Elisabeth. Artur Hermann Landsberger

Elisabeth - Artur Hermann Landsberger


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ihm gute Nacht sagte und Frau Jenny ihn auf sein Zimmer brachte, daß diesem Traum am nächsten Morgen ein verzweifeltes Erwachen folgen werde.

      Frau Jenny war von dem Zusammenbruch Reinharts so erschüttert, daß sie für Elisabeth zunächst kein Wort des Trostes fand. Erst gegen Mitternacht ging sie zu ihrem Kinde, das, wie sie es erwartet hatte, noch auf war und vor dem Bilde Reinharts saß. Es war die letzte Photographie, bevor er ins Feld ging. Ein Bild blühender Kraft und Jugend.

      „Du mußt das nicht tun,“ sagte Frau Jenny und legte den Arm um ihr Kind. „Wenn du ihn lieb hast ...“

      „Mutter!“ fiel sie ihr ins Wort und wandte den Kopf.

      „Ich weiß! ich weiß!“ erwiderte die. „Und eben darum, Kind, mußt du vergessen, wie er aussah. Nur wenn du es überwindest, kann er überwinden.“

      Elisabeth begriff.

      „Es ist ja nicht meinetwegen, Mutter!“ sagte sie. „Ich werde ihn, wenn das möglich ist, nun noch lieber haben. Aber, wie er so weiterleben soll, das weiß ich nicht. — Wenn ich doch von heut auf morgen zwanzig Jahre älter werden könnte!“

      „Du brächtest es fertig und tätest es!“

      „Ich würde Gott auf Knien dafür danken.“

      „Nein, mein Kind, das entgegengesetzte Verfahren ist das natürliche. Reinhart wird wieder jung werden.“

      „Mutter! wenn das wäre!“

      „Es wird sein! — Aus einem Fünfzigjährigen kann man keinen Jüngling machen. Man kann ihm die Haare färben und ihn in die Kleider eines jungen Mannes stecken — er wird darum nicht um einen Tag jünger. Aber ein Mensch von sechsundzwanzig, der überwindet, erholt sich und vergißt — zumal, wenn die Liebe seinen Willen stärkt.“

      „Das glaubst du wirklich?“ fragte Elisabeth.

      „Ich bin davon überzeugt. — Und was für Reinhart gilt, das gilt für alle, denen es geht wie ihm. Es sind Tausende, Hunderttausende! Es ist das ganze deutsche Volk, das krank ist an Körper und Seele. So nur darfst du beurteilen, was dich so bedrückt und was du siehst — nicht nur hier im Hause — überall ist’s so und noch schlimmer. Ein kranker Körper, der gesunden wird, wenn nur ein paar Hundert Menschen den Willen und die Kraft haben, zu heilen und zu helfen. Jeder muß mitwirken für sein Teil! Jeder muß, was er tut, für’s Ganze tun! Reinhart ist, wie jeder andere, nur ein Teil des Ganzen. Der Eine hat, wie er, mehr seelisch und körperlich gelitten; andere wieder, wie Ediths Mann, moralisch. Pflicht derer, die gesund geblieben sind, wie du und ich, ist es, zu heilen.“

      „Du hast recht, Mutter! Und gerade wir Frauen können da helfen.“

      „Vielleicht! — vielleicht auch nicht!“ fügte sie resigniert hinzu. „Bei deinem Vater ist es mir bisher nicht gelungen.“

      Draußen ging die Tür.

      „Sie kommen!“ sagte Elisabeth.

      Frau Jenny schüttelte ungläubig den Kopf, sah nach der Uhr und sagte:

      „Um zwei Uhr? Das wäre seit Monaten das erstemal, daß Papa so früh nach Hause kommt.“

      Es war Erich, der mit Mantel und Hut erregt ins Zimmer stürzte. Noch in der Tür rief er:

      „Gut, daß du noch auf bist, Elisabeth! Ich muß dich sprechen.“

      „Mitten in der Nacht?“ fragte Frau Jenny. „Wo sind die andern?“ Und besorgt fügte sie hinzu: „Es ist doch nichts passiert?“

      „Die baden in Sekt,“ erwiderte Erich. „Als ich fortging, stieg eine Filmdiva in dem soeben errungenen Schönheitspreis, einem Seal im Werte von hunderttausend Mark, auf den Tisch und hielt eine Rede: ‚Kinder!‘ sagte sie, ‚ihr habt, indem ihr mir den Schönheitspreis — übrigens mein elfter Pelz! — gabt, entschieden Geschmack entwickelt. Mein Freund‘ — und neben ihr stand ein dickbäuchiger Börsianer mit taubeneigroßen Perlen im Frackhemd — ‚ehrt euern Geschmack, indem er für jeden Tisch eine Flasche Sekt spendet.‘ — Beifallsbrüllen und Getrampel war die Antwort. — ‚Deutschen oder französischen?‘ schrie grell die Stimme eines Mannes, die mir bekannt schien. Unter Pusten ließ sich der dicke Börsianer auf den Tisch heben, legte den Arm um die Diva und sagte: ‚Sieht die Frau nach deutschem Sekt aus?‘ — Dabei wies er auf die Stelle, wo die Diva zufälligerweise etwas anhatte, wies auf den Kopfschmuck, die Schuhe und Strümpfe, hob den kurzen Rock, so daß man ihr spitzenbesätes Seidenhöschen sah, und sagte: ‚Vom Kopf bis zum Zeh, alles, was Sie sehen und was Sie nicht sehen, stammt aus Paris!‘ — ‚Eine Schande!‘ rief irgendwer, wurde einem Sipo übergeben und flog an die Luft. Der dicke Börsianer aber lachte laut, hielt sich den dicken Bauch und rief: ‚Vergebt ihm, denn er weiß nicht, was er tut — er spekuliert vermutlich in Mark!‘ — Ein höllisches, höhnisches Gelächter war die Antwort. Auf dem Nebentisch stand plötzlich ein breiter Amerikaner, der wie eine Bulldogge aussah, griente und die Zähne zeigte. ‚Ruhe!‘ schrie man, und der Amerikaner brüllte: ‚Meine lieben Germans. Ich will wechseln eine Pfund und noch eine Pfund und will davon bezahlen alles, was ihr tut trinken bisher und was ihr trinken hinterher.‘ — Man jubelte ihm zu. Und tausend Stimmen schrien: ‚Es lebe der Dollar!‘ Vater ließ den Amerikaner hochleben.“

      „Schändlich!“ schalt Elisabeth, und Frau Jenny schloß die Augen und sagte:

      „Schamlos!“

      Erich aber, der einen roten Kopf hatte und noch immer im Mantel stand, fuhr fort:

      „Die Kapelle spielte irgendeinen blöden Niggersong, die blöde Gesellschaft hielt es für die amerikanische Nationalhymne, sprang auf und sang mit Hingabe und Begeisterung die Melodie mit.“

      „Und der Amerikaner?“ fragte Frau Jenny.

      „Der tanzte plötzlich auf dem Tisch den Niggertanz, wurde auf die Schultern gehoben und unter Jubel durch den Saal getragen.“

      „Dem Volk ist nicht zu helfen,“ sagte Elisabeth. Frau Jenny widersprach:

      „Es ist nicht das Volk! Es ist minderwertiges Gesindel von Schiebern und Spekulanten, die auf solche Feste gehen und sich so aufführen.“

      „Es ist die neue Gesellschaft!“ erwiderte Elisabeth, „die nach Zehntausenden zählt.“

      „Aber es gibt auch Tausende, die das anekelt, wie es uns anekelt, die wie wir fühlen, daß Deutschland ein Trauerhaus ist, in dem man nicht tanzt, solange noch ein belgischer oder französischer Soldat als Polizist im Lande steht.“

      Erich zuckte die Achseln und sagte:

      „Als wenn es das wäre!“

      „Was ist es denn?“ fragte Frau Jenny.

      „Das Kapital!“ erwiderte der.

      „Was hat denn das damit zu tun?“

      „Es ist schuld an allem!“

      „Seit wann sprichst du so?“ fragte Elisabeth.

      Erich erschrak und verbesserte schnell:

      „Das war nur so dahingesagt.“

      „Aber, wenn du das Gefühl dafür nicht hast,“ erwiderte Elisabeth, „warum bist du dann so erregt davongelaufen?“

      Erich sah seine Mutter an und sagte:

      „Nimmst du es übel, Mama, wenn ich mit Elisabeth allein ...“

      Frau Jenny lächelte und sagte:

      „Durchaus nicht! Du bist bei ihr genau so gut aufgehoben wie bei mir. Und ich wäre sehr froh, wenn du dich ihr in allem anvertrautest.“ Sie sagte ihren Kindern gute Nacht und ging.

      Erich, knapp zwanzig, aber wichtig, als habe er ein Ministerportefeuille zu verwalten, stellte sich vor Elisabeth, deren Gedanken während des ganzen Gespräches bei Reinhart gewesen waren, hin und sagte:

      „Du wirst staunen.“

      „Nanu?“


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