In irrer Mission. Bernt Danielsson

In irrer Mission - Bernt Danielsson


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sollte man sich auch nach Schröder sehnen?

      „Willst du den Brief nicht lesen?“, fragte ich.

      „Brief? Welchen Brief? Hast du mir geschrieben?“

      „Den von Lena natürlich.“

      „Ach so. Klar, du hast Recht.“ Er steckte die Zigarette in den Mundwinkel, holte den Umschlag aus der Jackentasche und riss ihn auf. Er zog ein Blatt Papier heraus und fing an zu lesen. Erst sah er noch so verwirrt und zerstreut aus wie immer, aber dann versteifte sich sein ganzer Körper. Das sah sehr merkwürdig aus. Er nahm gewissermaßen Haltung an, strich sich über die kurz geschnittenen Haare, streckte den Rücken und schien sehr konzentriert.

      „Was ist denn?“

      Er hörte mich nicht und las weiter.

      „Du musst aschen“, sagte ich.

      Er schaute hoch und sah erstaunt fragend aus.

      „Aschen“, sagte ich und zeigte auf die Zigarette. „Die Kippe.“

      Er führte die rechte Hand zur Zigarette im Mundwinkel, aber gerade, als er sie nehmen wollte, fiel die Aschesäule runter und landete auf seinem Schoß. Er zuckte zusammen, ließ den Brief fallen, stand mit einem Ruck auf, so dass der Stuhl mit einem Poltern nach hinten umfiel, was ihn erschreckte. „Verdammt!“ Er bürstete wie ein Wahnsinniger seine Hose ab, aber der Aschefleck wurde natürlich immer größer.

      „Jetzt bist du über-ascht worden, was“, sagte ich und versuchte, richtig cool zu klingen, bückte mich, hob den Brief und legte ihn auf den Tisch.

      „Meine neuen Marlboro“, murmelte er bekümmert und rieb immer noch den Hosenstoff. Er hatte mich natürlich nicht gehört.

      „Ich dachte, das sind Gitanes“, sagte ich.

      „Ha! Jetzt warst du aber witzig. Zweimal sogar! Bist du vielleicht Groucho Marx?“ Er stellte den Stuhl wieder hin und setzte sich.

      Das Wasser kochte, ich holte einen Becher aus dem Regal und stellte ihn zusammen mit dem Lavazzaglas und einem Löffel auf den Tisch. Schröder schaufelte drei gehäufte Löffel in den Becher und nickte zufrieden. „Right Kevin, her mit la acqua, per favore!“

      „Was schreibt sie?“, fragte ich und goss Wasser in den Becher.

      Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, verkeilte sie ganz unten zwischen Zeige- und Mittelfinger und rührte mit dem Löffel im Becher.

      „Das wüsstest du wohl gerne, du liebeskranker pickeliger Pubertätsschlingel?“

      „Na klar.“ Ich seufzte und spürte, dass ich dummerweise heiße Wangen bekam und dass ich ebenso dummerweise ganz tief innen unglaublich getroffen war. Ich stellte den Topf wieder auf den Herd und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch.

      „Na klar“, sagte er und äffte mich auf seine übertriebene Art nach, die eines Tages einen richtigen Wutausbruch bei mir auslösen könnte. Er führte den Becher zum Mund ohne den Blick vom Brief zu nehmen. Instinktiv wollte ich ihn warnen, konnte es aber gerade noch bleiben lassen.

      Natürlich war der Kaffee kein bisschen abgekühlt, er war bestimmt noch kochend heiß. Ein halb unterdrückter Schrei explodierte förmlich aus ihm heraus und er spritzte eine Kaskade heißen Kaffees über den Blumenstrauß auf dem Tisch. Ich konnte mich gerade noch zur Seite bücken und bekam keinen Tropfen ab.

      Ich sagte nichts, setzte mich nur hin und sah ihn an. Er schaute mich mit fragendem Gesichtsausdruck an. „Was glotzt du denn?“, fragte er. „So macht man es immer in Italien mit dem ersten Schluck Express-Espresso, hast du das nicht gewusst? So vermeidet man die Nebenwirkungen der Gefriertrocknung.“

      Ich versuchte nicht zu lachen, es gelang jedoch nicht.

      Da lächelte er, schien fast den Tränen nahe und sagte: „Jetzt erkenne ich dich endlich wieder. Obwohl das Pflaster ein bisschen groß ist für dein kleines Kinn. Du hast es übrigens genau über den anderen Pickel geklebt, du wirst ihn wahrscheinlich aufreißen, wenn du das Pflaster abmachst. Was meinst du, wie heißen Pickel wohl in Spanien?“

      „Mixed Pickles?“, schlug ich vor.

      „Verdammt, jetzt warst du schon wieder witzig. Wie soll das nur enden. Junge, Junge. Hast du nicht auch so ein Déjà-vu-Gefühl?“

      „Was?“

      „Déjà-vu. Das ist Französisch. Es bedeutet ‚Das war damals‘.“

      „Tsss ...“

      „Doch, ganz bestimmt. Déjà bedeutet ‚das war‘ und vu bedeutet ‚damals‘. Aber sag, hast du es nicht?“

      „Was denn?“, fragte ich, stand auf und holte Haushaltspapier, um den Tisch abzuwischen.

      „Das Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben?“ Ich wischte die Blumenvase ab und schaute die Blumen an. „Die mussten gegossen werden“, sagte er zufrieden. „Und Koffein belebt sie, die Farben werden kräftiger ... Genau jetzt, hast du nicht auch das Gefühl, das alles irgendwie schon einmal erlebt zu haben. Ich meine, genau jetzt, wie wir hier sitzen, du und ich? Oder, um genau zu sein, ich sitze hier und du wischst den Löwenzahn ab.“

      „Die Nelken.“

      „Nelken sind doch rot.“

      „Es gibt sie in allen Farben.“

      „Wirklich? ‚Gelbe Nelken‘ klingt aber nicht so gut ...“

      „Schon gar nicht in der Übersetzung“, sagte ich mit einem Grinsen.

      „Was?“

      „Yellow Pimpernell.“

      „Das klingt doch nicht so dumm.“

      „Yellow? Weißt du nicht, dass das auch feige bedeutet?“

      „Natürlich weiß ich das, du blöder Oberlehrer, aber ich fand es nicht wahnsinnig witzig. Und gelb oder rot, kommt wohl nicht drauf an. Blumen sind Blumen. Ist egal, welche Sorte, Hauptsache sie schmücken und erfüllen ihre Aufgabe. Und verwelken müssen sie am Ende doch alle, genau wie alles andere hier auf der Welt. Das Leben, zum Beispiel ... Ach ja“, seufzte er und schaute gedankenverloren zur Decke, bevor er kräftig an seiner Zigarette zog. „Aber trotz allem: Déjà-vu, mon ami. Und Lena, die natürlich mal wieder abwesend, aber dennoch gegenwärtig ist und beginnt, an uns zu ziehen. Als ob wir ihre Marionetten wären ... Nicht wahr?“ Er dachte eine Weile nach, dann verfinsterte sich sein Blick, er schaute auf den Brief, las noch einige Zeilen, zog dann die Augenbrauen zusammen und brüllte aus vollem Hals:

      „Und schon wieder diese verfluchte verdammte stinkende alte Scheiße! Das darf doch wohl nicht wahr sein!“

      Er donnerte die Faust auf den Tisch, eine weitere Aschesäule löste sich von der Zigarette. Dieses Mal machte sie einen großen Bogen durch die Luft unter der Lampe durch und fiel genau in seinen Kaffeebecher. Das brachte ihn aus dem Konzept, er starrte erstaunt in den Becher und bewegte den Blick dann langsam zu seiner Hand, die ganz ruhig auf dem Tisch lag. Und dann schaute er mich mit einem breiten Grinsen an.

      „Was für ein Volltreffer! Hast du das gesehen?! Gibt ein ausgezeichnetes Aroma, verstehst du ... Espresso Aschico ... Ähm, was wollte ich sagen. Das ist doch genau das Gefühl wie schon einmal? Aber ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefällt. Nein, ich weiß wirklich nicht, ob ich Lust habe mich schon wieder um Lenas verfluchte, schmutzige Wäsche zu kümmern, außerdem bin ich im Moment vollauf beschäftigt. Vollauf damit beschäftigt, es mir gut gehen zu lassen.“

      „Gut gehen zu lassen?“

      „Ja, genau. Das ist eine Vollzeitbeschäftigung. Ein ständiger Kampf. Besonders, wenn man solche Leute wie Lena kennt, die nichts anderes im Sinn haben, als das Leben kompliziert zu machen – und nicht nur ihr eigenes, nein, sie reißen alle mit, die in ihrer Nähe sind. Wie Lawinen. Ist doch wahr, da hat man endlich ein bisschen Ruhe, Zeit zum Nachdenken, kann gut essen und Siesta halten, trinkt jeden Abend seinen Wein und pusselt ein bisschen herum, die Gedichtsammlung ist


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