Das Proust-ABC. Ulrike Sprenger

Das Proust-ABC - Ulrike Sprenger


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dass Robert de Montesquiou selbst bei einer Birnenbestellung seine literarischen Anspielungen nicht lassen konnte, und schreibt ihm das Molière-Zitat zu. Proust aß sehr gerne Birnen, die Céleste ►Albaret bei den besten Restaurants und Händlern von Paris für ihn beschaffte.

       Bloch, Albert

      Freund und zugleich Lieblingsfeind des Erzählers, den er mit seinen schlechten Manieren, seiner Aufdringlichkeit und seiner Verlogenheit ständig provoziert. Zunächst lässt sich der junge Marcel von der Belesenheit und Welterfahrenheit des älteren Bloch beeindrucken – Bloch führt ihn in die Welt der Literatur ein, indem er ihm Bergotte zu lesen gibt, und in die Welt der Sinne, indem er ihn in ein Bordell mitnimmt –, später aber stört sich der Erzähler zunehmend an Blochs ►Snobismus und seinem politischen Opportunismus, der ihn in Balbec antisemitische Reden schwingen lässt, während er in der Pariser Gesellschaft für Dreyfus Partei ergreift. Auch Blochs literarische Erfolge, die er sich während des Krieges als Theaterautor erwirbt, haben ihr negatives Gegenstück in seinem Neid, der ihn die Erfolge Marcels nie anerkennen lässt. Obwohl Bloch alle Untugenden dieser Welt auf sich zu vereinen scheint, bleibt der ►Erzähler sein Freund, sucht trotz oder vielleicht wegen der ständigen Provokationen immer wieder seine Nähe und zeigt sich sogar betrübt, als die Freundschaft aufgrund eines Missverständnisses (an dem Albertine schuld ist) in Gefahr gerät.

      Ein Schlüssel für diese merkwürdige ständige Anziehung und Abstoßung liegt in einem der frühesten Auftritte Blochs, als dieser bei Marcels Familie eingeladen ist und mit seinem durchaus originellen, aber auch unverschämten Verhalten alle vor den Kopf stößt: Auf die Frage des Vaters, wie das Wetter sei, antwortet er: »Ich lebe so entschieden jenseits der physikalischen Zufälligkeiten, dass meine Sinne sich nicht die Mühe machen, mich zu benachrichtigen«; die Großmutter hält ihn für manieriert, weil er auf ihre Bemerkung, sie fühle sich nicht wohl, ein Schluchzen unterdrückt, und die Eltern setzen ihn bei einem zweiten Besuch vor die Tür, weil er behauptet, die Großtante der Familie habe eine stürmische Jugend hinter sich – eine Annahme, die nach Marcels eigener Einschätzung durchaus berechtigt ist. Unabhängig von der moralischen Bewertung seiner Handlungen wird klar, welche Rolle Bloch hier für Marcel spielt: Er ist sein böses Alter Ego, der ungehorsame Sohn, der Vater und Mutter nicht achtet, die Familie verleumdet und verleugnet, hysterischen Anfällen ungehemmt ihren Lauf lässt und die höfliche Konversation über das Wetter verweigert – alles Dinge, die der gute Sohn Marcel nicht darf und auch nicht tut. Dies ist die Quelle der geheimen Anziehungskraft, die Bloch so beständig auf Marcel ausübt: Er tut das offen, was Marcel verdrängt; er tut stellvertretend das, was Marcel missbilligt, aber heimlich auch begehrt. Trotz der vernichtenden Urteile über seinen Charakter lässt Bloch den Erzähler öfter an den moralischen und ästhetischen Maßstäben seiner eigenen Erziehung zweifeln, ja lässt ihn manchmal sogar vermuten, der frivole Bloch könne der Welt von Kunst und Genialität näher sein als die von Mutter und Großmutter bewunderten Vorbilder: »Als wir nach dem Essen wieder oben waren, sagte ich zu meiner Großmutter, dass jene Eigenschaften der Madame de Villeparisis, die uns so sehr an ihr gefielen, ihr Takt und ihr Scharfsinn, ihre Diskretion und vornehme Zurückhaltung, vielleicht gar nicht so wertvoll waren, dass diejenigen, die sie in besonders hohem Maße besaßen, nur Persönlichkeiten wie Molé oder Loménie waren, und dass ihr Fehlen, selbst wenn es den alltäglichen Umgang unangenehm machte, einen Chateaubriand, Vigny, Hugo, Balzac nicht daran gehindert habe, zu werden, was sie waren, eitle Menschen ohne Urteilsvermögen, worüber sich leicht spotten ließ, wie Bloch … Aber beim Namen Bloch erhob meine Großmutter Einspruch. Sie pries Madame de Villeparisis.« Allein durch die Erwähnung von Blochs Namen kann der Erzähler hier seine Großmutter und das von ihr vertretene vornehm-feinsinnige Mittelmaß provozieren, ihn selbst inspiriert Bloch zu dem Gedanken, dass ►Kunst und Moral eben nichts miteinander zu tun haben – ein Befund, der sich wiederum bestätigt, wenn Proust dem »neuen Autor«, den der Erzähler so bewundert, die unsympathischen Züge Blochs verleiht.

      Nicht nur das moralisch-ästhetische Weltbild des braven Marcel bringt Bloch ins Wanken, er überführt ihn all jener Laster, von denen Marcel nur Bloch befallen glaubt. Scharfsichtig entlarvt er die Vorliebe Marcels (und der Großmutter) für aristokratischen Umgang, und auf die direkte Frage Blochs, ob er ein Snob sei, muss sich Marcel nach langer Verteidigungsrede eingestehen, dass sein eigenes Verhalten, selbst wenn es ihm nicht snobistisch erscheint, nach außen hin das gleiche ist wie Blochs. Auch später, als ihre Freundschaft zerbricht, mag man als Leser den Beteuerungen Marcels Glauben schenken, er habe Blochs Vater nur wegen Albertine nicht gegrüßt – aber schließlich hat jede andere snobistische Figur des Romans immer gute Gründe für ihren ►Snobismus. Wie man es wendet, jeder Kontakt mit Bloch bringt die dunklen Seiten des Erzählers zum Vorschein. Und nicht genug damit, dass Bloch Marcels guter Erziehung und Moral einen provokanten Zerrspiegel vorhält, auf einer höheren Ebene parodiert Blochs Sprache auch den Erzählstil des Romans. Als er seine erste Begegnung mit Charlus schildert, brüskiert er damit nicht nur dessen Neffen ►Saint-Loup – er wiederholt auch in einer vulgären und spöttischen Tonart genau jenen Bericht, den uns der Erzähler kurz zuvor von seinem ersten Zusammentreffen mit dem Baron gegeben hat. Da Bloch sich in seiner Parodie die Pose eines Schriftstellers gibt, wird noch deutlicher, dass es sich hier um die Karikatur einer literarischen Beschreibung handelt: »›[…] er hat außerordentlichen Schick und eine unbezahlbar bescheuerte Visage von der allerfeinsten Provenienz.‹ – ›Da täuschen Sie sich gänzlich, er ist höchst intelligent‹, gab Saint-Loup erzürnt zurück. – ›Schade, dann ist er weniger vollkommen. Ich würde ihn übrigens gern kennenlernen, denn ich bin sicher, ich würde recht treffende Stücke über solche Leutchen schreiben wie den. Ihn nur vorbeigehen zu sehen ist schon zum Totlachen. Aber in dieser Fratze, die mich, Sie müssen entschuldigen, zuerst einfach umgehauen hat, würde ich die karikaturistische Seite, die ja im Grunde für einen Künstler, der sich der plastischen Schönheit der Sätze verpflichtet fühlt, etwas Verächtliches ist, zurücktreten lassen und mehr die aristokratische Seite Ihres Onkels herausarbeiten, die alles in allem eine bombige Wirkung ergibt und, wenn der erste Lachanfall vorbei ist, durch ihren großartigen Stil besticht.« Und wenn Marcel und Saint-Loup sich noch so entrüsten – dies ist eine saloppe Version von Marcels eigener Beschreibung, in deren Verlauf er Charlus zunächst als einen Verrückten, dann als einen Verbrecher und zuletzt als einen edlen Aristokraten sieht. Auf ähnlich unverschämte und erfrischende Weise wie Albertine bei ihrer Eisbeschreibung mokiert sich Bloch hier über das ausgeprägte Stilbewusstsein des Erzählers. Trotz seiner eher seltenen Auftritte wird Bloch damit zu einer der wichtigsten Figuren im Roman: Als böses Alter Ego und ›agent provocateur‹ verunsichert er immer wieder den Erzähler, hält dessen Selbstreflexion in Gang und sorgt für die sprachlichen Registerwechsel, die Proust so wichtig sind. Sein den Erzähler in gleichem Maße irritierendes und entlarvendes Benehmen gründet dabei nicht zuletzt in den Zwängen zur Anpassung und Selbstverleugnung, denen der ►Antisemitismus die Familie Bloch unterwirft – am Ende des Romans wird Bloch zur Figur einer identitätsvernichtenden Assimilation.

       Botanik

      Proust besaß eine ganze botanische Bibliothek und kannte sich bestens auf diesem Gebiet aus. Es unterlaufen ihm keine Fehler, was Blütezeit, Befruchtung, Farben und Formen der im Roman beschriebenen Pflanzen angeht. Swann, der in Combray mit der Herzogin von Guermantes botanische Spaziergänge unternimmt, ist auch in dieser Hinsicht ein Abbild Prousts. Das Combray von Marcels Kindheit erscheint als ein Blütenmeer wildwachsender Pflanzen wie ►Weißdorn, Flieder, ►Apfelbäume und Seerosen – später in Paris begegnet er vor allem den zeitgenössisch beliebten Treibhausblumen, mit denen die Großbourgeoisie im Winter ihre Häuser schmückte: ►Chrysanthemen und Orchideen wie den ►Cattleyas. Dieser Einteilung entsprechen auch die thematischen Assoziationen, die sich mit den Pflanzen verbinden: Während Weißdorn, Flieder und Apfelblüten die eher unschuldige, schüchterne Liebe Marcels zu ►Gilberte begleiten und der Irisduft der kleinen Dachkammer seinen ►Masturbationen einen natürlichen Reiz verleiht, seine erotischen Phantasien in eine sommerliche Natur integriert, umgibt sich die Femme fatale Odette mit gezüchteten Chrysanthemen und Orchideen – ab Sodom und Gomorrha schließlich wird die zweigeschlechtliche, selbstbefruchtende Orchidee vollends zum Symbol sowohl


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