Elisabeth. Artur Hermann Landsberger

Elisabeth - Artur Hermann Landsberger


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ihr lieber versuchen, mich vor Rückfällen zu schützen. Wir leben in einer Zeit, in der man das Gefühl nicht Oberhand gewinnen lassen darf.“

      „Doch, Vater!“ mischte sich jetzt Erich in die Unterhaltung. „Du bist im Grunde deines Herzens Kommunist.“

      „Was bin ich?“ fragte Grothe entsetzt.

      „Du hast ein Herz für die Unterdrückten!“

      „Das haben wir alle!“ sagte Elisabeth. „Dazu braucht man kein Kommunist zu sein.“ Und Schäfer, bei dem im selben Augenblick das Herz verstummte und der Politiker erwachte, rief:

      „Nirgends ist die Menschheit geknechteter und unterdrückter als in Rußland!“

      „Wir wollen die Menschheit zum Guten erlösen,“ erwiderte Erich. „Wenn es nicht anders geht, dann eben durch Gewalt. Alle Menschen sind Brüder.“

      „Die Juden sind die Herren der Welt,“ erklärte Schäfer. „Ehe man sie nicht ins Ghetto gesperrt hat, kann es nicht besser werden.“

      „Wenn überhaupt jemand helfen kann, dann sind wir es!“ rief Iwan Schiff. „Den Juden verdankt Deutschland den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung.“

      „Und den Verlust des Krieges!“ erwiderte Schäfer.

      „O nein!“ widersprach Iwan Schiff. „Aber die Möglichkeit, daß es den Krieg überhaupt führen konnte.“

      „Ihr seid die Väter des Kapitalismus und habt damit alles Unglück über die Welt gebracht!“ schrie Schäfer.

      „Das ist nicht wahr!“ widersprach Schiff und rief: „Lesen Sie Spinoza!“ — Dabei bekannte er sich im stillen, daß er selbst nicht viel mehr von ihm wußte, als den Namen. Aber es klang so überzeugend, daß Schäfer zu einem Gegenhieb ausholte und rief:

      „Fällt mir gar nicht ein. Lesen Sie Treitschke!“

      Und als schließlich auch noch der alte Grothe, der aus irgendeinem Grunde oder auch ohne Grund Demokrat war, in den Streit eingriff, der immer heftiger und persönlicher wurde, trat Elisabeth vor und sagte mit zitternder Stimme:

      „Euer Vaterland, dessentwegen ihr euch so ereifert, während ihr es im Grunde eures Herzens alle gleich stark liebt, ist ein vom Haß der Feinde gequälter, an Leib und Seele gebrochener Kranker, der keinen Streit verträgt, sondern Pflege, Liebe und Ruhe braucht.“

      Sie öffnete die Flügeltür und sagte:

      „Kommt! Ich führe euch zu ihm.“

      Sie ging voraus — verständnislos folgten die andern.

      Sie ging durch ein paar Zimmer hindurch, bis zum Korridor, stieg eine Treppe hinauf, ging einen Flur entlang, öffnete eine Tür und trat in das Zimmer, in dem Reinhart lag.

      Schneeweiß, mit tiefen Furchen, verwelkt, abgemagert, lag er im Bett und sah aus toten Augen erstaunt Elisabeth und die andern an.

      „Was ist denn das?“ fragte Grothe entsetzt, und Elisabeth erwiderte:

      „Ein Mensch!“

      Nur Erich erkannte ihn und wandte sich ab.

      „Seht ihn euch an!“ — drängte Elisabeth, erzählte ihnen seinen Leidensweg und sagte: „Die deutsche Schmach und das deutsche Leid, da habt ihr beides! — Und nun reicht euch die Hände! — Kein Streit mehr! Erst sorgt gemeinsam für die Erstarkung und Gesundung! — Aber nicht, indem ihr euern Haß und eure Liebe laut hinausschreit — damit verderbt ihr alles — indem ihr sie im stillen pflegt — immer daran denkt! nie davon sprecht!“

      Reinhart, der — wie wohl auch die andern — nur fühlte, um was es ging, richtete sich mühsam auf und streckte den Arm aus. Und all diese Menschen, die sich eben noch befehdet hatten, traten zu ihm heran und gaben ihm schweigend die Hand.

      Dann führte Elisabeth sie wieder hinaus.

      Draußen sagte der alte Grothe:

      „Wir alle haben jetzt nur noch einen Gedanken. Was sonst uns trennt, es sei, was es wolle, verschwindet daneben. Und daher, lieber Schäfer, nehmen Sie mein Kind und machen Sie es glücklich.“

      Elisabeth strahlte, während die beiden sich in den Armen lagen.

      Viertes Kapitel

      So stark die Wirkung war, die von dem Leid Reinharts ausging, vertieft durch die Worte Elisabeths, die alles, was er erduldet hatte, nachlebte — der alte Grothe und Iwan Schiff waren doch zu oberflächliche Naturen, Edith und Erich zu unreif, als daß die Eindrücke länger als bis zu dem nächsten Erlebnis haften blieben.

      Politisch waren der Alte und der Schwiegersohn nie stark interessiert gewesen. Sie hatten Furcht vor den Kommunisten und waren in Zeiten drohenden Aufruhrs mehrmals in das besetzte Gebiet, zweimal sogar ins Ausland geflüchtet. Vor ihnen sollen unverbürgtem Gerüchte nach nicht unerhebliche Vermögenswerte ihren Weg von Berlin nach Holland gesucht und gefunden haben. Iwan Schiff war sogar an einer holländischen Bank beteiligt, die ihm, ohne das Gesetz zu verletzen, jede beliebige finanzielle Transaktion ermöglichte. Bei seinem stark ausgeprägten Familiensinn war es nur natürlich, daß er seinen Schwiegervater an diesem Privileg teilnehmen ließ.

      Geschäftlich also änderte der Fall Reinhart an den Gedankengängen und Entschlüssen Grothes und Iwan Schiffs zunächst nichts. Aber politisch bewirkte er doch, daß sie sich im engeren Kreise, in dem sie sich sicher fühlten und keine geschäftlichen Nachteile zu befürchten hatten, über die französischen Greuel und Gewaltakte entrüsteten.

      Auch Erich empörte sich; rein menschlich und ohne jedes politische oder sonstige Interesse. Aber es erschien ihm doch als der Ausfluß eines imperialistischen Systems, das man mit Aussicht auf Erfolg nur durch den Kommunismus bekämpfte. Daß Reinhart, wie es Elisabeth hinstellte, deutsche Schmach und deutsches Leid verkörpere, ließ er gelten. Erniedrigt, gequält, verschlagen, entkräftet, wehrlos gemacht und zum Frondienst gezwungen — angesichts dieser Schmach mußte Empörung gegen den verächtlichen Peiniger unmittelbarstes Gefühl sein. Und neben dem inneren Feind, gegen den sich bisher sein Haß gerichtet hatte, entstand und wuchs das Bild des äußeren Feindes.

      Edith fand es scheußlich und grauenhaft, und meinte, es seien Tiere und keine Menschen. Und ihre stille, in Berliner Modehäusern gezüchtete Sehnsucht, Paris zu sehen, wich einer scheuen Furcht, die selbst in deutschen Blättern laut gepriesene Modeschöpfungen nicht zu bannen vermochten. Was blieb, war der Reiz des Ungewöhnlichen. Denn diese sadistischen Menschenquäler waren sicherlich auch in der Liebe raffinierte Künstler.

      Aber neue Ereignisse geschäftlicher, politischer und gesellschaftlicher Natur verwischten schnell den Eindruck, von dem schließlich nicht viel mehr als ein ästhetisches Unbehagen zurückblieb. Es dauerte gar nicht lange, da war für den alten Grothe Reinhart nicht mehr das Wahrzeichen, an dem das deutsche Gewissen sich wacherhalten sollte, sondern der Erwählte seiner Tochter, für die er einen in jeder Beziehung anderen Mann in Aussicht hatte.

      „Liebe Elisabeth,“ sagte er eines Tages, „ich kenne dich und weiß, daß Reinharts Schicksal dich nur noch fester an ihn kettet. Aber ich habe als Vater die Pflicht, dich zu warnen.“

      „Ich weiß, daß du es gut meinst,“ erwiderte Elisabeth. „Und alles, was du mir vor Augen führen kannst, habe ich mir schon selbst gesagt. Möglich, daß Stunden kommen werden, in denen ich mich nach Kraft und blühendem Leben, kurzum an die Seite eines gesunden Mannes sehne. Aber gäbe ich solcher Sehnsucht wegen Reinhart auf — glaubst du, ich würde im Gedanken an ihn auch nur eine frohe Stunde haben?“

      „Die Zeiten ändern sich — man vergißt. Was man heute für unüberwindbar hält, ist in ein paar Jahren nur noch eine Erinnerung.“

      Elisabeth fühlte sich ihrem Vater, der ähnlich nie zu ihr gesprochen hatte, wohl näher als sonst.

      „Er ist doch mehr Mensch, als ich dachte,“ sagte sie sich. In ihrem Entschluß, Reinhart Treue zu halten, vermochte er sie dennoch nicht zu erschüttern.

      „Ich


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