Im Schatten einer Frau. Liane Sanden

Im Schatten einer Frau - Liane Sanden


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von Kindlichkeit und Koketterie.“

      Der Regisseur überlegte — „vielleicht“, gab er leise zurück.

      Dann wandte er sich an Schuwaroff, der eben für sich und Madelen ein paar Gerichte von der Speisekarte gewählt hatte. „Hören Sie, Schuwaroff, können Sie heute abend mal zu mir kommen? Wir könnten dann mal wegen des neuen Stücks unseres jungen Goethe hier“, er klopfte den Dichter gutmütig-ironisch auf die Schulter, „sprechen.“

      Schuwaroff nickte.

      „Können wir machen.“

      Ein flehender Blick Madelens traf ihn. Er nickte ihr zu.

      „Werd schon an dich denken, Kleine“, flüsterte er in ihr sehr hübsches kleines Ohr, das rosig unter der tiefen blonden Haarwelle hervorkam.

      „Und ich werde Ihnen immer dankbar sein“, war Madelens heisse Antwort. Sie fühlte, Schuwaroff interessierte sich für sie. Nun durfte sie nicht locker lassen. Er musste über ihr alle anderen Frauen und diese Hollmers vergessen.

      Während Madelen in der Kantine an der Seite Schuwaroffs ihren ehrgeizigen Zukunftsträumen nachhing, waren die Aufnahmen der Gesellschaftsszenen endlich vorüber. Der Regisseur hatte sich nach immer neuen Proben endlich einigermassen befriedigt gezeigt und man hatte die endgültige Fassung gedreht.

      Michael klopfte an Stellas Garderobe. Niemand antwortete.

      „Gnädige Frau sind bereits nach Hause gefahren“, sagte die Garderobiere, die den Schminktisch aufräumte, „gnädige Frau haben das Auto für Herrn Heinsigk wieder zurückgeschickt.“

      „Danke“, sagte er kurz.

      Warum hatte sie nicht auf ihn gewartet? Zum ersten Male nicht. Vielleicht hatte sie es nicht ertragen können, dass ein und dieselbe Szene fünf, sechsmal geprobt wurde. Sie, bei der alles auf Anhieb sass! Sie, die die Regisseure lenkte, statt von ihnen gelenkt zu werden. Er hatte Schuwaroffs Blick wohl gesehen, als er vorhin neben Stella stand. Auch den Zorn, die Verlegenheit auf Stellas Gesicht. Was mochte Schuwaroff ihr gesagt haben? Gutes konnt’s nicht sein. Mit dem sicheren Instinkt eines Mannes, der seine Frau sehr liebt, empfand er Schuwaroffs Begehren für Stella. Der Russe war ja auch Stellas Partner in allen grossen Filmen der Weltfilm-A.-G. Und so sehr er ihn in diesem Augenblick hasste, Michael musste es sich zugeben, er war der ebenbürtige Partner auch in der Kunst. Einmal würde es kommen. Dann würde der Funke von Schuwaroff zu Stella überspringen müssen. Mochte sie sich tausendmal wehren. Sie war eine Frau und den Gesetzen der Natur unterworfen.

      Michaels Leben war ein verzweifeltes Warten auf diesen Augenblick. Es überschattete alles. Die glücklichen Stunden mit Stella und den Glauben an ihre Liebe. Er hätte es nicht ertragen, hätte er nicht etwas gehabt, was ihm immer wieder Stunden der Sammlung und des Vergessens geschenkt hätte. Aber das wusste ausser ihm niemand.

      In seinem Schreibtisch ruhten verborgen Manuskripte. Schon in seiner Schauspielerzeit an den kleinen Wandertheatern und Schmieren hatte er begonnen zu schreiben. Getrieben von seinem inneren Gesicht hatten sich ihm Worte geformt, Verse, Novellen. Wäre er damals nicht Stella begegnet, die ein Gastspiel auf der Schauspielbühne von S. absolvierte, vielleicht hätte er weiter gearbeitet. Aber da hatte er das Wunder von Stellas Kunst und ihrer Liebe erlebt. Da war es ihm so ganz klar geworden, wie wenig er war und wie hoch oben sie stand. Die Liebe zu ihr hatte ihn als Mann beseligt, aber der Mensch in ihm fühlte zu stark den Abstand von ihr, wurde immer mutloser. Wenn Michael jetzt zurückdachte, erkannte er, die Begegnung mit Stella, das war der Augenblick gewesen, da er in seiner Kunst gehemmt wurde. Denn niemals konnte er das erreichen, was Stella war.

      Und warum hatte er niemals zu ihr von diesen Arbeiten gesprochen? Er war ein mittelmässiger Schauspieler. Gut, damit hatte er sich abgefunden. Aber er mochte nicht noch in einer anderen Kunst wie ein Nichtskönner vor ihr stehen. Diese Aufzeichnungen, die er in einsamen Stunden machte, waren ein Geheimnis seiner Seele. Er hütete es schamhaft.

      Er hatte den Wagen, den Stella ihm geschickt, zurückgesandt. Nach der überhitzten staubigen Atelierluft war ihm ein Stück Wanderung Befreiung. Ausserdem, immer wieder hatte er ein peinliches Gefühl, wenn er ohne Stella in dem weissen Rolls Royce durch die Strassen fuhr. Man kannte ihren Wagen, den ein filmbegeisterter Autokönig ihr nach der Premiere eines Grossfilms geschenkt hatte. „Der Wagen der Hollmers“, hiess er überall. Ja, es war ihr Wagen. Alles gehörte ihr. Und er war in den Augen der Menschen ein etwas lächerliches Anhängsel. Weiter nichts. Andere hätten vielleicht skrupellos all den Glanz, den Reichtum und die Ehrungen mit für sich in Anspruch genommen, welche Stella Hollmers zuflossen. Er vermochte es nicht. Immer wieder drückte ihn das alles nur um so tiefer in seiner Selbstachtung. Freilich, vor den andern versuchte er die Maske des glücklichen Menschen zu tragen. Aber dahinter war Verzweiflung.

      Zweites Kapitel

      Er wurde aus seinen trüben Sinnen aufgestört. In einer der Haustüren stand ein halbwüchsiger Junge. Aus dem mageren Gesicht sahen zwei Augen mit krankem Glanz. Es war ein Glanz, wie ihn Fieberkranke haben, oder, es flog Michael durch den Sinn, Hungrige.

      Der Junge in einem fadenscheinigen, aber sehr sauberen Anzug streckte eine magere Hand aus, flüsterte etwas. Es war die gewohnte Gebärde des Bettelns. Michael kannte sie von all den vielen her, die in einer Zeit der Not und Arbeitslosigkeit an den Strassenecken standen. Aber etwas so Schamhaftes war in dieser Gebärde, dass er stehenblieb und sagte:

      „Hast du zu mir gesprochen, mein Junge? Willst du etwas?“

      Die Lippen des Jungen formten ein paar Worte, wollten etwas sagen. Aber es war nur ein Flüstern, das Michael nicht verstand.

      Hatte es geklungen wie Hunger? Schon zog Michael seine Geldtasche.

      Da sah er, wie der Junge zusammenschrak. Seine angstvollen, glänzenden Augen schauten dem Schupo entgegen, der da langsamen Schrittes die Strasse herabkam, nun vor den beiden stand.

      „Hier wird nicht gebettelt“, sagte er barsch, mass den Knaben. Der schlug die Augen nieder, murmelte wieder etwas und ging vorwärts. Schon schritt der Schupo weiter mit seinen breiten, gleichmässigen Schritten.

      Michael schaute dem Jungen nach. Wie eigentümlich er ging. So locker im ganzen Körper, als hätten die Knochen nicht rechte Kraft. Und nun wirklich: er schwankte, taumelte, lehnte sich kraftlos an die Wand eines Hauses.

      Michael eilte nach, stand vor den Jungen. Der hatte die Augen geschlossen. Grünlich-bleich waren seine Züge. Dunkle Schatten gingen von der Nase zu Mund.

      „Holla“, sagte Michael Heinsigk, „nicht schlapp machen, mein Junge. Hunger?“

      Der Knabe vermochte nicht zu sprechen. Er nickte nur.

      Michael überlegte einen Augenblick. Dann winkte er eine Autotaxe heran, die gemächlich vorüberfuhr.

      „So, nun komm erst einmal mit. Ich sorge dafür, dass du etwas in den Magen bekommst, armer Kerl. Und dann reden wir weiter.“

      Er fasste den Jungen, der nur mit aller Gewalt die Augen öffnete, unter den Arm, schob ihn in die Droschke, gab die Adresse eines kleinen stillen Lokals an, in dem er ab und zu zwischen zwei Proben einen Imbiss zu sich zu nehmen pflegte.

      Der Junge sass neben ihm zusammengesunken. Er sprach nichts. Nur ab und zu klirrten seine Zähne wie im Frost aufeinander. Michael fasste besorgt nach seiner Hand. Nein, Fieber hatte er nicht. Die Hand war kühl. Es war offenbar nur der Hunger, der diesen scheinbaren Fieberzustand in ihm erzeugte.

      Nun öffnete der Junge die Augen, versuchte zu sprechen. Aber Michael wehrte ab.

      „Jetzt wird erst gegessen und dann geredet, erzählen kannst du mir später noch genug.“

      Sie hielten vor dem kleinen Restaurant. Michael half dem Taumelnden aussteigen. Schon sassen sie in der kleinen Nische des Lokals. Es war in dieser Stunde ganz menschenleer. Die Büfettdamen hinter der Theke und die Kellner sahen erstaunt auf Michael, den sie kannten, und auf den eigentümlichen Gast, den er da mehr hereintrug, als dass er neben ihm ging.

      „Eine Bouillon mit


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