Mörderisches Schwerin. Diana Salow

Mörderisches Schwerin - Diana Salow


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Schloss und dem Residenzensemble sollte endlich zum Weltkulturerbe erklärt werden. Gleichzeitig wollte sie feierlich zwei neue Ehrenbürger der Stadt ernennen.

      Mehnert erhob sich und stieg stolz die kleine Holztreppe zur Bühne hinauf. Die Mitglieder der Landesregierung, die in den ersten zwei Reihen saßen, begrüßte sie im Vorbeigehen kopfnickend. Auf der Bühne angekommen, hielt sie kurz inne und lächelte ihr Schweriner Publikum an. Sie strahlte Freude aus. Nach ein paar Einführungsworten – sie sprach frei – wurde ein Film auf der großen LED-Anzeige eingespielt. Das Publikum blickte auf die bewegenden Bilder, die die Geschichte des Schweriner Schlosses, des Museums und des Theaters zeigten. Gespannt schauten alle auf die riesige Wand und lehnten sich in den weichen Sesseln zurück. Auch Markus Wagner, der Intendant des Theaters, blickte zufrieden. Die Vorbereitungen des Galaabends hatten viel Mühe bereitet. In diesen Augenblicken verwandelte sich das Konzept in die Realität.

      Plötzlich ging das Licht im Theater aus. Die Lampen des riesigen Kristallleuchters über dem Publikum erloschen. Im Saal war es fast stockfinster, nur die grünen Notfallwegweiser spendeten ein fahles Restlicht. Der Intendant, der in der dritten Reihe am linken äußeren Rand saß, wunderte sich. Er kannte den geplanten Ablauf der Veranstaltung genau. Was gerade passierte, war in seinem Manuskript des Abends nicht vorgesehen. Es musste ein Stromausfall sein. Wagner setzte sich aufrecht in seinem Sessel hin, schaute sich kurz um, schob nervös seine zwar edle, aber nun unbequeme Fliege am Hals hin und her. Er hoffte, dass seine Techniker den Schaden schnell beheben würden, und erhob sich langsam. ›Es dauert zu lange!‹, dachte er gerade, dann passierte es. Erstaunt blickte der Theaterleiter zusammen mit den hunderten Gästen auf die hell erleuchtete LED-Wand, auf der gut sichtbar zu lesen war:

       Niemand rührt sich von seinem Platz!

       Wer sich bewegt und seinen Stuhl verlässt, ist tot!

      Dies ist kein Scherz,

       bewahren Sie Ruhe und warten Sie auf weitere Anweisungen!

      »Sehr originell«, rief jemand aus dem Parkett und klatschte vorsichtig in die Hände. – »Spannend, was sich die Veranstalter heute einfallen lassen müssen, um Menschen zu begeistern«, flüsterte die Ministerpräsidentin ihrem Mann ins Ohr. – »Unglaublich, in der heutigen Zeit mit solchen Sätzen, Ängste der Menschen zu schüren«, hörte die Oberbürgermeisterin, die noch immer am Rand der Bühne verharrte, eine ältere Frau sagen. »Mit solchen Sätzen spaßt man nicht!«

      »Dies ist kein Scherz!« Es war eine monoton verzerrte Computerstimme, die nun jeder im Saal vernahm. Ein mulmiges Gefühl machte sich unter den Menschen breit. Die in der Nähe der Politikerinnen sitzenden Personenschützer schauten sich besorgt um, einige besprachen offenbar über ihre Headsets das weitere Vorgehen. Nochmals wurden alle im Theater aufgefordert, genau zuzuhören und sich keinesfalls von ihren Sitzen zu erheben. »Wer aufsteht, ist tot! Wer aufsteht, ist tot!«, dröhnte es fortlaufend. Niemand rührte sich. Alle saßen wie erstarrt in ihren Sesseln. Ein junger Mann im ersten Rang wurde ohnmächtig, seine Begleitung klopfte ihm sanft ins Gesicht und begann nach Hilfe zu rufen, nachdem er nicht wieder zu sich kam und zusammengesackt in seinem Sessel hing. Niemand der Anwesenden ging jetzt noch von einem Scherz aus. Keiner wagte sich zu bewegen oder gar sein Smartphone aus der Tasche zu holen. Stumm saß das Schweriner Publikum da. Bedrückende Stille.

      Mit Entsetzen hörten sie nach einigen Augenblicken erneut die Computerstimme, die allen mitteilte, dass unter bestimmten Sitzen Sprengstoff angebracht worden sei. Wer von seinem Platz aufstünde, müsse mit einer Explosion rechnen. Bis auf das Atmen der Leute war es ruhig im Theater. Eine unerträgliche Spannung lag in der Luft, die nur durch nächste Anweisungen zu zerreißen drohte. Selbst die Mitarbeiter hinter den Kulissen rührten sich nicht von der Stelle und trauten sich nicht, die Polizei zu informieren. Jeder schaute vorsichtig zu seinem Nachbarn und zu den Rängen hoch an die Decke.

      »Das kann doch gar nicht sein!«, rief ein mutiger junger Mann. »Bei solchen Veranstaltungen, bei denen die vollständige Landesregierung vor Ort ist, werden vorher die Gebäude mit Sprengstoffsuchhunden durchlaufen.«

      Niemand kommentierte den Hinweis. Keiner im Saal wusste, ob sich diese unheimliche Szenerie nicht doch als Teil des Events auflösen würde oder man es mit einem Irren zu tun hatte, der einige von den fünfhundert Gästen auf dem Gewissen haben wollte. Von einem Scherz ging tatsächlich niemand mehr aus, als alle im Publikum auf der Leinwand plötzlich weitere Sätze lesen konnten:

      Jeder von Ihnen hat jetzt eine Stunde Zeit,

      eintausend Euro auf dieses Konto zu überweisen.

      Es ist völlig egal, ob Sie es online von Ihrem Handy überweisen,

       jemanden informieren, der dies für Sie veranlasst

      oder Sie Ihren Sitznachbarn um das Geld bitten.

       Um spätestens 21 Uhr müssen 500.000 Euro

       auf dem angegebenen Konto eingegangen sein!

       Zürcher Kantonalbank

       CH39 0070 0115 2119 4816 6

       ZKBKCHZZ80A

      Dann ertönte wieder die verzerrte Computerstimme: »Sie können jetzt mit Echtzeitüberweisung zahlen oder einfach aufstehen. Wenn das Geld nicht um einundzwanzig Uhr auf dem Konto ist, kommen hier zahlreiche Menschen nicht lebend heraus. Viele der Sitze haben wir mit Sprengstoff präpariert, und es sind nicht nur die Sitze der vermögenden Gäste im vorderen Bereich. Überlegen Sie Ihre Entscheidung! Was ist Ihnen Ihr Leben oder das Leben Ihres Sitznachbarn wert? Entscheiden Sie selbst! Das Theater ist verschlossen. Niemand wird es vor einundzwanzig Uhr verlassen. Die Zeit läuft ab jetzt.« Auf der LED-Wand startete ein Countdown.

      Geschockt sahen sich die Leute hektisch um und schauten, wie andere auf diese Informationen jetzt reagierten. Menschen fluchten leise. Einige telefonierten. Der größte Teil von ihnen schrieb zitternd und ängstlich Nachrichten auf Mobiltelefonen. »Mein Akku ist leer«, wisperte eine junge Frau in der Nähe des Intendanten Markus Wagner verzweifelt. Niemand traute sich, laut irgendetwas zu sagen. Keiner wusste, ob man beobachtet oder abgehört wurde.

      Die Oberbürgermeisterin, die noch immer fassungslos auf der Bühne vor dem Rednerpult stand, begriff langsam ihr Glück. Sie saß nicht auf ihrem Platz in der ersten Zuschauerreihe und war demzufolge nicht in Lebensgefahr. Sie besann sich kurz, zwang sich, ruhig zu bleiben und nicht noch größere Unruhe und Ängste zu schüren. »Hören Sie, ich rufe jetzt die Polizei. Bewegen Sie sich nicht!«, sprach sie mit zitternder Stimme. Sie war froh, dass sie ihr Smartphone in einer kleinen Handtasche bei sich führte. Die Akkuladung würde auch ein längeres Gespräch zulassen. »Ich werde alles dafür tun, dass jeder von uns hier lebend herauskommt!«, versprach sie zuversichtlich.

      »Machen Sie das nicht! Sie bringen uns damit um!«, rief ein junger Mann vom dritten Rang.

      Die Oberbürgermeisterin ließ sich nicht beirren und wählte den Notruf der Polizei. Alle sahen gespannt auf sie. Einige befürchteten, gleich würde etwas mit ihr passieren. Vielleicht würde auf Mehnert nach ihren mutigen Worten geschossen werden?

      Die Computerstimme blieb jedoch aus. Anscheinend wurde weder das Ansinnen der Frau beobachtet noch mitgehört. Sie erklärte der Polizei ruhig und besonnen die Situation, vernahm, dass die Leitstelle bereits seit ein paar Minuten über SMS und WhatsApp-Nachrichten von Angehörigen der Theatergäste informiert worden war und dass ein Spezialeinsatzkommando auf dem Weg zum Schweriner Theater sei.

      Das Schweriner Residenzensemble wurde in diesen Minuten nicht nur deutschlandweit bekannt. Vor dem mörderischen Hintergrund war dies aber keine Werbung, die man sich wünschen würde. Keiner der Gäste, niemand der Angehörigen oder selbst der Einsatzleiter des SEK wusste, wie dieser Abend, der nun wahrlich in die Geschichte Schwerins eingehen würde, für alle Beteiligten enden würde.

       Kapitel 2

      »Das


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