Mörderisches Schwerin. Diana Salow

Mörderisches Schwerin - Diana Salow


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Seelsorger bekommen auch ordentlich zu tun«, erwiderte Berger. Er sah, wie die wartende Menge hinter den Absperrungen immer unruhiger wurde und teilweise um Durchlass flehte. Sie hatte mitbekommen, dass das SEK abfuhr und die akute Gefahr vermutlich vorüber war. Selbst ein Polizeihubschrauber, der seit längerer Zeit über dem Alten Garten kreiste, drehte ab und flog in Richtung Norden davon. Der Polizeisprecher wurde von Medienvertretern umzingelt und mit Fragen bombardiert, die er vorerst nicht beantworten konnte. Die Absperrung zur aufgewühlten Menschengruppe wurde nicht aufgehoben. Die Bürgerinnen und Bürger wurden freundlich gebeten, sich weiter an die Anweisungen der Polizei zu halten, um nicht bei den weiteren Ermittlungsarbeiten zu stören.

      Endlich öffneten sich die drei großen, in klassizistischem Stil erbauten Eingangstore des Theaters. Eine Menschenmasse auf der Flucht in die Freiheit. Einige Personen rannten, andere bewegten sich langsam und monoton in der Masse mit. Jedem war der Schreck ins Gesicht geschrieben. Ein Reporter wollte erste Interviews aufzeichnen. Die noch unter Schock stehenden Menschen wiesen den Mann kopfschüttelnd und mit eindeutig zu verstehenden Handbewegungen ab. Jeder wollte den Theaterbereich umgehend verlassen. Erste Menschen durchbrachen nun doch die Absperrung und liefen auf ihre Angehörigen zu. Sie nahmen sich in die Arme, Tränen der Erleichterung liefen vielen über die Wangen. Einige Menschen waren unfähig zu sprechen und atmeten tief durch.

      Eine Frau hatte deutliche Flecken im Schrittbereich ihres Kleides. Sie hatte ihren Urin in Stunden von Todesangst nicht halten können. Sie ging mit kleinen Schritten aufgrund des enggeschnittenen Kleides, am liebsten wäre sie wahrscheinlich eher davongelaufen. Es war ihr sichtlich peinlich. Ihrem Mann schien das egal zu sein. Er war erleichtert, dass beide das Theater lebend verlassen hatten. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und gab ihr liebevoll Halt. Blass im Gesicht senkte er kraftlos seinen Kopf, als er die Medienvertreter mit ihren Kameras sah. Es spielten sich herzzerreißende Szenen ab, als hätten sich einige Menschen jahrelang nicht gesehen.

      Ministerinnen und Minister der Landesregierung versammelten sich rechts neben dem Theater und werteten die Tragödie kopfschüttelnd aus. Sie nahmen sich in die Arme. Man diskutierte, ob es einen terroristischen Hintergrund gäbe oder wer auf so eine abartige Idee gekommen war, jemanden mit einer Bombe zu töten und viele weitere Menschenleben zu riskieren. Sie bedauerten zutiefst, dass man der jungen Frau nicht hatte helfen können und sie durch die Detonation ums Leben gekommen war.

      Ein wunderschöner Abend in der Schweriner Landeshauptstadt war zu einem unvorstellbaren Drama geworden. Schwerin auf dem Weg zum Weltkulturerbe. Es wurde eine Nacht, die die Bevölkerung niemals vergessen würde.

      Ganz abgesehen von den materiellen Schäden, die von Architekten und Bauingenieuren später inspiziert werden mussten, konnte Hauptkommissar Berger sich nicht vorstellen, dass irgendjemand in Kürze das Theater, das durch dieses Verbrechen in Verruf geraten war, freiwillig betreten würde.

      Berger und Paulsen saßen immer noch in ihrem Auto und warteten geduldig ab, bis die letzten Gäste das Theater im Beisein der Sanitäter, Ärzte oder Psychologen verlassen hatten. Nun begann die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Spurensicherer, Rechtsmediziner, Sprengstoffermittler – es betraten fast so viele Menschen das Gebäude, wie vor einer halben Stunde herausgekommen waren. Nur war Bergers und Paulsens Motivation eine deutlich andere. Sie wollten schnellstmöglich herauszufinden, wer diese Tragödie zu verantworten hatte.

       Kapitel 5

      »Sie sind Hauptkommissar Thomas Berger, nicht wahr?«, fragte Verena Wilke. Sie beobachtete genau, wie der Polizist sein gerade eingeparktes Fahrzeug vor der Dienststelle abschloss. Durch Zufall hatte sie genau den Mann getroffen, den sie gesucht hatte.

      »Ja, das bin ich«, erwiderte Berger etwas unwillig. Er war müde, da er nur ein paar Stunden geschlafen hatte. Der Polizeieinsatz am Theater hatte noch bis in die frühen Morgenstunden gedauert. Die Hitze der Nacht ließ ihn danach auch nicht in einen erholsamen Schlaf fallen. »Woher kennen Sie meinen Namen?«

      Die attraktive, elegant gekleidete Frau, schätzungsweise Ende vierzig, blickte ihn an. »Ich kenne Sie aus der Schweriner Volkszeitung. Sie sind Hauptkommissar und haben schon ziemlich viele Fälle erfolgreich gelöst.«

      Berger fühlte sich geschmeichelt. So ein Lob am frühen Morgen tat gut. »Haben Sie auf mich gewartet oder ist das Zufall?«, fragte er noch immer irritiert, aber gleich etwas freundlicher.

      »Ich wollte zu Ihnen kommen.«

      »Was möchten Sie denn von mir?«

      »Ich möchte gern eine Anzeige aufgeben.«

      »Das können Sie gern machen. Kommen Sie bitte mit! Ich zeige Ihnen, wo ein Beamter Ihre Anzeige aufnimmt.« Berger wies grob den Weg zum Haupteingang.

      »Ich möchte die Anzeige aber gern bei Ihnen aufgeben. Wäre das möglich?«

      »Um was handelt es sich denn, Frau …?«

      »Wilke. Mein Name ist Verena Wilke. Ich möchte gern eine Vermisstenanzeige aufgeben.«

      »Frau Wilke, warum möchten Sie die Vermisstenanzeige denn unbedingt bei mir aufgeben?«, hakte Berger nach.

      »Weil ich nur Ihnen vertraue«, antworte sie mit gesenktem Kopf.

      »Na, dann kommen Sie! Ich mache einmal eine Ausnahme. Ansonsten bin ich dafür nicht zuständig. Das bearbeiten andere, auch sehr kompetente Kolleginnen und Kollegen.« Berger hielt ihr die Tür des Gebäudes auf.

      »Dankeschön, Herr Hauptkommissar.«

      Sie gingen schweigend durch das Gebäude. Wenn Kollegen entgegenkamen, rutschte ihm ein leises »Guten Morgen« heraus. Dies wurde meistens kopfnickend erwidert.

      »Dann nehmen Sie bitte Platz, Frau Wilke!« Berger schob ihr einen Stuhl entgegen. Seinen Rechner fuhr er noch nicht hoch. Er wollte erst einmal die Anzeige aufnehmen und dann wie gewöhnlich in den Tag starten. »Erst einmal benötige ich Ihren vollständigen Namen, Geburtsdatum und Wohnanschrift. Verena ist Ihr Vorname, so sagten Sie, nicht wahr?«

      »Ja. Verena ist mein Vorname. Ich wurde am 17. September 1966 geboren und wohne in der Möwenburgstraße 18 in Schwerin.«

      »Das ist eine schöne Wohngegend, da zwischen Ziegelinnen- und Ziegelaußensee. Und mein Lieblingsrestaurant – das China-Japan Restaurant No. 1 – gleich gegenüber, stimmt’s?«

      »Ja. Da gehen wir oft abends Sushi essen. Die Maki-Sushi mit Lachs sind unfassbar lecker.«

      »Entschuldigen Sie, ich wollte Sie keinesfalls unterbrechen!« Berger schaute sie an.

      »Kein Problem, Herr Hauptkommissar. Ich vermisse meinen Mann seit gestern«, sagte sie traurig. »Meine Freundin Dörte hat mir geraten, gleich zur Polizei zu gehen. Ich war die ganze Nacht wach und habe kein Auge zubekommen. Mein Mann Jan war gestern zu einem Event im Schweriner Theater eingeladen und ist von dort nicht nach Hause gekommen.«

      Berger sah, dass sie gleich beginnen würde zu weinen. »Wirklich?« Er war überrascht und wurde hellhörig. »Er war bei dieser Tragödie gestern dabei?«

      Wilke holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. »Ja. Er ist Architekt und war anlässlich der Welterbe-Veranstaltung ins Theater eingeladen worden. Ich war morgens noch sauer auf den Veranstalter, weil die Einladung nur für meinen Mann galt. Sonst durfte ich ihn immer zu derartigen Anlässen begleiten.«

      »Er ist also bei der Gala im Theater gewesen und seitdem vermissen Sie Ihren Mann?«

      »Ja!« Sie schluchzte los. »Ich liebe meinen Mann und kann mir das überhaupt nicht erklären. Ich habe gestern laufend bei der Polizei angerufen. Aber die Leitungen waren ständig besetzt.«

      »Ja, das war eine absolute Ausnahmesituation. Eine Katastrophe für unsere Stadt. Sämtliche Medien in Schwerin und deutschlandweit berichten darüber. Aber fahren Sie fort, bitte weiter!«

      »Ich habe dann meine Freundin Dörte angerufen. Wir sind nachts noch zum Klinikum gefahren und haben nachgefragt, ob mein Mann aufgenommen wurde. Nichts.


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