Die Erbin. W. E. Norris

Die Erbin - W. E. Norris


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wir einmal an, Sie seien meine Tante und erteilen Sie mir als solche einen Befehl. Sie sollten sehen, welch ein gehorsamer Neffe ich unter Umständen sein kann.“

      Susie lehnte die ihr zugeschriebene Verwandtschaft lachend ab, aber da Fred sie dringend bat, ihm ihre Ansicht über seine Handlungsweise offen zu sagen, gab sie zu, dass sie eigentlich völlig seiner Meinung sei. Jeder Mensch müsse nur das thun, wozu er Neigung und Beruf in sich verspüre, und wenn man ihm das höchste Amt im Reiche anböte und er einsähe, dass er sich nicht dazu eignete, so sollte er darauf verzichten und einen einfachen Beruf, der ihm zusagte, erwählen.

      Das Gespräch begann eine gefährliche Wendung zu nehmen, und wenn Fred, als er die Gesellschaft verliess, Susie Moore seine Liebe trotzdem nicht offen erklärt hatte, so lag es einfach daran, dass er ein gewissenhafter junger Mann war, der einsah, dass er einen solchen Schritt nicht thun dürfe, ohne seines Onkels Erlaubnis dazu eingeholt zu haben. Aber durch die Blume hatte er ihr dennoch angedeutet, was er für sie fühlte, und seine Andeutungen hatten Susie sichtlich nicht unangenehm berührt. Als Fred daher jetzt seiner Wohnung in St. James zuschritt, pfiff er eine lustige Melodie vor sich hin und sah lauter Bilder einer glücklichen, sonnigen Zukunft sich umschweben. Er war fest entschlossen, gleich am nächsten Tage nach Oxford zu reisen und sich mit seinem Onkel zu versöhnen, was sicherlich kein schweres Stück Arbeit sein würde. Der alte Mann hatte ihm schon häufig gezürnt und war, sobald Fred den ersten Schritt zur Versöhnung that, immer geneigt gewesen, seinem Neffen zu vergeben. Ja, Fred hegte die feste Ueberzeugung, dass er zu seines Onkels Glück oder Behaglichkeit dringend notwendig sei, und dass der schreckliche alte Mann durch ihre Entfremdung weit mehr litte, als er selber. „Ich werde ihm wahrscheinlich einige Zugeständnisse machen müssen,“ überlegte er im stillen. „Vielleicht verlangt er, dass ich noch ein Jahr lang studiere — auch den Gefallen will ich ihm thun. Mir bleiben ja immer noch Mussestunden, um Dramen zu schreiben. Dass es, sobald ich von meinen Heiratsplänen zu sprechen anfange, eine schreckliche Scene geben wird, weiss ich im voraus, aber er wird sich wieder beruhigen und zu der Einsicht gelangen, welch ein Glück es ist, dass meine Wahl auf Miss Moore fällt. Die Familie Moore ist weit und breit sehr geachtet — er kann nichts gegen sie einzuwenden haben.“

      Er stürmte die Treppe zu seiner Wohnung hinan und trat ins Wohnzimmer. Da gewahrte er das Telegramm des Rektors, das seit sechs Stunden auf dem Tische lag und seiner wartete.

      „Komm so schnell als möglich her. Dein Onkel ist gefährlich erkrankt.“

      Der junge Mann war mit einem Schlage ernüchtert und zugleich im höchsten Grade erschreckt. Er hatte keine Ahnung davon gehabt, dass sein Onkel leidend sei, und die Nachricht traf ihn daher völlig unvorbereitet. Leider konnte er dem Rufe nicht sofort Folge leisten. Der erste Zug nach Oxford ging erst fünf Uhr dreissig Minuten ab und die nächste Turmuhr verkündete eben erst die dritte Morgenstunde. Da es nicht mehr der Mühe lohnte, sich ins Bett zu legen, so kleidete der junge Mann sich um, packte die für eine kleine Reise notwendigen Sachen zusammen und setzte sich dann mit seiner Cigarre aufs Sofa nieder. Sein Temperament war ein sehr glückliches und neigte immer mehr zur Hoffnung als zur Furcht. Daher gab Fred sich auch jetzt der sicheren Ueberzeugung hin, er würde seinen Onkel schon wieder ganz hergestellt und gesund antreffen. Trotzdem that ihm der kurze Aufschub herzlich leid. Sein Onkel konnte daraus den Schluss ziehen, Fred sei herzlos und völlig gleichgültig gegen die Gesundheit dessen, dem er so unsäglich viel verdankte. Wie gut er dem alten Manne war, das sah er jetzt plötzlich klarer denn je ein. Wer weiss, ob er ihn nicht weit mehr liebte, als der alte Mann glaubte oder mit Gegenliebe vergalt. Aber derartige Gefühle kann man nicht abwägen und abmessen. Das Geheimnis von des Dekan Musgraves Liebe oder Abneigung blieb in seinem Innern verschlossen und ging mit ihm ins Grab hinab.

      Drittes Kapitel.

      Es war noch früh am Morgen, als Fred Musgrave in Oxford anlangte und den Weg vom Bahnhof nach der Universität, in der sein Onkel eine stattliche Reihe von Jahren mehr gefürchtet als geliebt worden war, zurücklegte. Das mächtige alte Gebäude hob sich düster von dem trüben grauen Märzhimmel ab; die weiche Steinmasse, aus der die meisten Häuser in Oxford gebaut sind, war an verschiedenen Stellen abgebröckelt und machte einem phantastischen Beobachter unwillkürlich den düsteren Eindruck von Verfall und Tod. Fred Musgrave aber war kein Phantast, er dachte an nichts weiter, als dass es ein sehr kalter Morgen war und dass er sich auf das warme Esszimmer seines Oheims freute. Selbst die an allen Fenstern herabgelassenen Vorhänge flössten ihm keine Besorgnis ein; an einem Wintermorgen ist es ganz natürlich, dass um halb acht Uhr die Fenstervorhänge noch nicht zurückgezogen sind.

      Es war daher ein grosser Schreck für ihn, als der Diener Williams mit sehr langem Gesichte die Thür öffnete und auf Freds Frage nach des Dekans Befinden antwortete: „Es ist leider alles vorüber, junger Herr. Alles vorüber. Der Herr Dekan ist gestern abend bald nach elf Uhr sanft eingeschlafen, junger Herr.“

      Die Haushälterin bestätigte unter Seufzern und Thränen seine Aussage. Weder sie noch der Diener hatten ihren verstorbenen Herrn sonderlich geliebt — es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, das zu thun — aber wenn der Herr des Hauses stirbt, so ist es natürlich, dass man ein trauriges Gesicht macht und seufzt, selbst wenn der Verstorbene ein alter Mann und ein Tyrann gewesen ist. Freds Trauer dagegen war aufrichtig, von Herzen kommend, obgleich er nicht im stande war, gleich Worte dafür zu finden.

      „So unerwartet!“ rief er betrübt.

      „Das kann man nicht eigentlich sagen, junger Herr,“ warf die Haushälterin ein, indem sie an ihren schwarzen Haubenbändern zupfte. „Seit drei Tagen hatte ich alle Hoffnung aufgegeben, und als der Doktor gestern früh hier war, sagte auch er mir, dass an Aufkommen nicht mehr zu denken sei.“

      „Warum riefen Sie mich nicht telegraphisch herbei?“

      „Ich wagte nicht, es zu thun, denn ich wusste nicht, ob es dem Herrn Dekan recht gewesen wäre. Vorgestern sagte ich zu Williams — nicht wahr, Williams, Sie wissen doch noch? —: ‚Was meinen Sie, müssen wir nicht nach Mr. Frederick telegraphieren?‘ sagte ich. Williams war ganz meiner Meinung. Aber sehen Sie, junger Herr, ich getraute mich nicht, es dem Herrn Dekan zu sagen. Als Mr. Breffit gestern hier war, sprach ich mit ihm darüber, aber auch er meinte, es sei eine gewagte Sache, auf eigne Hand zu handeln. ‚Meinethalben thun Sie es,‘ sagte er, ‚aber es kann unter Umständen,‘ sagte er — —“

      „Was Mr. Breffit gesagt hat, ist mir sehr gleichgültig,“ unterbrach Fred, dem nichts daran lag, die Einzelheiten des Gesprächs zu hören, sie kurz; „das Resultat bleibt dasselbe: nämlich, dass ich durch Ihre Schuld daran verhindert worden bin, von meinem Onkel Abschied zu nehmen.“

      „Das thut mir herzlich leid, herzlich leid, junger Herr,“ erwiderte Mrs. Simpson in sehr beleidigtem Tone.

      Auch der Diener sprach sein aufrichtiges Bedauern darüber aus und setzte hinzu, dass Mrs. Simpson vollständig unschuldig an dieser Unterlassungssünde sei. Mr. Fred hätte den alten Herrn gut genug gekannt, um zu wissen, dass jeder Diener, der sich erlaubt hätte, dem Dekan einen derartigen Vorschlag zu machen, auf der Stelle entlassen worden wäre.

      Mr. Fred wusste es. Ebenso genau wusste er, dass sowohl Williams als Mrs. Simpson bei weitem freundschaftlichere Gefühle für ihn hegten, als sie sie je für den alten Mann, der ihnen hohen Lohn gezahlt, sie aber sonst wie Sklaven behandelt hatte, empfunden hatten. „Ich sehe es ein,“ sagte er nach kurzem Ueberlegen, „dass Sie nicht anders handeln konnten; es thut mir nur leid, dass Doktor Drysdale nicht eher daran dachte, an mich zu telegraphieren.“

      Dann erkundigte er sich nach der Krankheit seines Onkels, nach ihren Einzelheiten, und dann — da wir, was auch geschieht, essen müssen — setzte er sich an den Esstisch nieder und nahm sein Frühstück ein.

      Nachdem er es beendet hatte, begab er sich hinauf und blickte zum letztenmal in das ernste, ruhige Gesicht, das ihn nie so unfreundlich und schrecklich gedünkt hatte, als die meisten andern Menschen es stets fanden. Sein Onkel war nie sein Freund, nie sein Vertrauter gewesen; nie hatte Fred sich eines Liebeswortes oder einer Liebkosung von ihm zu erfreuen gehabt, aber trotzdem konnte und wollte der junge Mann es nicht vergessen, dass er alles,


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