Bibel, Blech und Gottvertrauen. Hildi Hari-Wäfler

Bibel, Blech und Gottvertrauen - Hildi Hari-Wäfler


Скачать книгу
der Hochzeit doch für einige Monate nach Lausanne folgen.

      In den letzten Tagen vor der Hochzeit tobte ein Föhnsturm durchs Tal und riss einige Hausdächer weg. Voller Dankbarkeit stellten wir fest, dass unser Dach den Naturgewalten widerstanden hatte.

      Dann brach ein wunderschöner Samstagmorgen an. Tags zuvor hatte es unaufhörlich geschneit und die ganze Natur in Weiß gehüllt. Nun strahlte die Sonne in der ganzen Kraft, die sie vier Wochen vor Weihnacht noch aufzubringen vermochte. So vieles war diesem Tag vorausgegangen und nun sollte das Warten auf meinen Bräutigam ein Ende haben, sollte die Liebe zur Erfüllung kommen. Ich war sicher, dass wir einander für immer angehören würden und nur der Tod uns würde trennen können. So fiel es mir dann auch nicht schwer, Peter vor versammelter Gemeinde im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal der Heilsarmee mein Ja-Wort zu geben. Unser ehemaliger Schulleiter Oberst Silfverberg und seine Gattin übernahmen die Trauung. Kinder streuten Blumen, sangen Lieder, sagten Gedichte auf, die Brassband gab ihr Bestes. Unverhofft platzte ein einstiger Postkollege von Peter mit Telegrammen mitten in die Veranstaltung und verlangte an Ort und Stelle eine Unterschrift von ihm. So war für Abwechslung gesorgt.

      Abends feierten wir ausgiebig mit rund 100 geladenen Gästen im Jugendhaus der Heilsarmee im Stiegelschwand. Mein Patenonkel hatte es sich nicht nehmen lassen, ein Kalb zu mästen und dieses nebst anderen Beilagen zum Menü beizusteuern. Die Köchin vom Hotel Hari im Schlegeli fand in der Zwischensaison Zeit, uns mit einem Festessen zu verwöhnen, und eine ehemalige Schulkollegin legte tüchtig Hand an in der Küche. Die hübsch dekorierten Tische mit selbstgebastelten Segelschiffchen als Tischkärtchen und Gestecken aus vielfarbigen Geranienblüten, die sorgfältig vor dem einsetzenden Frost gerettet und für diesen speziellen Anlass aufbewahrt wurden, gaben dem Ganzen ein festliches Gepräge. Alt und Jung wetteiferten bis in die frühen Morgenstunden, um mit selbst gestalteten, persönlichen Beiträgen zum Programm beizutragen. Der Vielfalt waren keine Grenzen gesetzt.

image

      Hochzeit am 24. November 1962.

      Die erste gemeinsame Résidence

      Als frisch vermähltes Paar fuhren wir am Dienstag darauf in unserem zweitürigen Kabinenroller, einer Vespa 400, nach Lausanne und zogen in „La Résidence“ ein. Peter hatte sich seit einigen Wochen in den Betrieb eingearbeitet. Ich betrat Neuland. Ein Jahr vor meiner Ankunft hatte der Umzug vom alten, baufälligen Schulhaus unter der Brücke, das als Männerheim diente, in den Neubau am Place du Vallon stattgefunden.

      Das Haus bot Platz für etwa 120 Personen. Da waren die zum Teil suchtgeschädigten Männer, hinzu kamen viele jüngere Spanier mit ihren Frauen. Es handelte sich um Migranten und auch Saisonarbeiter aus Spanien, die Arbeit in der Schweiz suchten. Einzelne waren in Ouchy am See von der Polizei aufgegriffen worden, als sie nachts von Frankreich her über den Genfersee gerudert waren. Die Polizei brachte sie dann zu uns. Die Ehepaare wurden in Zimmern untergebracht. Um die zwölf Frauen fanden eine Beschäftigung in unserem Hause und für ihre Ehepartner war es nicht allzu schwierig, Arbeit auf Baustellen in der Stadt und in der Umgebung zu finden. In unserem Selbstbedienungsrestaurant wurden jeden Abend um die 100 Nachtessen ausgeliefert. An den Wochenenden waren es je 130 Mittag- und Nachtessen. Der Küchenchef, der einst für Nobelhotels in der Karibik gekocht hatte, war nun froh, bei der Heilsarmee eine Anstellung gefunden zu haben. Sein verstecktes Problem war der Alkohol. So war da also eine recht gemischte Gesellschaft beieinander und es war die Aufgabe der Verantwortlichen, hier ein Gleichgewicht herzustellen. Es musste auf die Bedürfnisse der Alteingesessenen eingegangen werden und auch die Migranten wollten nicht vernachlässigt sein.

      Da die Arbeit im Haus ziemlich gut aufgeteilt war, musste ich meinen Platz finden, half bald hier, bald dort aus, hatte keine spezielle, mir zugeteilte Aufgabe, aber war nie arbeitslos. Für mich war es wichtig, einen Einblick in einen solchen Betrieb zu erhalten und diese Art Arbeit kennenzulernen – mitsamt der Probleme einzelner Personen. Regelmäßig fanden französisch-spanische Gottesdienste statt, die von Heilsarmee-Offizieren mit den jeweiligen Sprachkenntnissen durchgeführt wurden. Wir übten dazu passende Lieder ein, die wir mit ihnen zusammen vortrugen.

      Nach Neujahr kam für uns die Gelegenheit, unsere „Flittertage“ nachzuholen. Dazu fuhren wir hinauf nach Leysin in die Waadtländer Alpen und ließen den Nebel im Tal unter uns zurück, Dort mieteten wir uns Skier mit allem Zubehör, fuhren auf die Berneuse und genossen die Winterfreuden in vollen Zügen und bei herrlichstem Sonnenschein. Als wir später den Angestellten in Lausanne die Dias aus unseren Ferien zeigten, wollten sie uns kaum glauben, dass wir solch strahlendes Wetter erleben durften, während sie im dichten Nebel ihren Dienst versahen.

      Neben den vielen Eindrücken jener Monate in Lausanne blieb mir die Begegnung mit einem Frauenarzt in besonderer Erinnerung. Als ich ihn nach der Untersuchung bat, die Rechnung zu stellen, antwortete er nur kurz und knapp: „Non jamais! – Nein, auf keinen Fall!“ Er wollte nichts entgegennehmen und es folgte auch keine weitere Erklärung. Ohne noch eine Frage zu stellen, bedankte ich mich verwundert für sein Zuvorkommen. Dabei blieb es.

      Nach sechs Monaten kam unser Aufenthalt in der Romandie zum Abschluss. Wir wussten ja im Voraus, dass er begrenzt sein würde. Unser nächster Einsatzort würde im Berner Mittelland sein.

image

      Flittertage auf der Berneuse.

      Das Dorf ohne Kirche

      In Walliswil, einem kleinen Bauerndorf bei Wangen an der Aare, nisteten wir uns in unserer ersten gemeinsamen Wohnung ein und genossen die vertraute Zweisamkeit. Es gab keine Kirche im Dorf. Wir boten wöchentlich zwei Gottesdienste an, die Kinder des ganzen Dorfes kamen zur Sonntagsschule und viele Frauen besuchten die auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene wöchentliche Frauenstunde. Die Mitgliederzahl war nicht sehr groß, dafür waren die wenigen Leute sehr unternehmungslustig. Zu speziellen Feiern wie Erntedankfest und Weihnacht gehörten Aufführungen, die mit viel Begeisterung, Talent und auch Humor von Jung und Alt eingeübt und vorgetragen wurden.

      Ein wichtiger Teil unserer Arbeit war der Besuchsdienst bei Dorfbewohnern und Mitgliedern zu Hause. Auf diese Weise erhielten wir Einblick in persönliche Freuden und Leiden. Und manchmal waren es ganz einfache Dinge, die uns den Zugang zu den Menschen öffneten. So war es auch bei einer Trauerfamilie, bei der mir eine plötzliche Eingebung die Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung gab. Das einzige Kind dieser Familie, ein Mädchen, das bereits die Schule abgeschlossen hatte, besuchte unsere Jugendveranstaltungen. Zu Hause betreute sie ihre kranke Mutter. Ihr Vater war dem Religiösen, vielleicht auch einer Freikirche gegenüber eher kritisch, ja ablehnend eingestellt. Nun war die Mutter verstorben und ich hätte mich gerne auf irgendeine Weise nützlich erwiesen, vor allem aus Loyalität zu der jungen Halbwaise, mit der ich so gut mitfühlen konnte. Die Tochter aber wagte es wegen ihres Vaters nicht, meine Hilfe anzunehmen. Vielleicht befürchtete sie, dass sie selbst oder ich mit ihm in eine Auseinandersetzung geraten könnten. Zudem schienen alle Arbeiten im Haus bereits erledigt zu sein. Da fiel mein Blick auf die trüben Fenster in der Wohnung. Das Mädchen war neben der strengen Pflege der letzten Wochen unmöglich dazu gekommen die Fenster zu reinigen. Nun willigte sie dankbar ein. Als der Vater im Laufe meiner Putzarbeiten hereinkam, konnte ich sofort sein Wohlwollen mir gegenüber spüren. Wie dankbar war ich um des Mädchens willen für diese Wende.

      Samstagabends waren wir gewöhnlich unterwegs, um in den Restaurants zu singen. So auch am 22. November 1963. An diesem Abend waren wir im Balsthal und bis nach Welschenrohr unterwegs. Peter und ich wurden diesmal von einer älteren Kameradin aus Walliswil mit dem Namen Rösi begleitet. Sie wünschte sich ausdrücklich, ein uns bis dahin unbekanntes Lied zu singen, das sie speziell für diesen Abend ausgesucht hatte. Wir ließen uns darauf ein, auch wenn das Lied für unsere Ohren reichlich nostalgisch klang. Zunächst verlief der Abend so wie die vorausgegangenen. Meistens waren wir willkommen, erhielten auch gelegentlich Applaus und etwas zu trinken angeboten und kamen hier und dort ins


Скачать книгу