In irrer Mission. Bernt Danielsson

In irrer Mission - Bernt Danielsson


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hast du den bloß gelassen?“

      Ich antwortete gar nicht erst, lief die Schiefertreppe zur Haustür hoch und trat in den Flur. Ich stellte den Karton auf die Fußmatte und zog die lehmverschmierten Gartenhandschuhe aus. Ich sah mich um und wusste nicht, wo ich sie hinlegen sollte, ohne allzu viel schmutzig zu machen. Ehe ich einen Entschluss fassen konnte, wurde die Tür aufgerissen und Schröder trat ein.

      „Ich habe keinen verdammten Spaten gefunden. Wir müssen ihn morgen früh holen. Und was ist das? Ein Buch?“

      Ich zuckte mit den Schultern und zog die Schuhe aus.

      „Kevin, bitte, sei so lieb. Kannst du mir erklären, warum – Ich meine, ich komme her und besuche dich und erzähle, dass Lena angerufen hat und das ich dich ‚dreimal‘ grüßen soll und ...“ Er unterbrach sich und machte mit beiden Armen eine resignierte Geste. „Jesses, was seid ihr blöd! Grüß den kleinen Kevin dreimal von mir!“

      „So hat sie es bestimmt nicht gesagt!“

      „Ha! Jetzt hab ich dich erwischt, was?“

      „Zieh die Boots aus.“

      „Ja, ja, ist schon gut. Natürlich verstehe ich, dass das etwas bedeuten soll, irgendein Code oder was ihr euch ausgedacht habt. Es sei ganz verdammt wichtig, sagte sie.“ Er lehnte sich an die Wand und hob das linke Bein, legte es auf den rechten Oberschenkel und zog mit beiden Händen und unter großem Stöhnen einen Cowboystiefel aus. „Und dann drehst du total durch. Ich kann kaum Guten Tag sagen und erzählen, wie es mir geht, da hast du schon die Gartenhandschuhe an und stürzt dich hinaus in die Nacht und fängst an zu buddeln wie der Totengräber aus Hamlet.“

      Er wechselte den Fuß, blieb aber nicht stehen, sondern hüpfte auf einem bestrumpften Fuß umher und schaffte es schließlich unter lauten Gestöhn, auch den anderen Stiefel auszuziehen. Mit besorgter Miene inspizierte er die Zehenspitze des Lederstiefels. „Verdammt, jetzt ist die Sohle schon wieder abgegangen, nur weil ich in eurem matschigen Garten herumstiefeln musste. Das ist doch lächerlich und außer ...“ Er verstummte, als sein Blick plötzlich die Bilder an den Wänden entdeckte. „Und sieh mal, die verdammten Bilder hängen immer noch an der Wand!“

      Während Schröder weitermachte wie immer, ging ich in die Küche, legte die Handschuhe in den Ausguss und stellte den Karton auf das Abtropfbrett. Irgendwie hatte er ja Recht, es war schon ein ziemlich bescheuert. Aber als Lena damals sagte, an dem Tag, an dem ich einen Gruß von ihr bekommen würde, der lautete „dreimal“, sollte ich sofort den Apparillo holen und ihn so schnell wie möglich einschalten, da klang es überhaupt nicht lächerlich. Im Gegenteil.

      Ich kam an mein Kinn und hatte wieder Blut an der Hand. Blöder Pickel, dachte ich und wischte es mit Haushaltspapier ab.

      „Tja, verdammt, hier hat sich auch nichts verändert seit dem letzten Mal“, sagte Schröder, als ich mir gerade die Hände wusch. „Das Leben wichtelt weiter so vor sich hin in der blitzeblanken Küche von familio El Karlsson.“ Er kicherte, unterbrach sich dann und wurde plötzlich ernst. „Hast du mal darüber nachgedacht? Wie viele Menschen denken, dass Geborgenheit das Gleiche wie Glück ist, wo doch eigentlich nur das seltene Glück an sich wirklich Geborgenheit geben kann.“ Er schaute mich mit so einem erwartungsvollen Blick an, der jedoch schnell in deutliche Enttäuschung überging.

      „Und was hat unsere Küche damit zu tun?“, fragte ich, machte den Putzschrank auf und trocknete mich an einem Geschirrhandtuch ab.

      „Eine ganze Menge, mein Junge, mehr als du denkst. Aber ich merke, dass du heute Abend nicht zu tiefsinnigen Gesprächen aufgelegt bist. Du hast ja viel wichtigere Dinge vor, wie zum Beispiel Bücherpakete aus den Blumenbeeten auszugraben. Es ist ja ein gottverdammtes Glück, dass deine Eltern heute nicht zu Hause sind. Ich muss zugeben, ich habe mir auf dem Weg hierher ein wenig Sorgen gemacht. Dank für die gütige Nichtfrage, mir geht es, den Umständen entsprechend, ganz gut. Tatsächlich muy bien, auch wenn dir das scheißegal ist.“

      „Ist es nicht, aber Lena sagte, dass ...“

      „Wann hast du sie eigentlich getroffen? Habt ihr denn kein Pflaster im Haus?“

      „Doch, oben. Aber es ist fast alle. Irgendwann im Frühjahr.“

      „Was?“

      „Lena. Ich habe Lena irgendwann im Frühjahr getroffen“, sagte ich. „Sie rief an, und dann kam sie und ...“

      „Sie war hier?!“ Er wühlte energisch in den Innentaschen seines Mantel und brachte eine zerschlissene Lederbrieftasche zum Vorschein. „Willst du damit sagen, dass sie hier war und nicht mal bei mir angeklingelt hat?!“ Er blätterte durch mehrere zum Platzen volle Fächer und hielt dann mit einem triumphierenden Grinsen ein altes Pflaster hoch.

      Ich nahm es, zog das Schutzpapier ab und klebte es irgendwie auf mein Kinn.

      „Nicht besonders hübsch. Und du hättest in den Spiegel schauen können. Aber zweckdienlich.“

      „Was?“

      „Das Pflaster. Es sitzt nicht sonderlich elegant. Was zum Teufel ist nur mit Lena los?“ Er seufzte tief, zog einen der Küchenstühle raus und setzte sich. „Und jetzt ruft sie also an, bittet mich, hierher zu flitzen und dich dreimal zu grüßen. Warum zum Teufel hat sie nicht selbst hier angerufen!?“

      „Weil ihr Telefon natürlich verwanzt ist.“

      „Verwanzt? Hat sie Ungeziefer im Telefon? Aber wie hat sie dann ...“

      „Abgehört wird“, unterbrach ich ihn ungeduldig und riss das Verpackungsband auf.

      „Aha, also wieder so was. Du, pleasch, wie der Bramaputrawichtel Rashmal zu sagen pflegte, könntest du mir das ein bisschen genauer erklären?“

      Ich zuckte mit den Schultern. Innerhalb einer Nanosekunde blätterte das Gedächtnis ein halbes Jahr durch. Mir wurde fast schwindlig, so schnell ging das.

      Eigentlich war nach dem großen Durcheinander am Rösjö im letzten Winter nicht sehr viel passiert, falls ihr euch daran erinnert.1 „Das fehlende Glied“, wie Lena und ihr Vater Adler den Kerl nannten, den sie mit Hilfe der gefälschten Diskette nach Schweden gelockt hatten, und den ich mit Adlers Infrarot-Polaroidkamera auf die Platte bekommen hatte. Er war irgendein schwedischer Bigshot und steckte bis zu den Knöcheln in der mafiaähnlichen Organisation namens BEDA.

      Wenn man bedenkt, wie aufgeregt Adler und seine Helfer wurden, als sie sahen, wer da auf dem Foto war, hatte ich erwartet, eine Menge darüber in der Zeitung zu lesen. Wochenlang las ich deshalb jeden Artikel auf der Nachrichtenseite, zum großen Erstaunen meiner Eltern.

      Es stand nie etwas drin, keine Zeile. Und dabei hatte Adler zu Schröder gesagt, dass die Affäre große innenpolitische Konsequenzen haben würde und die Regierung vermutlich zurücktreten müsse. Was sie nicht tat. Der Außenminister trat zwar ungefähr einen Monat später aus gesundheitlichen Gründen zurück, was wahrscheinlich sogar stimmte, er sah ziemlich krank aus. Ich fand es einigermaßen unwahrscheinlich, dass es etwas mit der Diskette und Adler zu tun hatte.

      Dann kam Mitte Februar der Finanzminister bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die Kommission, die den Absturz untersuchte, kam zu dem Schluss, dass die eine Tragfläche des kleinen Flugzeugs vereist war. Der Gedanke, dass das Unglück etwas mit BEDA zu tun haben könnte, kam mir zwar, aber ich verwarf ihn wieder.

      Inzwischen hatte ich fast vergessen, was mit dieser Diskette und draußen am Rösjö und im VIP-Raum am Arlanda-Flughafen passiert war und auch Beppo, die Morchel, und Rashmal. Oder: ich versuchte es zumindest. Aber immer wieder, kurz vor dem Einschlafen, liefen dann die Erinnerungsvideos und die waren jedes Mal anders. Schließlich wusste ich nicht mehr, was ich wirklich erlebt hatte und was meine Erinnerung hinterher erfunden hatte. Schließlich hatte ich das Gefühl, dass es bloß ein Buch war – verdammt gut, aber immerhin bloß ein Buch, das ich gelesen hatte.

      Stattdessen versuchte ich mich aufs Lernen zu konzentrieren, was mir nicht besonders gut gelang. Ich dachte über die berühmte Zukunft nach und was ich werden sollte, wo ich doch nicht mal wusste, was


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