Eisnächte. Ditte Birkemose

Eisnächte - Ditte Birkemose


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oder ...«

      »Überhaupt nicht.« Kirsten nahm sich ein Schnittchen und schob die Platte zu mir herüber. »Nun greifen Sie doch endlich zu.«

      »In letzter Zeit war sie einfach in ihre Arbeit vertieft. Es war irgendwas mit dieser Umweltorganisation ...« Bo runzelte die Stirn. »Wie heißt die doch noch gleich?«

      Kirsten zuckte mit den Schultern.

      Er überlegte kurz, fuhr sich gedankenverloren mit den Fingern über den Nasenrücken. »Na, jedenfalls war das so, seit sie aus Grönland zurückgekommen ist.«

      »Grönland?« Ich sah ihn aufmerksam an. »Wann war das denn?«

      »Das muss jetzt so ungefähr ein halbes Jahr her sein. Sie war mit einem Kollegen dort oben.«

      »David.« Kirsten fegte einige Krümel in ihre Hand, und ihr Armband klimperte dabei. »Sie war mit einem Journalisten namens David Ballum da oben. Das weiß ich noch, weil er eines Nachmittags aufgetaucht ist, als ich bei ihr war, um für Vorhänge Maß zu nehmen.« Ihre Augen funkelten ein wenig, und die Andeutung eines Lächelns huschte über ihre Lippen. »Eigentlich ein sehr sympathischer Mann«, fügte sie hinzu. »Das war jedenfalls mein Eindruck.«

      Ich machte mir einige Notizen. »Und was wollten sie in Grönland?«, hakte ich nach.

      »Sie hat mir nicht sehr viel erzählt, aber ...« Bo, der eine Weile an seiner Packung Cecil herumgespielt hatte, griff jetzt nach dem Feuerzeug, zündete sich eine Zigarette an und machte einen Lungenzug. »Es ging wohl um diese CIA-Flugzeuge, die da oben zwischenlanden.«

      Kirsten musterte ihn missbilligend, dann stand sie auf und öffnete ein Fenster. »Es ging um irgendwelche Gefangene«, sagte sie über die Schulter hinweg.

      »Terroristen, es waren Terroristen, die in unterschiedliche Gefängnisse gebracht werden sollten.« Er streifte die Asche ab.

      »Aber das war doch geheim«, erwiderte sie. »Das stand so in der Zeitung. Und es war doch auch ungesetzlich?« Sie blickte mich fragend an.

      »Es waren Terroristen«, wiederholte er und zog wieder an seiner Zigarette.

      »Ja, was weiß ich.« Sie schüttelte den Kopf und ließ sich wieder auf das Sofa sinken. »Es passiert ja so viel ...« Sie verstummte abrupt, und ihre Augen wurden blank. »Das Schlimmste ist die Ungewissheit«, fügte sie leise hinzu.

      Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und legte seine Hand auf ihre. »Jetzt wollen wir mal den Teufel nicht an die Wand malen. Vielleicht hat die Polizei recht und sie hat irgendeinen Auftrag angenommen, wäre nicht das erste Mal.« Er zögerte. »Oder sie ist in Amsterdam. Ihr Auto ist doch da unten, und das könnte darauf hinweisen ...«

      »Aber sie hätte uns etwas gesagt.« Kirsten wurde lauter. »Sie ruft immer an und sagt Bescheid, ehe sie verreist. Immer!« Ihre Lippen zitterten. »Und sie würde nicht im Traum auf die Idee kommen, deinen Geburtstag zu verpassen, Bo.«

      Sein Gesicht verdüsterte sich. Er öffnete den Mund, blieb aber stumm.

      »Und die Polizei unternimmt nichts.« Sie rang auf ihrem Schoß die Hände.

      »Haben Sie den Schlüssel zu ihrer Wohnung?«, fragte ich vorsichtig.

      Sie erhob sich. »Der hängt im Schrank in der Diele. Möchten Sie den haben?«

      »Ja, wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern ...«

      »Natürlich«, unterbrach sie mich, und beide nickten.

      Er setzte sich anders und starrte vor sich hin. »Das ist doch klar«, murmelte er und versank in Gedanken.

      »Wann waren Sie zuletzt in der Wohnung?«

      Sie schien zu zögern. »Das weiß ich nicht mehr«, sagte sie dann und pustete sich eine Locke aus der Stirn. »Wir waren nur einmal da. Aber in letzter Zeit haben wir jeden Tag telefoniert, morgens, mittags und abends ...«

      Um mir einen Eindruck zu verschaffen, wer diese Julie eigentlich war, stellte ich alle möglichen Fragen, die mir gerade in den Sinn kamen. Und die beiden antworteten bereitwillig. Irgendwann holte Kirsten dann auch einige Alben und zeigte mir Fotos von der Konfirmation ihrer Tochter, von ihrer Abiturfeier und ihrer Hochzeit.

      »Wie lange war sie verheiratet?«, fragte ich.

      »Das hat nur drei Jahre gehalten.« Kirsten seufzte und schüttelte den Kopf. »Aber wir mochten ihn nicht, und da ...« Sie reckte das Kinn.

      »Ach, ich weiß nicht.« Bo griff wieder nach den Zigaretten. »Henrik konnte durchaus auch sympathisch sein ...« Er klang nachsichtig.

      »Ach, du nun wieder!« Sie kicherte und schaute ihn an. »Ich muss schon sagen, es wurden andere Saiten aufgezogen ...«

      Sie wechselten Blicke, und Bo schmunzelte.

      Ich spürte zwischen ihnen einen Funken und dachte, dass sie sich trotz der langjährigen Ehe und der Unterschiede, die sofort ins Auge sprangen, noch immer erotisch zueinander hingezogen fühlten. Inzwischen waren sie nicht mehr so angespannt wie zu Beginn meines Besuchs, und ich glaube, sie hatten irgendwie das Gefühl, dass Julie während unseres Gesprächs näher kam, fast so, als sei sie mit uns hier im Wohnzimmer. Deshalb fühlten sie sich sicherer. Aber Angst und Anspannung kehrten in dem Moment zurück, in dem ich mich zum Aufbruch bereitmachte.

      »Möchten Sie nicht noch eine Tasse Tee?« Kirsten blickte mich flehend an.

      Eine Welle von Mitleid durchflutete mich. Kinder sind immer die Achillessehne der Eltern, egal, wie erwachsen sie auch sein mögen. Trotzdem musste ich ihr Angebot ablehnen. Marie wartete draußen im Auto, es ging auf fünf Uhr zu, und ich musste noch einkaufen.

      Neben einem Foto und Julies Wohnungsschlüsseln bekam ich die Telefonnummern von einigen Freunden und Kollegen. Leider wussten die Eltern nicht viel über den Liebhaber Carel. Nur, dass er Jazzmusiker war und am Stadtrand von Amsterdam wohnte.

      »Sie kennen sich ja noch nicht mal ein Jahr«, erklärte Kirsten, »und wir sind ihm noch nie begegnet.«

      Ein Schatten glitt über Bos Gesicht. »Er hätte zu meinem Geburtstag kommen sollen«, fügte er mit einer vor Sorge gepressten Stimme hinzu.

      Ich nickte und sah ihn teilnahmsvoll an. Dann stand ich auf und griff nach meiner Tasche. »Vielleicht weiß jemand von ihren Kollegen, wo er wohnt«, sagte ich und reichte ihnen zum Abschied die Hand.

      »Rufen Sie sofort an, wenn Sie etwas herausfinden.« Kirsten sah mich mit unruhigen Augen an.

      Bo legte ihr den Arm um die Schultern.

      Es nieselte, und in der Luft hing der Geruch von nasser Erde. Ich schüttelte mich und schob die Hände in die Jackentaschen. Auf der Straße fuhr ein Moped vorüber, und aus einem Garten in der Nachbarschaft war eine Motorsäge zu hören. In Gedanken verloren ging ich über den Plattenweg. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass es ein arbeitsreicher Fall werden würde.

      Ein Stück von der Villa entfernt hatte ich mein weißes Wohnmobil abgestellt. Marie schlief auf dem Vordersitz, aber als ich die Tür öffnete, sprang sie auf, wedelte eifrig mit dem Schwanz und leckte mir übers Gesicht.

      »Verrückte Töle.« Ich lachte, streichelte sie und griff zur Leine.

      Ein Stück weiter entfernt kam eine ältere Frau mit einem Pudel auf uns zu. Sie wurde langsamer und musterte uns besorgt.

      Ich war daran gewöhnt, dass Maries Größe auf viele beängstigend wirken konnte, aber sie war der friedlichste Hund der Welt, wie die meisten Broholmer.

      »Sie tut nichts«, versicherte ich beruhigend.

      Wir blieben einen Moment stehen, damit die beiden Hunde einander beschnüffeln konnten, ehe wir weitergingen.

      Kaum hatte Marie ihr Geschäft erledigt, da setzte ich mich hinter das Lenkrad, ließ den Motor an und fuhr zum Nærum Camping, wo ich von März bis Oktober wohnte. Im Winter hieß mein Aufenthaltsort Camping Absalon in Rødovre.

      Abgesehen


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