Mörderisches Schwerin. Diana Salow

Mörderisches Schwerin - Diana Salow


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Er sah erst jetzt, dass sein engster Kollege mehrfach versucht hatte, ihn anzurufen.

      »Was ist denn los?«, fragte Bergers Frau, die Gynäkologin Dr. Lea Engel, beunruhigt. Sie saßen gerade in ihren bequemen Lounge-Sesseln auf der Terrasse ihres Hauses, das in der kleinen Gemeinde Wittenförden am Rande der Landeshauptstadt Schwerin stand. Der Duft blühender Petunien lag in der Luft und zog zahlreiche Insekten an, die um die pinkfarbenen Blüten schwirrten.

      Lea hatte ihrem Mann gerade eine Portion gegrillte Paprika und Auberginen mit Schafskäsewürfeln gereicht und sich auf einen schönen Sommerabend mit ihm gefreut. Doch Thomas Berger zeigte von einem Moment auf den anderen ein angespanntes Gesicht und reagierte auch nicht einmal darauf, als sie ihm mit einem Glas Chianti zuprostete. Der Polizist nahm nichts mehr um sich herum wahr.

      »Oh Gott, ich muss sofort los, Lea!«

      »Nun sag doch schon! Was ist passiert?«

      »Wir haben eine gefährliche Ad-hoc-Lage in Schwerin!«

      »Wirf nicht immer mit polizeilichen Fremdwörtern um dich, die ich als Laie weder kenne noch verstehe!« Lea stellte jetzt ihr Rotweinglas auf dem Tisch ab, ohne davon einen Schluck getrunken zu haben.

      Während er aufstand, dippte Berger hektisch ein größeres Stück Knoblauchbaguette in das selbstgemachte Basilikum-Pesto und stopfte es sich in den Mund. Kauend antwortete er: „Lea, das ist eine plötzliche Sofortlage, meistens Amok- oder Geiselsituation. Was in Schwerin genau passiert ist, kann ich noch nicht beurteilen. Ich muss jetzt jedenfalls sofort los! Gut, dass ich noch keinen Wein getrunken habe, dann kann ich selbst fahren.« Er trank ein Glas Wasser, wischte sich mit einer Serviette die Mundecken sauber und gab Lea eilig einen Abschiedskuss.

      »Wieso musst du in die Stadt? Ist das nicht zu gefährlich? Es gibt doch Sondertruppen für solche Ereignisse!«, mutmaßte Lea skeptisch. Sie erhob sich aus dem Sessel und wollte ihren Mann am Arm festhalten. Sie forderte eine Erklärung von ihm.

      »Lea, ich muss los! Die Spezialeinsatzkräfte, in diesem Fall das SEK und das Sprengstoffkommando, sind bereits auf dem Weg nach Schwerin.« Berger pickte sich im Stehen noch rasch ein Stück Paprika auf die Gabel. »Die Bereitschaftspolizei ist auch schon im Anmarsch. Das wird eine lange Nacht. Warte nicht auf mich!«

      »Sehr witzig, Thomas!«, erwiderte Lea sarkastisch. »Denkst du, ich kann jetzt schlafen gehen, wenn ich nicht weiß, was in Schwerin los ist?«

      »Ich denke, dass das Fernsehen auch live vor Ort sein wird.«

      »Wie bitte? Das Fernsehen?«, antworte Lea mit weit aufgerissenen Augen. »Bitte melde dich, wenn mal Zeit ist!«, flehte sie. Sie hielt ihn einen weiteren Moment vom Gehen ab.

      »Lea, ich muss wirklich los …« Thomas befreite sich sanft aus dem Armen seiner Frau.

      Sie ließ ihn gehen.

      Während er Autoschlüssel, Papiere vom Flurschrank und seine Dienstwaffe aus dem kleine Safe holte, trudelten weitere Nachrichten auf seinem Smartphone ein, die er gleichzeitig überflog. Berger erzählte Lea nichts davon, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen.

      Der Hauptkommissar nahm seine neue Schutzweste vom Flurhaken. Er hatte sie erst vor ein paar Tagen bekommen. Niemals hätte er gedacht, dass er sie so schnell brauchen würde. Seine alte Weste hing im Büro und wartete auf ihre Entsorgung. Er war noch etwas ungeübt im Anlegen des neuartigen Kleidungsstücks. Der Innenminister hatte erst vor Kurzem in seinem Amtsdeutsch die sogenannten Außentragehüllen an die Polizei übergeben. Diese Westen sollten einen noch besseren ballistischen und vor allem Stichschutz haben. Den schusssicheren Helm hatte der Kommissar in seinem Auto liegen. Berger hatte an diesem Abend keine Angst, aber dennoch ein mulmiges Gefühl, was ihn in der Stadt erwarten würde. Gewalttaten gegen Polizisten nahmen von Tag zu Tag zu.

      Dann eilte er nach draußen, setzte sich in seinen Wagen und warf Lea einen Handkuss aus dem Autofenster zu, so wie er es immer tat, wenn er zu einem Einsatz oder Tatort fuhr.

      Lea zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte gezwungen den Kuss aus der Ferne. Der Appetit auf das Essen war ihr vergangen. Sie ging in die Wohnstube und schaltete den Fernseher ein. Beim Nachrichtensender n-tv sah sie sogleich einen Reporter des ZDF-Landesbüros, der in sicherer Entfernung vor dem Schweriner Staatstheater stand. Der Mann sprach aufgeregt, während er sich immer wieder zum Theater umschaute. Am unteren Bildschirmrand liefen in einer Endlosschleife immer wieder die Worte:

       Eilmeldung! SEK-Einsatz wegen mutmaßlicher Geiselnahme im Schweriner Theater!

      Bergers Frau war entsetzt. Sie hatte jetzt noch mehr Angst um ihren Mann, der des Öfteren schon mal den Helden gespielt hatte. Bisher war es immer gut gegangen. ›Hoffentlich hält er sich zurück‹, dachte Lea. Sie schloss die Terrassentür zum Wohnzimmer und begann etwas zu frösteln. Völlig konzentriert auf den Bildschirm blickend, ließ sie die Ad-hoc-Lage, so wie Thomas es ihr vor einer Viertelstunde erklärt hatte, nicht mehr los. Gänzlich auf den Reporter fixiert, konzentrierte sie sich darauf, was er sagte. Nebenbei wischte sie auf ihrem Mobiltelefon herum, um bei Facebook, Instagram oder bei der Polizei genauere Informationen zu finden. Die Polizei twitterte unaufhörlich: Niemand solle sich in der Nähe des Theaters aufhalten. Nachrichten von Freundinnen trafen bei ihr ein. Aufgeregt fragten sie, ob Lea schon von dem Chaos am Schweriner Theater gehört habe. Sie beantwortete nicht eine einzige. Die Gerüchte um die Lage am Theater wollte sie nicht lesen und auch nicht selbst mit Unwissen bedienen.

      Leas Herz fing an zu rasen, als sie im Fernsehen hinter dem ZDF-Reporter deutlich eine Explosion vernahm. Der Korrespondent brach seinen Bericht ab. Er und der Kameramann brachten sich vermutlich gerade in Sicherheit.

      Der Abend war gelaufen. Lea würde kein Auge zubekommen, bis ihr Mann wieder zu Hause bei ihr sein würde. »Thomas wird sich schon keinem unnötigen Risiko aussetzen«, redete sie sich laut ein. »Dafür hat er zu viel Berufserfahrung.« Aber war Schwerin auf so eine Lage vorbereitet? Sie konnte sich nicht erinnern, dass die Landeshauptstadt jemals mit derartigen Ereignissen konfrontiert gewesen war. Sie wusste, dass sich die Polizei in letzter Zeit auf viele Szenarien vorbereitete. Aber Theorie und Ernstfall waren trotzdem zwei völlig unterschiedliche Dinge.

      Lea nahm sich ein Taschentuch, um sich ihre feuchten Hände zu trocknen. Ihr Smartphone legte sie in Sichtweite auf den Tisch in ihre unmittelbare Nähe. Den Klingelton stellte sie auf die lauteste Stufe, damit sie keinen Anruf ihres Mannes verpassen würde.

       Kapitel 3

      So viele Blaulichter hatten Hauptkommissar Berger und sein Kollege Paulsen am Alten Garten in Schwerin noch nie gesehen. Das Areal wurde vom Theater, dem Museum und dem Schloss umsäumt und seitlich vom Schweriner See und dem Burgsee begrenzt – eigentlich ein Hot-Spot für Touristen und Gäste aus aller Welt. Jetzt war der Bereich um das Theater weiträumig abgesperrt. Niemand – außer bevollmächtigte Polizeibeamte – kam in das Areal hinein oder heraus. Polizeifahrzeuge, Sondereinsatzwagen und zahlreiche Krankenwagen standen auf dem großen und repräsentativsten Platz der Stadt bereit.

      Zwei Präzisionsschützen des SEK hatten sich auf dem Dach des anliegenden Museums positioniert. Sie lagen mit der Waffe im Anschlag bereit und warteten hochkonzentriert auf Anweisungen. Der Chef des SEK saß mit seinem Stabsteam im Einsatzwagen unterhalb der Museumstreppe.

      Der Museumsdirektor hatte vorsorglich einige Mitarbeiter zusammengetrommelt und veranlasst – so schnell es überhaupt möglich war –, die wertvollsten Gemälde der Galerie abhängen zu lassen, um sie vor einer möglichen Explosion zu schützen.

      Trotz der Situation lag eine gespenstische Ruhe über dem Alten Garten. Die Sonne ging bereits hinter der Staatskanzlei des Landes Mecklenburg-Vorpommern unter und verfärbte den Himmel blutrot.

      Berger und Paulsen saßen im Polizeiwagen direkt an der Schlossbrücke zwischen Christian Genschows Skulpturen »Obotrit, sein Pferd bändigend« und »Obotrit, sein Pferd rüstend«. Und wie zwei Obotriten in Gefechtsbereitschaft lauschten beide Hauptkommissare angespannt dem Polizeifunk. Das Spezialeinsatzkommando hatte diesen außergewöhnlichen


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