnislos und fragend an. „Im Gesicht. Du blutest ja, verdammt! Und auf den Lippen hast du weiße Bläschen ...“

      „Wirklich“, murmelte ich und tastete mit dem Zeigefinger am Kinn. Klar, der eine Pickel war ganz zerdrückt worden. „Ähm ... bloß ein Pickel. Nicht so schlimm.“ Und mit dem Handrücken wischte ich den Hagelzucker von der Zimtschnecke vom Mund.

      „Ja, das seh ich. Hab gedacht, du hättest das pubertale Pickelstadium allmählich hinter dir. Hast du es mal mit Clerasil probiert?“ Er beugte sich vor und starrte mein Kinn an. „Obwohl, gegen solche Kaventsmänner hilft das auch nicht. Du kannst dankbar sein, dass er nicht mitten auf der Nase ist. Jetzt müsstest du eigentlich ‚Adelante!‘ sagen und freudig überrascht aussehen, und nicht so säuerlich dreinschauen.“

      „Adelante?“

      „Genau. Vielen Dank. Das ist nicht besonders herzlich, aber immerhin. Dann mach ich es eben.“

      Er trat ein und schloss schnell die Tür hinter sich.

      Er sah wirklich ganz anders aus, stellte ich fest, aber es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass es nicht bloß die Kleidung war – er hatte auch die Haare geschnitten. Richtig kurz, und sie schienen auch nicht mehr lockig zu sein. Aber den Stoppelbart hatte er noch. Ich kreuzte die Arme und lehnte mich an den Rahmen der Küchentür.

      „Da du nach einem nicht vorhandenen Chandler gerufen und so übertrieben mit den Pantoffeln gepoltert hast, nehme ich an, dass du allein bist. Que?“ Er hob fragend die eine Augenbraue. Ich nickte kurz. „Gut. Aber – du bist ja gar nicht im Schlafanzug. Hat der kleine Kevin denn noch nicht geschlummert?“ Er schloss die Tür zur Diele und sein Blick traf meinen. „Okay, okay, mein Kleiner. Only kidding. Ich weiss, dass es spät ist, aber es ist verdammt noch mal nicht meine Schuld.“

      Ich machte die Tür zur Gästetoilette auf und riss ein Stück Klopapier ab und drückte es auf den zerquetschen Pickel auf meinem Kinn.

      „Ich würde Pflaster an Stelle von Klopapier empfehlen“, sagte er besorgt. „Also, ich saß zu Hause und feilte an meiner Gedichtsammlung, die ...“

      „Gedichtsammlung?“

      „Na klar.“

      „Malst du denn nicht mehr?“

      „Das geht dich einen Scheißdreck an. Die Gedichtsammlung wird heißen ‚Este tien una falta‘, habe ich mir gedacht – das ist doch gut, oder?“

      „Und was bedeutet es?“

      „Das sag ich dir später. Aber es klingt doch richtig kontinental, oder? Sie wird zwar abgelehnt werden. Aber so ist es eben ...“

      „Was?“


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