Elisabeth. Artur Hermann Landsberger
werden Sie dem Herrn Generaldirektor schwer klarmachen können, daß es Wichtigeres gibt als Geschäfte.“
„Ich werde es ihm klarmachen!“
„Kaum! da er Ihnen keine Gelegenheit dazu gibt.“
„Das ist ja doch Wahnsinn! Ich — ich — ja, ich kann es Ihnen unmöglich sagen.“
„Sie wollen ihn anpumpen.“
„I Gott bewahre!“ brauste Schäfer auf und fiel aus der Rolle: „Ich will seine Tochter.“
„Na also! da hab’ ich doch recht.“
„Sie sind verrückt,“
„Wenn Sie sich so einführen, mein Herr, haben Sie wenig Chancen.“
„Also wollen Sie mich jetzt melden?“
Der Diener griente und sagte:
„Sie haben Nummer achtzehn.“
„Was soll das heißen?“
„Ja, meinen Sie, Sie sind der erste? Hier geht alles der Reihe nach. Gestern war Nummer siebzehn da der um die Hand unseres gnädigen Fräuleins anhielt. Ein sehr schmucker Assessor. Und da er auch sonst bewies, daß er ein Mann von Welt war“ — dabei machte er eine nicht mißzuverstehende Handbewegung — „und mir einen Braunen in die Hand drückte, so hab’ ich ihn um drei Nummern hinaufbefördert. Er rangiert jetzt als Nummer vierzehn. Hier herrscht Ordnung.“
Mit diesen Worten verschwand er und stand gleich darauf wieder im Frühstückszimmer des alten Grothe, der ungeduldig fragte:
„Na also — was will er?“
„Ihre Tochter!“
„Also ein Geschäft. Dacht’ ich’s mir doch.“
„Wenn ich mir dazu ein Wort erlauben dürfte ...“
„Selbstredend dürfen Sie. Sie sind vor dem Kriege fünfzehn Jahre lang in den ersten Häusern Diener gewesen, haben also mehr Blick für solche Dinge als unsereins.“
„Zuviel Ehre, Herr Generaldirektor.“
„Quatsch! Sie haben die Erfahrung, und dafür bezahle ich Sie. — Also wie, glauben Sie, würde sich Herr v. Schwalbach, bei dem Sie zuletzt waren, zu einem solchen Schwiegersohn stellen?“
„Ablehnend.“
„Grund?“
„Das läßt sich schwer sagen, man hat das im Gefühl.“
„Schlecht angezogen?“
„Erstens das. Der Cut ist mindestens drei Jahre alt und über drei Zentimeter zu kurz. Der Zylinder um mehr als eine Nuance zu sehr geschweift und dann — und dann —“ sagte er ganz empört.
„Was ist noch?“ fragte der Alte.
„Nein! der Mann ist schon rein äußerlich ganz unmöglich,“ erwiderte er lebhaft und überzeugt, „und ...“
„Ja, was ist denn?“
„Er trägt im Knopfloch das schwarz-weiße Band. — Bedenken Herr Generaldirektor, wo er doch damit rechnen muß, in diesem Hause mit Herren von der Entente zusammenzutreffen.“
„Das ist natürlich unmöglich — obschon, wenn ich mich nicht irre, auch die Herren Franzosen ihre Abzeichen tragen.“
Elisabeth war während dieser Worte ins Zimmer getreten.
Der Diener, der ihr den Rücken kehrte, erwiderte:
„Ja, die Franzosen! Herr Generaldirektor vergessen, daß sie die Sieger sind.“
Da lachte Elisabeth laut auf.
Der Diener erschrak und wandte sich zu ihr um.
„Die Franzosen die Sieger!“ wiederholte sie höhnisch. „Sie sind wie die Memmen geflohen und wären in sechs Wochen erledigt gewesen, wenn sie sich nicht wie Dirnen der ganzen Welt an den Hals geschmissen hätten.“
Der alte Diener nickte und Elisabeth fuhr fort:
„Als das Verhältnis zehn zu eins war, da konnten sie siegen! Aber auch da erst, nachdem sie uns völkerrechtswidrig ausgehungert hatten und ein übermüdeter, schlecht ausgerüsteter, verhungerter deutscher Soldat zehn ausgeruhten, satten, mit allen Hilfsmitteln ausgestatteten Gegnern gegenüberstand. Ein schöner Sieg das!“
„Das stimmt!“ sagte der Diener zaghaft. „Aber jetzt, wo sie uns mit Hilfe der andern alle Waffen abgenommen naben und wir uns nicht mehr wehren können, da sind sie uns doch über.“
„Memmen!“ wiederholte Elisabeth. „Ueber einen wehrlosen Körper, dem sie vorsichtshalber Arme und Beine ausgerissen haben, schreiten sie triumphierend hinweg, pflanzen sie ihr siegreiches Banner auf. Sobald der sterbende Körper aber auch nur ein Zucken von sich gibt, schreien sie wie hysterische Weiber um Hilfe und beraten mit ihren Freunden, wie sie das letzte Aufflackern eines Sterbenden bekämpfen können. Diese Helden würden nur lächerlich wirken, wenn nicht gerade wir die Opfer ihrer feigen und sadistischen Eitelkeit wären.“
„Aber Elisabeth!“ rief Frau Jenny, die mit ihrer Tochter und Erich von der offenen Veranda aus alles mit angehört hatte. „Seit wann kannst du, die du bisher die Sanftmut selbst warst, so hassen.“
„Es hat immer Sieger und Besiegte gegeben,“ sagte Grothe. „Damit muß man sich abfinden.“
„O nein!“ erwiderte Elisabeth. „Solche Sieger hat es, solange die Welt steht, nie gegeben, und wird es, da die Vernunft der Völker die Welt vor neuen Siegen der Franzosen behüten wird, auch nie wiedergeben.“
Frau Jenny war an Elisabeth herangetreten und legte den Arm um sie.
„So also hat Reinharts Rückkehr auf dich gewirkt!“ sagte sie sanft.
„Es war längst in mir,“ erwiderte sie. „Seit gestern aber weiß ich, daß es so nicht weitergeht.“
„Was kann man ändern?“ fragte Grothe.
„Ich weiß es nicht. — Aber es gibt etwas — es muß etwas geben! — Denn sonst ...“
„Was — wäre — sonst?“ fragte die Mutter.
„Sonst müßte man aufhören, an Gott zu glauben.“
„Kind!“ rief Frau Jenny und drückte sie an sich. —
In diesem Augenblick trat Iwan Schiff ins Zimmer.
„Du kommst mir sehr gelegen,“ sagte Grothe.
„Was geht denn vor?“ fragte Schiff und der Alte erwiderte:
„Allerlei!“
Der Diener, der noch immer auf Bescheid wartete, machte sich bemerkbar.
„Ach so!“ sagte der Alte. „Dann kommt’s darauf auch nicht mehr an. Herein mit ihm!“
Alle sahen zur Tür, durch die mit dem etwas zu kurzen Cut, dem um eine Nuance zu stark geschweiften Zylinder und dem Band des eisernen Kreuzes im Knopfloch, Paul Schäfer trat.
Iwan Schiff, der ihn nie gesehen hatte und daher den Grund seines Kommens nicht einmal ahnte, musterte ihn, schielte auf das schwarzweiße Band und dachte:
„Immer noch besser als ein Hakenkreuz.“
Lotte, die Jüngste, der der Besuch galt, errötete und sah zur Erde, stand aber so unglücklich zwischen Elisabeth und ihrer Mutter, daß ihr Wunsch, unbemerkt zu verschwinden, unmöglich war.
Erich und Schäfer bekämpften sich politisch und haßten sich, ohne daß sie voneinander mehr wußten, als daß der eine Kommunist und der andere deutschnational war. Dies schien dem einen so verächtlich, wie jenem das andre, und so hatten sie trotz mancher gesellschaftlichen Begegnung denn auch gar keinen Wert darauf gelegt, sich kennenzulernen.
Paul Schäfer