Die Erbin. W. E. Norris

Die Erbin - W. E. Norris


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er welches besass, davon waren sowohl er als auch seine Bekannten fest überzeugt.

      Wenn das Leben einem so viel gute Dinge bietet, als da sind: Gesundheit, Schönheit, Kraft, Beliebtheit und ein reicher Onkel, muss man ein ganz abnormes Gemüt besitzen, wenn man sich nicht dieser Vorteile freut. Fred Musgrave besass dies abnorme Gemüt nicht — er freute sich ihrer nach Kräften. Er freute sich des Diners bei General Moore — trotz der kleinen Sorgen, die seinen Kopf während desselben durchzogen; er freute sich der Vorbereitungen zu den Aufführungen und gab Susie, mit der er ihre Rolle gewissenhaft einstudiert hatte, noch ab und zu kleine Winke, die nicht zu vergessen er ihr dringend ans Herz legte; und am meisten freute er sich der Aufführung selbst, die vom ersten bis zum letzten Worte ein fortgesetzter Triumph für ihn war. Zwar war Hauptmann Claughton in ihr Susies Liebhaber — das hatte sich nicht ändern lassen —, aber er war ein so schlechter Schauspieler und führte seine Rolle so mässig durch, dass er sehr wenig Beifall und Anerkennung erntete. Fred dagegen wurde mit Lob überschüttet und bekam die schmeichelhaftesten Dinge über sein Stück zu hören. Nach dem Schlusse der Vorstellung wurde getanzt. Mrs. Moores kleine Gesellschaften wurden immer durch einen kleinen Tanz beschlossen.

      „Ein reizender Kerl, dieser junge Musgrave!“ bemerkte ein alter Herr, der eben neben der Generalin stand und lächelnd dem Tanze zuschaute. „Man bekommt nicht alle Tage eine so glückliche Vereinigung von inneren und äusseren Vorzügen zu Gesicht. Wie schade, dass er sich nicht dazu entschliessen kann, einen richtigen Beruf zu erwählen!“

      „O,“ erwiderte Mrs. Moore, „er scheint mir im stande zu sein, sich vollauf zu beschäftigen. Aber er wird es voraussichtlich nie nötig haben, sein Geld selber zu verdienen.“

      Mrs. Moores Freund, ein Mann, der ein erfahrungsreiches Leben hinter sich hatte, lächelte ungläubig. „Soviel ich weiss, ist er von seinem Onkel, dem Dekan Musgrave, dem unangenehmsten, unverträglichsten alten Unholde, den die Erde trägt, vollständig abhängig. Wie, wenn es sich dieser Onkel nun einfallen liesse, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen und sein Vermögen einem anderen Verwandten zu hinterlassen!“

      „Das wird er sich nicht beigehen lassen!“ versicherte die Generalin ganz erschreckt.

      „Sagen Sie das nicht mit solcher Bestimmtheit. Alte Leute sind wunderlich,“ erwiderte der andre. „Ich selber hatte einen Onkel, der sich mit sechsundsechzig Jahren verheiratete, und wollen Sie es glauben, dass der Mann noch drei Kinder bekam, ehe er starb? Natürlich hinterliess er ihnen sein ganzes Geld, obgleich er seit Jahren die Gewohnheit gehabt hatte, den Sommer in unserm Hause zu verbringen und über die Küche zu räsonnieren. Uebrigens ist mir so, als hätte ich einmal gehört, der alte Musgrave habe einen verlornen Sohn gehabt, den er vor vielen Jahren aus seinem Hause verjagt hätte.“

      „Mir ist etwas derartiges nie zu Ohren gekommen,“ antwortete Mrs. Moore. „Ich weiss nichts davon, dass er je Kinder gehabt hat.“

      „Doch, doch! Wie ist mir denn? Es war ja kein verlorner Sohn, sondern eine verlorne Tochter! Ja, ja — jetzt weiss ich es ganz genau — es war eine Tochter!“

      Mrs. Moore machte im Geiste Notiz von dieser Mitteilung. Sie wusste herzlich wenig von Mr. Musgrave und seinen Verhältnissen, und doch mochte es ihr möglicherweise nächstens zur Pflicht werden, Erkundigungen danach einzuziehen.

      Unterdessen tanzte Fred, der von den Wolken, die andre an seinem Horizonte heraufziehen sahen, keine Ahnung hatte, vergnügt mit der hübschen Susie Moore, und nachdem der Tanz vorüber war und beide sich in den an das Ballzimmer stossenden kleinen Salon begeben hatten, begann Susie in der Unschuld ihres Herzens sich nach Freds Lebensweise, nach seinem Thun und Treiben, nach seinen Zukunftsplänen, über die sie ebensowenig unterrichtet war als ihre Mutter, zu erkundigen. Fred war dies Verhör nicht unangenehm; er hatte nichts zu verheimlichen, und es freute ihn, Miss Moore ein derartiges Interesse an seiner Zukunft nehmen zu sehen.

      „Mein höchster Ehrgeiz,“ teilte er ihr mit, „ist der, ein berühmter dramatischer Dichter zu werden. Meiner Ansicht nach ist dieser Ehrgeiz zu loben — leider aber denkt mein Onkel in dieser Beziehung anders als ich.“

      „Ihr Onkel und Sie sind wohl häufig verschiedener Meinung?“ fragte das junge Mädchen.

      „Das kann ich eigentlich nicht behaupten; wir werden ganz ausgezeichnet miteinander fertig. Ob wir verschiedener Meinung sind oder nicht — das ist mir oft selber nicht klar, da mein Onkel grundsätzlich — aus Lust am Widerspruch — widerspricht, was man auch behaupten mag. Es würde ihm das Herz brechen, jemand zuzugeben, dass er mit ihm in irgend einer Beziehung übereinstimme. Was nun meine schriftstellerische Thätigkeit betrifft, so missbilligt er sie im höchsten Grade — aber das ist eben nichts Seltenes bei ihm. Ich glaube, wenn man mir den Posten eines Premierministers anböte und ich ihn annähme, so würde er selbst damit nicht zufrieden sein.“

      „Ist Ihnen durch diese seine Charaktereigentümlichkeit das Zusammenleben mit ihm nicht sehr verleidet worden?“

      „O nein. Ich bin an seine Art gewöhnt und lasse ihn ruhig gewähren. Er ist nun einmal so und nicht anders. Ab und zu haben wir natürlich auch einmal einen kleinen Streit — augenblicklich sind wir gerade mitten in einem solchen —, aber derartige Zwischenfälle gehen gewöhnlich rasch vorüber und dann sind wir wieder ganz gute Freunde wie vorher.“

      „Damit wollen Sie wahrscheinlich sagen, dass Sie schliesslich doch immer thun, was er will, nicht wahr?“

      „Wenigstens fast immer. Mir ist unterdessen gewöhnlich der Wunsch vergangen, etwas zu thun, was er missbilligt.“

      „Er muss aber doch sehr gut gegen Sie gewesen sein,“ bemerkte Susie nach kurzem Nachdenken. „Sie scheinen doch nur Ihrem Vergnügen zu leben.“

      „O, Miss Moore, wie grausam sind Sie, mir etwas derartiges zu sagen! Nichts Widerwärtigeres als ein Mann, der nur seinem Vergnügen lebt. Sehen Sie, ich geniesse alles, was sich mir bietet, aber deshalb ist mir der Genuss doch nicht Lebenszweck. Meine Vergnügungen sind sehr harmloser und unschuldiger Natur. Ich spiele in meinen Mussestunden Cricket; ich liebe die Jagd und nehme daher Einladungen dazu sehr gern an; ich übernehme gern eine Rolle in einem kleinen Theaterstücke — das ist doch gewiss nichts Schlimmes, nicht wahr?“

      „Nein. Ich wollte Sie nicht kränken. Ich wollte nur sagen, dass Sie mit Ihren vielen Talenten meiner Ansicht nach weit mehr leisten könnten, als Sie in Wirklichkeit thun.“

      „Ich verstehe Sie. Sie wollen mir sagen, dass ich keinen rechten Beruf habe. Gestatten Sie, dass ich Ihnen eine ausführliche Antwort auf diesen Vorwurf gebe! Nachdem ich mein Abiturientenexamen abgelegt hatte, fragte mein Onkel mich, welche von den — seiner Ansicht nach — eines Gentleman würdigen Karrieren ich einmal einzuschlagen beabsichtige. Darunter verstand er nur eine sehr geringe Auswahl. Seemann zu werden war natürlich etwas ganz ausser Frage Stehendes; es blieben also nur: die Armee, die Kirche, die Rechte und die Diplomatie übrig. Ich entschied mich für die Armee. Er war nicht sehr erbaut von dieser Wahl und wusste sie mir rasch zu verleiden. Zur Diplomatie eignete ich mich nicht, da ich wenig Sprachtalent besitze; zum Geistlichen hatte ich nicht die mindeste Neigung, und so fügte ich mich denn endlich meines Onkels Wunsch und begann Jura zu studieren. Aber dies Studium war mir von Anbeginn an verhasst. Es ist so trocken und langweilig. Leider habe ich von früher Jugend an ein ausgesprochenes Dichtertalent in mir gespürt, und da sich dies Talent nicht unterdrücken liess, so begann ich, anstatt ordentlich die Rechte kennen zu lernen, Theaterstücke zu schreiben. Meiner Ansicht nach ist das eine ebensogut ein Beruf, als das andre. Aber mein Onkel will das nun einmal nicht einsehen.“

      „Da ist er wohl jetzt sehr erzürnt auf Sie?“

      „O, er sagt, er hätte sich noch nie in seinem Leben so sehr über jemand geärgert, als jetzt über mich; aber das ist eine blosse Redensart. Er war sicherlich schon zahllose Male ebenso zornig und enttäuscht, und wird es bis zu seinem Todestage noch recht oft sein.“

      Susie lachte. „Der arme, alte Mann! Thäten Sie nicht aber doch gescheit daran, sich dem, was er gern sieht, zu fügen?“

      „Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, da bisher noch niemand entdeckt hat, was


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