Bibel, Blech und Gottvertrauen. Hildi Hari-Wäfler

Bibel, Blech und Gottvertrauen - Hildi Hari-Wäfler


Скачать книгу
Hier hatte sie auch Tante Céline kennengelernt, ihre treue Freundin.

      In Cernier bewohnte ich allein eine fast leere Wohnung und hatte gerade mein Frühstück beendet. Die Maus in einer anderen Ecke der großen, geräumigen Küche war noch nicht ganz fertig damit. Da meldete sich Besuch an. Mein Chef aus Neuenburg wollte sich auf dem Vorbeiweg überzeugen, dass es mir gut ging. Bei mir war alles in Ordnung – außer dem unwillkommenen Gast am anderen Ende der großen Küche. Das sollte sich nun ändern. Der Oberst in seiner adretten Uniform mit Stehkragen, mit einem Besenstiel bewaffnet, und ich in der Hausfrauenmontur mit dem Wallholz (zum Auswallen des Wähenteiges) in der Hand, stürzten uns beide in den Kampf. Eine wilde Hetzjagd begann, doch wir waren zu langsam. Die verängstigte Maus sauste kreuz und quer durch die Küche und verschwand dann blitzartig in ihrem Schlupfloch. So hatte ich mich wenigstens schon ein wenig fit gemacht für den Tag, denn im Laufe der nächsten Stunden hatte ich viele Treppen zu steigen. Am anderen Morgen leistete mir die Maus wieder Gesellschaft beim Frühstück. Sie freute sich an ihrem Überleben und knabberte vergnügt an den Körnern, die ich ihr hingeworfen hatte, um wenigstens während des Essens meine Ruhe zu haben.

      Von St. Aubin aus hielten wir von Zeit zu Zeit Gottesdienste an einem Wochenabend in der Landkolonie in Fresens, einem weitläufigen Gutsbetrieb, der von der Heilsarmee geführt wurde und vorwiegend Männer mit Alkoholproblemen beherbergte. Dieser Betrieb wurde weit über dem Neuenburgersee bewirtschaftet. Meistens waren wir vorher zum Nachtessen mit dem Leiterehepaar und einigen Mitarbeitern eingeladen. Wir fragten uns manchmal, was wohl von den Gottesdiensten in den Herzen dieser Männer zurückbliebe? Sie schienen oft so teilnahmslos. Hie und da erreichte uns dann doch eine positive Reaktion – Freude an einem ermutigenden Wort, einem Gedicht, einem gesungenen Duett –, oder sie zeigten uns voller Stolz ihre geflochtenen Korbwaren oder sonstigen Handarbeiten oder die Tiere, die ihnen anvertraut waren. Beeindruckend waren die Felder mit der sprießenden Saat oder dem reifen Korn und all die verschiedenen Obstplantagen, die zum Betrieb gehörten und von den Männern bearbeitet und gepflegt wurden. Die Verantwortlichen brachten immer wieder eine große Portion Geduld auf. Vor allen Dingen brauchte es viel Liebe zu diesen von sich und dem Leben enttäuschten Männern und die Gewissheit, dass auch aus hoffnungslosesten Leben Neues entstehen kann.

      Gelegentlich teilten wir zwei Frauen uns auf für die Gottesdienste am Sonntagmorgen im Schulhaus in Fresens und im Saal in St. Aubin. So ganz alleine einen Gottesdienst in fremder Sprache zu bewältigen, stellte einige Ansprüche an mich. Einmal erhielt ich aber ein ermutigendes Echo. Eine Frau hatte sich überlegt, ob sie überhaupt zum Gottesdienst im Schulhaus gehen solle, als sie hörte, dass ich, die Deutschschweizerin, alleine in Fresens sein würde. Hinterher vertraute sie sich einer anderen Person an: „Ich habe es absolut nicht bereut und bin froh, dabei gewesen zu sein. Der Gottesdienst, vor allem die Predigt, haben mir viel gebracht.“ Es tat mir gut zu wissen, dass die Leute mein Französisch verstanden und von dem Wort Gottes berührt wurden, das ich weitergab. Ich denke, dass Gottes Heiliger Geist eine Brücke zu schlagen vermochte – auch über den „Röstigraben“ hinweg, wie wir die Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz gerne bezeichnen.

      Am Wochenende zogen wir immer wieder los, um in den Gasthäusern und Restaurants zu singen. In der deutschen Schweiz wünschten sich die Gäste als Zugabe meistens das Lied vom „Sonnenschein“, in der Romandie dagegen „blanc plus blanc que neige“ – weiß, ja weißer als Schnee. Dieses Lied handelte vom menschlichen, von Natur aus sündigen, von Gott entfernten Herz, das durch das Opfer Jesu und sein vergossenes Blut am Kreuz auf Golgatha reiner und weißer als Schnee wird bei jedem, der es begehrt. Immer und immer wieder wurde dieses Lied verlangt. Ob es an der Melodie lag oder an den Worten? Und ob sich die Zuhörer wirklich bewusst waren, wie wichtig diese Botschaft ist? Vor unseren Einsätzen beteten wir jedes Mal für alle, denen wir im Laufe des Abends begegnen würden. Gott allein konnte ihre Herzen berühren und ihnen wohltun. An diesen Abenden legten wir oft weite Strecken von einem Dorf zum anderen zu Fuß zurück, wenn spätabends kein Bus mehr fuhr. Über die Ebene von Bevaix bis St. Aubin wehte dann so manches Mal ein eisiger Wind.

      Dienst zu zweit

      Für mich war diese Zeit in St. Aubin wunderschön, vor allem, weil unser Hochzeitstag immer näher rückte. Meine Gedanken weilten sehr oft bei meinem Bräutigam. Wie hätte es anders sein können? Das lange Warten auf ihn wurde langsam zur Zerreißprobe. Vorher gab es allerdings noch einige Hürden zu nehmen. So wartete ich immer noch auf die Bewilligung zum Heiraten. Auch musste noch ein ärztliches Gutachten eingeholt werden. Und dann kam plötzlich vom Divisionshauptquartier in Neuenburg die schriftliche Aufforderung, ich solle meinen Dienstort wechseln. Dieser Marschbefehl erklärte weder, wohin es für mich gehen sollte, noch nahm er irgendwie Bezug auf meine persönliche Situation. Solch ein Marschbefehl war damals nichts Außergewöhnliches. Er konnte jederzeit eintreffen, und erst nach einer Woche wussten alle, die davon betroffen waren, wohin es eigentlich gehen würde. Meine Majorin jedoch reagierte energisch. Sie telefonierte mit ihrem Chef und stellte klar: „Ich gebe meine Leutnantin nur her, wenn es ums Heiraten geht, sonst nicht. Ich lasse es nicht zu, dass sie woanders eingesetzt wird.“ Und ihr Chef, Oberst Bordas, gab ihr Recht: „Da bin ich ganz einverstanden mit Ihnen, Majorin. Ist denn die Erlaubnis zur Heirat noch nicht eingetroffen? Ich dachte, das sei geregelt. Ich werde die Sache in die Hand nehmen.“ Von ihm veranlasst, kam nun Bewegung ins Hauptquartier in Bern. Im Handumdrehen hatte ich das erwartete Schreiben in Händen. Nun stand fest, dass der lang ersehnte Tag unserer Hochzeit der 24. November 1962 sein würde.

      Jetzt konnten Peter und ich uns konkret darauf einstellen. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass wir in den ersten drei Jahren nach unserem Dienstbeginn jeden Monat eine schriftliche Aufgabe zu erledigen hatten. Als Ehepaar würden wir uns diese Arbeit später aufteilen – mal der eine, mal der andere. Aber bis dahin musste ich mich noch alleine damit auseinandersetzen; zum Beispiel mit den Fragen der Juden in der Babylonischen Gefangenschaft. Von ihnen ist in der Bibel zu lesen, dass sie an den Flüssen Babylons – im heutigen Irak – saßen und vor lauter Heimweh weinten, wenn sie an ihre Heimat Jerusalem dachten. Ihre Harfen hatten sie in die Zweige der Pappeln gehängt, weil es ihnen absolut nicht zum Singen und Spielen zumute war (siehe Palm 137). Diese traurigen Themen mischten sich nun in meine hochzeitliche Stimmung. Wie sollte es mir gelingen, beides in Einklang zu bringen? Schlussendlich kam ich doch zum Ziel. Der Abschied von St. Aubin geschah mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wobei das lachende Auge überwog.

      Die Hochzeit

      Meine drei Wochen Brautferien verbrachte ich in Adelboden bei meiner Mutter. Dort konnte ich in aller Ruhe die Hochzeit vorbereiten. Eine lustig-ernste Episode kam noch dazwischen. Meine neue Uniform, die ich nur gerade an der Aussendungsfeier getragen und dann wieder sorgfältig eingepackt und beiseitegelegt hatte für meinen großen Tag, wies zwei, drei, kleine Löchlein am Ärmelansatz auf, die mit bloßem Auge kaum sichtbar waren. Zum Glück gab es eine begabte Kunststopferin, die den Schaden beheben konnte. Ihr Einkommen war stets auch ein wenig vom Werk der Motten abhängig. Das Glück unserer Ehe würde allerdings nicht von solchen Äußerlichkeiten abhängen. Es fiel Peter und mir nicht schwer, in der Heilsarmeeuniform zu heiraten. Sie war unser Ehrenkleid, und meine weiße Schärpe setzte einen besonderen Akzent.

      Peter war vor der Hochzeit schon seit einiger Zeit in „La Résidence“ in Lausanne tätig gewesen, einem Wohnheim für obdachlose Männer und ein Aufenthaltsort für Passanten und Asylbewerber. Peter hatte sich einmal spaßhaft geäußert, er würde in den ersten drei Jahren am liebsten alle sechs Monate den Arbeitsplatz wechseln, um an möglichst vielen Orten Einblick zu erhalten. Sein Wunsch schien sich tatsächlich zu erfüllen. Er hatte zuerst in der Offiziersschule den Sommer über nach dem Rechten gesehen und vertrat zu Beginn des neuen Kurses einen Offizier, der aus London erwartet wurde. Dann sprang er als Krankheitsvertretung im Heilsarmeekorps in Thun ein, stand als Verantwortlicher der kleinen Gemeinde in Bärau vor, kam von dort als Assistent in eine große Gemeinde in Bern und war inzwischen wieder „Lückenbüßer“ in Lausanne, wo das Leiterehepaar auch mit gesundheitlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Gehörte er wohl zu


Скачать книгу