Corona in Buchenwald. Ivan Ivanji

Corona in Buchenwald - Ivan Ivanji


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weil das Geld ja nur eine Nacht lang in meinem Besitz gewesen ist.‹

      Verwundert blickt der reiche Mann seine schöne Gattin an. Die Zofe würde gerne für sie lügen, da ist jedoch dieser verfluchte Diener als Zeuge, dass der Deutsche die Wahrheit sagt. Also schlägt sie sich theatralisch an den Kopf und erklärt:

      ›Ach, das habe ich ganz vergessen dir zu sagen, mein Liebling. Es stimmt, ich habe die Summe verwahrt und bringe sie dir gleich. Ist doch eine Lappalie.‹

      Der reiche Mann und der Deutsche lassen sich das üppige Mittagsmahl schmecken, die schöne Frau klagt, sie habe irgendwie den Appetit verloren. So hat also der kaltblütige Deutsche seine Eroberung gemacht, ohne dafür zu zahlen, und zieht bald weiter seines Weges.

      Liebe Kameraden, ein schlauerer Mensch als ich hätte vielleicht diese Handlung auf unser heutiges Leben übertragen können, für mich war es einfacher, das Original bloß ein wenig auszuschmücken. Ihr könnt bei euren Beiträgen ganz anders vorgehen, ganz andere Themen wählen, sie müssen auch nicht erotisch sein. Ich erinnere, dass Boccaccios Heldinnen und Helden zum Beispiel auch Geschichten über die Pest erzählt haben, auch wir könnten etwas über die Nazipest, über unsere Erlebnisse in den Lagern erzählen. Ich bin schon neugierig und vor allem erleichtert, dass ich meine Pflicht erledigt habe und mich nun bequem zurücklehnen kann.«

      Igor hat lange genug ohne Zwischenruf ausgehalten:

      »Auch deinen Schlips könntest du lockern, du alter Diplomat.«

      Die Erwiderung folgt prompt: »Der Schlips ist Teil meiner Dienstuniform, wir liefen nicht wie Admirale oder Nachtportiere verkleidet herum, wie es eure russischen Diplomaten bis heute tun. Ich wette, die würden bei so einer Gelegenheit keinen Knopf ihrer Kleidung öffnen, und du, Oberst des GRU, du erst recht nicht.«

      Um diese Privatdiskussion nicht weiter ausufern zu lassen, übernimmt Marko als Moderater schnell das Kommando.

      »Ich danke dir in unser aller Namen, Kamerad Pharoux, für diesen wunderbaren ersten Beitrag. Ich freue mich, dass alles funktioniert, auch dass Zwischenrufe und kleine Diskussionen wie soeben möglich sind. Nun müssen wir entscheiden, wer morgen spricht. Wenn keiner von euch einen Vorschlag hat, so habe ich einen. Ich schlage Igor vor, der hat ja bewiesen, dass er nicht nur gerne spricht, sondern auch sprachgewandt ist. Seid ihr einverstanden?«

      Alle drücken auf die Taste, die für Zustimmung steht. Auch der russische Oberst selbst, ihm ist klar, dass er sich das selber eingebrockt hat.

      »Wir könnten doch alle drei gemeinsam essen«, Marko ruft seinen Vater nach der Videositzung auf dem Handy an. »Komm zu uns ins Zimmer, sonst bist du die ganze Nacht so allein.«

      »Das bin ich in Belgrad ja auch«, nickt Sascha. »Aber sehr gern, ich mache mich nur etwas frisch und klopfe dann bei euch an.«

      Vorsichtig lugt er den Flur hinauf und hinunter. Kein Mensch. Es macht ihm Spaß, heimlich von einer Hoteltür zur anderen zu huschen. Das erzählt er auch gleich, nachdem er sich in Markos Zimmer auf einem Sessel niedergelassen hat.

      »Richtig schlüpfrig kam es mir vor«, sagt er, »wie bei Boccaccio, als wollte ich heimlich zu einer Geliebten.«

      »Ja, schade, dass so wenige junge Menschen da sind«, der Sohn nimmt gleich den Faden auf. »Die meisten von uns Begleitern sind ja auch mindestens um die fünfzig. Also, wer wird zu dem Indianermädchen gehen? Wetten wir, Papa, auf wen setzt du?«

      »Auf den jungen Griechen.«

      »Wer kommt sonst überhaupt noch infrage. Igor? Viel zu alt. Da ist auch der dänische Polizist. Ich setze auf den jungen Serbo-Israeli, Amos, ein schöner Name. Hat der eine Bedeutung, ich schlage mal nach …«

      »Amos war ein Prophet aus dem Alten Testament«, sagt Sascha sofort. »Möglicherweise sogar eine historische Persönlichkeit, er war sehr sozialkritisch, wetterte gegen die Großgrundbesitzer.«

      »Sie wissen ja wirklich alles«, lobt Mila.

      »Nicht alles, aber alles, was ich weiß, stirbt mit mir und euch bleibt die Google-Suche. Ich freue mich, dass du endlich etwas sagst, du bist so schweigsam. Kommt das von dem Umgang mit Computern?«

      »Bei euch kommt man ja nicht zu Wort.« Die junge Frau ereifert sich. »Schämt ihr euch nicht?«

      »Wieso?«, wundert sich Marko. »Dass wir so viel reden?«

      »Nicht dass ihr redet, sondern wie ihr euch über ein alleinstehendes Mädchen hier hermacht. Wieso ist euch nicht aufgefallen, dass dieser spanische Journalist schwul ist und sich zu eurem Amos schleicht, nachdem sie sich gleich nach der Ankunft unten in der Halle verabredet haben?«

      »Moment. Anne aus Holland ist genauso jung und vielleicht sogar hübscher als Galilahi, aber sie benimmt sich zurückhaltender, und deshalb ist uns nicht eingefallen zu fragen, wer bei ihr Anhang suchen könnte. Aber du hast natürlich recht«, gibt Sascha zu. »Ich schäme mich. So, jetzt habe ich mich doppelt geschämt, auch dass wir uns zu wenig um dich gekümmert haben …«

      »Das konntest du ja gar nicht, ich war doch immer mit ihr …«, lautet der Einwand des Sohnes.

      »Wir sollten nicht in dritter Person über Mila sprechen, sie ist ja hier. Mila, wie geht es dir? Langweilst du dich sehr?«

      »Ehrlich gesagt, natürlich habe ich mir diese Reise ganz anders vorgestellt. Ich habe mich vor allem darauf gefreut, dass wir zu dritt verreisen, das haben wir ja noch nie gemacht, und auch auf Weimar, auf seine Sehenswürdigkeiten, von denen Marko mir erzählt hat, auf diesen Riesenpark an dem kleinem Fluss, und überhaupt … Mit dem Festsitzen in einem Hotel habe ich nicht gerechnet.«

      »Ich habe eigentlich gemeint, ob dich der Vortrag des Franzosen gelangweilt hat …«

      »Nein. Überhaupt nicht. Ich habe etwas gelernt dabei. Ich muss dieses ›Decamerone‹ lesen, meine Allgemeinbildung ist schlecht, Marko meint, ich sei eine Fachidiotin.«

      »Und ich meine, wir sollten jetzt etwas essen«, fügt Marko gut gelaunt hinzu. »Schauen wir uns an, was im Angebot ist und besprechen dann, was sich Papa als Thema nehmen soll, das ist wichtig, schließlich hat er das ›Decamerone‹-Spiel vorgeschlagen.«

      Marko ruft auf dem Fernseher das Abendmenü auf und gibt Sascha damit Zeit, seinen Sohn und dessen Freundin still zu beobachten. Nicht zu fassen, dass der Junge tatsächlich schon über fünfzig ist und Redakteur einer angesehenen Zeitschrift. Aber er sieht jünger aus. Die junge Frau ist hübsch, sie passt gut zu ihm. IT-Spezialistin, Sportlerin, zehn Jahre jünger. Hoffentlich bleiben sie zusammen.

      »Welchen Wein nehmen wir, Papa?«

      »Einen Chablis«, sagt Sascha sofort. »Einen guten Chablis leiste ich mir üblicherweise nicht, aber da wir ihn auf Rechnung unserer Gefängniswärter trinken können … Und ich nehme den Lachs auf Blattspinat.«

      »Gute Idee. Den nehmen wir auch«, entscheidet Mila.

      Das Essen kommt überraschend schnell. Als es klopft, geht Sascha ins Badezimmer, der Kellner muss nicht sehen, dass ein Dritter da ist, womöglich wäre er verpflichtet, es zu melden. Der Kellner trägt Atemmaske und weiße Handschuhe, die Portionen sind ausgiebig, auch wenn sie natürlich nur für zwei Personen gedacht sind.

      »Ich esse mit der Hand direkt aus Milas Schüssel«, sagt Marko.

      »Ist nicht nötig. Auf dem Beistelltisch liegt ein Teller mit Obst und Besteck, räum das Obst einfach runter. Und sollten wir das morgen wieder so machen, bestellen wir zusätzlich Vorspeisen oder so etwas, dann haben wir auch genug Besteck. Und weitere Gläser gibt es sicher in der Minibar.«

      Nachdem sie sich zugeprostet und mit dem Essen begonnen haben, erklärt Marko: »Ja, also, ich habe mir Gedanken gemacht, was du erzählen könntest, Papa, und ich habe eine Idee … Vor einigen Jahren bin ich zur Eröffnung eines ultramodernen neuen Hotels in der serbischen Kleinstadt Aranđjelovac eingeladen gewesen. Du weißt doch sicher von der Mineralwasserquelle, die dort aus einer Tiefe von dreihundert Metern sprudelt und von der man gratis trinken kann. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts


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