Bibel, Blech und Gottvertrauen. Hildi Hari-Wäfler

Bibel, Blech und Gottvertrauen - Hildi Hari-Wäfler


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gerade besetzt war –, und natürlich etwas Platz im Kleiderschrank. Das alles änderte sich nach Ablauf weniger Monate. Zunächst konnte ich in ein Zweierzimmer ziehen, und später durfte ich sogar alleine in einem Zimmer im Dachstock wohnen. Das war schon fast Luxus und mutete paradiesisch an. Das Zimmer trug ja auch den Namen „Paradies“.

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      Mit Peter an Hildis 26. Geburtstag in der Offiziersschule.

       Schulbetrieb

      Unser Ausbildungsjahrgang trug den Sessionsnamen „Soldaten Jesu Christi“. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte fröhliche Schar von 28 jungen Leuten aus der ganzen Schweiz. Fast alle Berufsgattungen waren vertreten. Das erlaubte den Männern, im Laufe der Zeit im Garten eine Baracke zu erstellen und darin zu wohnen. So erhielten wir etwas mehr Platz im Haus. Was uns alle miteinander verband, war der tiefe Wunsch, aus Liebe zu Gott und den Menschen das eigene Leben einzusetzen, ohne groß über die Vor- und Nachteile nachzudenken, die für uns daraus entstehen könnten. Alle hatten wir das gleiche Ziel: Gott und den Menschen zu dienen. Wir waren ja freiwillig gekommen und nicht einem Aufgebot/ Einberufungsbefehl der Schweizer Armee zur Rekrutenschule gefolgt. Gerade hier in der Schule konnten wir bestens unter Beweis stellen, wie ernst es uns damit war. So gehörte etwa zu unserem Kurs ein Teilnehmer mit Frau und Kind. Er hatte sein Theologiestudium an der Universität abgeschlossen und fügte sich nun mit seiner Familie willig in den ganzen Ausbildungsbetrieb ein. Außerdem unterrichtete er uns im Fach „Kirchen- und Heilsarmeegeschichte“. So lernten wir viel über die Ursprünge dieser Bewegung, die sich selbst als „Armee“ bezeichnete.

      Es begann im Jahr 1865 in England mit dem Gründer William Booth und seiner Frau Catherine als „Christliche Mission Ost-London“, und wurde seit 1878 unter dem Namen „Heilsarmee“ weitergeführt. Die Anfangszeit war in England und auch später in der Schweiz von Verachtung und Verfolgung geprägt. Da konnte es schon mal faule Tomaten, Eier oder sogar Steine auf diese fürs Straßenbild ungewöhnlichen, uniformierten Gestalten regnen. In krassen Fällen landeten einzelne Anhänger dieser Armee sogar im Gefängnis. So unter anderem Catherine, die Tochter des Heilsarmeegründers. Sie hatte 1881 mit zwei jungen Kolleginnen in Paris „das Feuer“, die Arbeit in Frankreich, eröffnet und kam 1883 nach Genf. Nach heftigen Protesten und Anfangskämpfen wurde sie aus Genf verwiesen. So kam sie nach Neuenburg (Neuchâtel) und landete mit einem ihrer Mitarbeiter für zwölf Tage im Gefängnis. Nach einer Gerichtsverhandlung, in der sie sich selbst verteidigt hatte, wurde sie freigesprochen. Im Schloss Chillon am Genfersee wurde eine 21-jährige Schottin 100 Tage eingesperrt, weil sie auf öffentlichen Straßen Kinderstunden abgehalten hatte. Fast überall in der Schweiz kam es zu Verletzungen und Sachbeschädigungen.

      Nach altem Muster verbrachten wir unsere Zeit in Bern in einem streng geführten Internatsbetrieb. Jeder Morgen begann in der Frühe mit einem Appell, und Frauen und Männer wohnten getrennt. Oft mussten wir in Windeseile die langen Haare aufstecken, noch in letzter Minute einen Knopf schließen und einen Kragen zurechtrücken. Für einige von uns war es stets ein Kampf mit der Zeit. Wir atmeten jedes Mal erleichtert auf, wenn alle es geschafft hatten, sich ordentlich angezogen und gekämmt in die Reihe einzuordnen. Um zehn Uhr abends mussten die Lichter gelöscht werden und man durfte nicht mehr miteinander sprechen. Manchmal half eine Taschenlampe über brenzlige Situationen hinweg – dann etwa, wenn wegen Stau im Waschraum die Abendtoilette noch nicht ganz erledigt war und der Weg ins Zimmer und ins Bett gefunden werden musste. Wenn wir allerdings spät von einem Einsatz nach Hause kamen, was ab und zu geschah, galt eine andere Regelung. Glücklich, wer sich schon in frühen Jahren an eine gewisse Disziplin im Leben gewöhnt hatte und sie sich nicht erst jetzt aneignen musste. Frühaufsteher waren eindeutig im Vorteil. Schmerzlich war, dass schon nach relativ kurzer Zeit drei sehr junge Mitschüler „unsere Familie“ verließen: ein Ehepaar, das noch nicht lange verheiratet war, und eine Frau.

       Ein strammes Programm

      Der Tagesablauf war genau geregelt und gestaltete sich mit wenigen Ausnahmen in ungefähr dieser Reihenfolge:

6.40 Uhr: Appell
7.00 Uhr: Frühstück
7.45 Uhr: Hausarbeiten (Abwasch, Esszimmer aufräumen, Böden, Treppen, Etagen inklusive Waschräume und Toiletten reinigen, Tische aufstellen für Schulbetrieb, je nach Bedürfnis auch wieder zusammenklappen und verräumen. Räume lüften, Gemüse für das Mittagessen rüsten, spezielle Aufträge. Zwischendurch noch das Reinigen unserer Zimmer, für das wir selbst verantwortlich waren.)
8.30 Uhr: Persönliche stille Zeit mit der Bibel und Gebet
9.15 Uhr: Schulstunde (Der Unterricht umfasste: Bibelstudium, christliche Glaubenslehre, Kirchen- und Heilsarmeegeschichte, Predigtlehre und deren praktische Anwendung, Methoden der Heilsarmee, Organisation der Heilsarmee und Verwaltung.)
9.55 Uhr: Teepause
10.15 Uhr: Schulstunde
10.45 Uhr: Schulstunde
11.45 Uhr: Tisch decken, später servieren und abräumen
12.00 Uhr: Mittagessen. Anschließend Mittagspause für die einen, abräumen, abwaschen, abtrocknen und Geschirr verräumen für die diensthabenden Gruppen.
13.30 Uhr: Schulstunden oder Gestaltung des Nachmittags nach speziellem Plan
Das Abendprogramm konnte Singstunden beinhalten, persönliches Studium, ein Einsatz außer Haus oder Sonstiges.

      Wir wurden in alle Hausarbeiten – außer beim Kochen und Waschen – miteinbezogen. Hin und wieder hielten wir einen Gottesdienst im Freien ab, nahmen Kontakt mit den Zuhörern auf, sangen ab und zu in den Restaurants und beteiligten uns auch zwei Mal an den Sammlungen von Haus zu Haus. Wir machten auch während einer Woche ein Praktikum in einem der verschiedenen Sozialwerke, die zur Arbeit der Heilsarmee gehörten, sei es in einem Hilfsposten, einem Kinder-, Mädchen-Frauen- oder Männerheim. Im Vordergrund aber stand der Schulbetrieb mit seinen verschiedenen Unterrichtsfächern, inklusive Prüfungen und Bewertungen.

      Freie Zeit war eher rar und musste gelegentlich dringenden Anliegen geopfert werden. Für mich war sie besonders kostbar, weil ich sie mit Peter verbringen durfte. Dafür hatten meine Mitkadettinnen mehr Zeit, um Persönliches zu erledigen oder sich auch mal aufs Ohr zu legen. Tagsüber sahen Peter und ich uns meist nur von Weitem und wir grüßten uns dann stumm. Gespräche mit den Männerkadetten waren ohnehin nicht gestattet – es sei denn, es ging um berufliche Belange. Diese Regelung war nicht immer leicht zu verkraften, doch wussten Peter und ich, dass sich dies irgendwann ändern würde. Zu jener Zeit galten ja auch in staatlichen Institutionen und Lehranstalten


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