In irrer Mission. Bernt Danielsson

In irrer Mission - Bernt Danielsson


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handelten nämlich meistens von Lena Dahlén. Ich kam einfach nicht von ihr los. Wie sehr ich es auch versuchte. Natürlich rannte ich auf jede Menge Feste und natürlich machte ich auch mit allen möglichen Bräuten rum, aber ich merkte immer wieder, dass ich ständig an Lena dachte. Und ich verglich die anderen Mädchen mit ihr. Und da hatten die natürlich keine Chance.

      Das war doch lächerlich. Sie war ja mindestens fünfunddreißig, vielleicht sogar so alt wie meine Mutter (Jesses!). Ich verstand nicht, wieso ich so fixiert auf sie war. Ich versuchte, das alles irgendwie klar zu kriegen, und habe doch tatsächlich angefangen so eine Art Tagebuch zu schreiben. Ich versuchte aufzuschreiben, was für Gefühle ich hatte. Das ging natürlich nicht.

      Plötzlich, eines Morgens Ende Januar stand ein neu glänzendes, schwarzes Piaggio-Moped an unserem Gartentor, ein riesiges, rosa Seidenband war darumgeschlungen und zu einer gigantischen Schleife gebunden, mit einem Schild, auf dem stand: „Für Kevin, von Raymond & Lena.“

      Es war ziemlich schwierig, meinen Eltern das Ganze zu erklären. Fast so schwierig, wie zu erklären, warum mein altes Piaggio gestohlen worden war, warum die Garagentür kaputt oder „verwüstet“ war, wie mein Vater es nannte, warum seine Diskettenbox aufgebrochen war, wo sein unglaublich wichtiger Entwurf für die Jahressteuer seines größten Kunden hingekommen war, und wie es kam, dass zwei seiner teuersten Flaschen Rotwein verschwunden waren usw. usw.

      Ich weiß nicht mehr, wie es mir gelang, alles zu erklären, ohne zu erzählen, was wirklich passiert war. Es hätte auch keinen Sinn gehabt. Sie hätten mir doch nicht geglaubt. Außerdem durfte ich auch nichts erzählen. Aber sowohl meine Mutter als auch mein Vater wollten unbedingt meinen „neuen Freund“, diesen Raymond Schröder kennen lernen. Aber zum Glück vergaßen sie es irgendwann wieder. Sie hatten genug andere Probleme, die Firma meines Vaters ging mehrmals beinahe in Konkurs und meine Mutter hatte jede Menge Sorgen in der Schule mit Kürzungen, unmöglichen Einsparungen und hoffnungslos verwässerten Lehrplänen, wie sie sich ausdrückte.

      Und dann klingelte eines Abends im April das Telefon. Glücklicherweise war ich allein zu Hause, Mutter war bei einem Kurs und Vater arbeitete mal wieder länger.

      „Hallo, Kevin, ich bin’s ...“

      Und es gab überhaupt keinen Zweifel, wer ich war.

      Das Gespräch verlief genau wie alle Gespräche, die ich mit Lena am Telefon führte. Wenn ihre Stimme so nah war und sich direkt in mein Ohr schlich, war es, als ob sie ganz in mich hineinkriechen würde, und da kam ich ganz durcheinander, fing an zu stottern, wurde rot, verhaspelte mich und bekam Frösche in den Hals und einen leicht surrenden Schwindel. Und alles zusammen führte dazu, dass ich nicht richtig hörte, was sie sagte, ich begriff den Zusammenhang irgendwie nicht, oder wie man das ausdrücken soll.

      Sie sei in der Nähe, sagte sie, und sie brauche Hilfe. Ich müsse etwas für sie aufbewahren und verstecken. Als ich sagte, ich sei allein zu Hause und Mama und Pa ... ähm ... meine Eltern kämen erst in einigen Stunden, hatte ich fast noch nicht den Hörer aufgelegt, als ich auch schon ein Auto unten auf der Straße halten hörte. Ich stieg in die Schuhe und erwartete einen weißen Porsche. Seit jenem regnerischen Herbstabend im letzten Jahr hatten weiße Porsches für mich eine besondere Bedeutung, und wenn ich einen sah, spürte ich (es fällt mir schwer, es zuzugeben, aber gut), spürte ich Lena Dahléns Lippen auf meinen (doch, das stimmt).

      Da unten stand überhaupt kein weißer Porsche. Stattdessen stieg sie aus einem knallgelben, rostigen Citroën 2CV, ihr wisst schon, so eine französische Blechbüchse, die schon lange nicht mehr gebaut wird. Als ich zum Gartentor kam, stand sie da und lächelte.

      „Noch mal hallo, Kevin.“

      Sie sah aus wie immer. Mir kam sofort die alte Songzeile in den Sinn: I grow weak in the presence of beauty.

      Sie reichte mir ein Paket, das in ganz normales, braunes Packpapier eingeschlagen war, vielleicht ein bisschen größer als ein Taschenbuch, nicht dicker als Chandlers „The Big Sleep“.

      „Kannst du das für mich verstecken?“

      Es war wichtig und natürlich fürchterlich geheim. Sie erklärte, es sei ein Gerät, das an ein Telefon angeschlossen wurde.

      „Ein Fax, meinst du?“, fragte ich erstaunt.

      „Nein, kein Fax, aber etwas Ähnliches“.

      Dann erklärte sie mir, wie es funktionierte, aber ich verstand es nicht richtig. Denn wenn sie vor mir stand, war ich total verwirrt und kindisch.

      Sie meinte, dass ich vermutlich nichts machen müsse, aber: „Sobald jemand dich anruft oder zu dir nach Hause kommt und dich dreimal von mir grüßt – merk dir das: nicht nur grüßt, sondern dreimal von mir grüßt“, dann sollte ich das Gerät anschließen, sobald ich allein war.

      „Es ist ganz einfach, ich habe ein paar Hinweise aufgeschrieben, sie liegen in der Schachtel, und da steht auch, was du dann machen musst.“ Es war also sehr wichtig, dass ich es wirklich versteckte, sie hätte mich lieber nicht schon wieder in etwas verwickelt, aber sie kannte sonst niemanden, bei dem es keine Verbindungen zwischen ihr und BEDA gab.

      „Wie ist es denn mit denen weitergegangen?“, fragte ich und nahm das Paket.

      „Es ist noch nicht zu Ende“, sagte sie und folgte mir zum Haus.

      „Du hast vielleicht von diesem Flugzeugabsturz gehört.“

      „Waren das ...“

      „Ja. Deswegen muss ich es so machen. Alles ist so schrecklich verwickelt, ich traue inzwischen niemandem mehr, deshalb muss ich ... Und du, Kevin – kein Wort, vergiss das nicht.“

      „Willst du nicht einen Kaffee oder so?“, fragte ich und kam mir schon wieder so superalbern und megakindisch vor. Ich war dankbar, dass die Außenlampe nicht so hell war. Und trotzdem hoffte ich innerlich, dass sie Ja sagen würde. Ich würde ihr Kaffee machen, in der Mikrowelle tiefgekühlte Zimtschnecken auftauen, ihr am Küchentisch gegenübersitzen, ihr in die Augen schauen, ihre Stimme hören und –

      „Hab keine Zeit, Kevin. Ein andermal. Hast du in letzter Zeit mir Raymond gesprochen?“ Ich schüttelte den Kopf und versuchte über die Enttäuschung hinwegzukommen, die wie ein großer, grober Stein in meinen Körper sank. „Ich auch eine ganze Weile nicht“, sagte sie mit so einem Lächeln, von denen meine Erinnerungsabteilung eine sorgfältig gepflegte und hoch geschätzte Sammlung besaß. „Wenn du ihn sprichst, grüß ihn.“

      „War das alles? Grüßen? Hat sie sonst nichts gesagt? Und dann ging sie einfach wieder?“

      Ich nickte, aber das stimmte nicht ganz. Ich erzählte nicht, dass sie mir noch so ein Lächeln schenkte, und dass sie sich dann vorbeugte und mich rasch in eine Umarmung einschloss, die ich immer noch als deutlichen Abdruck auf dem ganzen Körper spüre.

      „Als ob ich der Cousin der Schwägerin ihrer Mutter wäre“, brummte Schröder.

      Ich machte den Pappkarton auf und holte eine blau-schwarze Plastikschachtel heraus, die aussah wie ein übergroßer Walkman. Sie war ungefähr so dick wie Chandlers „The Big Sleep“. Ganz unten lag ein gefaltetes A4-Papier mit den Instruktionen, von denen Lena gesprochen hatte. Sie waren auf einem Computer geschrieben und mit einem Tintenstrahldrucker ausgedruckt worden, der bald eine neue Tintenpatrone brauchen würde, vermutete ich.

      Für Kevin stand ganz oben in Kursivschrift.

      „Verdammt, Kaffee, Kevin. Kaffee.“

      Ich zeigte gedankenverloren Richtung Küchenschrank, ohne meine Lektüre zu unterbrechen.

      Er machte zwei große Schritte und riss die Schranktür auf. „Löfbergs Lila?! Aber was ist denn das, Kevin? Was? Hat dein Alter Steuern nachzahlen müssen? Kein Segafredo? Kein Kimbo? Nicht mal Lavazza?“

      „Hmm ...“, brummte ich.

      „Ich hab was gefragt!!“

      „Was?“

      „Habt ihr keinen richtigen Kaffee im Haus?“

      „Nicht?“


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