In irrer Mission. Bernt Danielsson

In irrer Mission - Bernt Danielsson


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Lebensfreude zwitschert?“

      „Das ist ein Laubsänger.“

      „Nix. Typisch Lerche. Und wenn schon. Vogel bleibt Vogel. Zwitschern tut er auf jeden Fall. Und wir auch! Zwitschern und leben! Trotz des nächtlichen Grauens! Das Pflaster sieht erheblich besser aus. Cómo estas, por favor?“

      „Ich dachte, wir fahren nach England.“ Sollte ich was sagen? Wegen heute Nacht? Und was meinte er mit nächtlichem Grauen?

      „Tja, verdammt, die werden dort wohl auch Spanisch reden ...“

      Ich schaute und zuckte zusammen, ohne richtig zu verstehen warum. Aber dann sah ich es: Schröder war frisch rasiert. Und da merkte ich, dass ich ihn noch nie ohne Stoppelbart gesehen hatte. Jetzt war auf seinem Kinn nicht einmal die Andeutung von Stoppeln und zusammen mit den kurz geschnittenen Haaren war er fast nicht wieder zu erkennen. Und er hatte auch nicht die Ray-Ban-Brille auf. Außerdem trug er einen Anzug mit Weste. Der Anzug war gut gebügelt und gut geschnitten. Dazu hatte er ein weißes Hemd mit Button-down-Kragen an und einen schwarzen Schlips. Und als i-Tüpfelchen steckte eine gelbe Blume im Knopfloch des Aufschlags. Eine Nelke. Hatte er die mitgenommen, als er gegangen war? Es war, als sähe ich einen anderen Menschen.

      „Was zum Teufel ist denn mit dir los? Hast du Meglomanie bekommen?“

      „Was?“

      „Die Glotzkrankheit, natürlich.“

      „Woher hast du die Nelke?“

      „Nelke? Soll das eine Nelke sein?“

      Er klappte den Jackenkragen hoch und schaute. „In diesem Fall ist mein verwilderter Garten ein sowohl pflanzologisches wie klimatologisches Wunder. Aber das würde mich auch nicht wundern ...“

      „Wie meinst du das?“

      „Ich meine, dass ich die Blume im Vorbeigehen zu Hause auf meinen Grundstück abgerissen habe, als das Taxi kam. Und wenn das unten bei der Mülltonne Nelken sind ...“

      „Ach so“, sagte ich, fand aber doch, dass es wie eine Nelke aussah. „Du siehst aus wie ein Börsenmakler“, sagte ich und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

      „Börsenmakler? Beleidige mich nicht, Junge. Sitzt der Anzug so schlecht?“

      Ganz und gar nicht. Irgendwie hatte ich gehofft, er würde wenigstens seine Cowboystiefel anhaben, hatte er aber nicht, sondern er trug ein Paar glänzend neue, dunkle rot-braune Schuhe mit solchen Schlangenmustern aus Löchern seitlich und vorne an der Zehenkappe, aber an der Oberseite war das Leder geflochten. Diese Kombination hatte ich allerdings noch nie gesehen.

      „Schick, nicht? Und nagelneu. Das sind ein Paar Broosh-Schuhe, denk mal drüber nach ...“

      „Broosh?“

      „Genau. Schreibt sich b-r-o-g-u-e.“

      „Dann spricht man es aber nicht so wie du aus.“

      „Nicht?“

      „Wenn es brogue geschrieben wird, dann spricht man brog, mit Betonung auf dem o.“

      „Und du bist ganz sicher, dass es nicht broosh heißt?“

      „Dann würde man es doch b-r-o-u-g-e schreiben.“

      „Aha. So, so, du musst einem immer den Spaß verderben. Aber okay. Ich habe auf jeden Fall gerade ein Paar Brogue-Schuhe gekauft, und das ist wirklich ziemlich lustig.“

      „Wieso?“

      „Na ja, vergiss es nicht. Komm jetzt, the taxi’s waiting.“

      „He’s blowing his horn“, sagte ich.

      Schröder blieb stehen und schaute mich an. „Was du nicht alles weißt. Hab nicht gedacht, dass du so bewandert in klassischer Musik bist.“

      „Lieblingslied meiner Eltern. Sie haben es ständig gespielt, als sie sich kennen lernten, und ich kriege es einmal im Jahr an ihrem Hochzeitstag zu hören.“

      „Aha, aha, so ein Schmonzes. Überhaupt, sind sie noch so jung?“

      „Jung?“

      „Los jetzt, Junge, komm.“ Er sah meine Reisetasche. „Meinst du, wir fahren nach Australien?“

      „Wir haben keine kleinere.“

      „Habt ihr denn auch keine größere?“

      „Was?“

      „Und was ist damit?“, sagte er und zeigte auf meine schwarze Schultertasche, die neben der Reisetasche stand. „Willst du die etwa auch mitnehmen?“

      Ich nickte.

      „Willst du nicht auch das Bett mitnehmen? Nicht zu reden von der Kaffeemaschine und der Tiefkühle mit den Zimtschnecken, was?! Und die Comicsammlung von deinem Vater und vielleicht auch eins von den wunderbaren Bildern im Flur, damit du dich richtig zu Hause fühlst, auch wenn wir weit weg sind ...“

      Ich verdrehte übertrieben die Augen, trat aus dem Haus und wollte schon die Tür zuschließen.

      „Hast du den Herd kontrolliert?“

      „Mehrmals. Du klingst wie meine Mutter.“

      „Pah, mein Junge! Hast du auch das Küchenfenster zugemacht?“ Woher wusste er –? „Hast du auch den Stecker vom Fernseher und vom Computer rausgezogen?“, fuhr er so schnell fort, dass ich das mit dem Küchenfenster vergaß.

      „Warum denn das?“

      „Warum denn das? Aber du liebe Zeit, hast du noch nie was von Gewitter gehört? Hast du es heute Nacht nicht gehört?

      Hast du keinen Respekt vor den Naturgewalten? Den spektakulären Beweisen des Höheren für unsere Erbärmlichkeit? Ja, es ist unglaublich, es soll heutzutage ja Idioten geben, die telefonieren, wenn es gewittert ... Verdammt, du musst einen Schlaf haben wie meine Mutter.“

      „Deine Mutter?“

      „Ja, wie meine Mutter. Sie ist tot. Aber klar, Wenn du willst, dass die Hütte abbrennt, bitteschön. Ist mir doch egal.“

      „Okay“, seufzte ich, stellte die Tasche ab, lief hinein und zog das Antennenkabel raus.

      „Hast du Reservepflaster eingepackt? Der eine von den anderen Pickeln sieht aus, als würde er bald aufplatzen!“, brüllte er, als ich die Treppe hochlief, um das Computerkabel rauszuziehen.

      Als ich wieder runterkam, stand Schröder vor dem Flurspiegel und kämmte sich.

      „Börsenmakler!!“, schnaubte er verächtlich.

      Auf dem Weg zum Flughafen wurde er immer schweigsamer. Er starrte aus dem Fenster und trommelte mit den Fingern auf einer alten, abgetragenen Aktentasche herum, die ich wieder zu erkennen meinte, aber es dauerte eine Weile, bis mir einfiel, dass er mal behauptet hatte, sie hätte einem Künstler gehört. Aber welchem?

      „Klee!“, zischte er als Antwort, und setzte sich demonstrativ weiter von mir weg.

      „Wie steht es denn mit Bogart?“, fragte ich.

      Er schüttelte den Kopf und schien zu meinen, dass das als Antwort reichte.

      „Was soll das heißen?“

      „Das soll heißen, dass Bogart nicht mehr ist.“

      „Hast du dir einen neuen zugelegt?“

      „Nee. Ich habe ein Fahrrad gekauft. Wenn du nun unbedingt die Art meiner Fortbewegungsmittel wissen willst.“

      Ich sagte nichts und auch er starrte weiter schweigend aus dem Fenster.

      Als wir ankamen, bezahlte er und bat um eine Quittung, die er sorgfältig in ein spezielles Fach seiner zerschlissenen, knallvollen Brieftasche steckte.

      Die Auslandshalle war fast menschenleer. Der Boden war frisch gebohnert und glänzte wie ein Spiegel. An einigen Eincheckschaltern standen ein paar Reihen Männer in


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