Elisabeth. Artur Hermann Landsberger

Elisabeth - Artur Hermann Landsberger


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      „Na also, wozu erregst du dich dann?“

      „Weil ich euch fürchte!“

      „Wen?“

      „Dich und deinen Schwiegersohn.“

      „Na da hört’s auf!“ rief Iwan Schiff.

      „Er ist dein Schwiegersohn so gut wie meiner!

      „Das denke ich doch auch, Mama!“ sagte Edith. Aber Frau Jenny widersprach:

      „Du bist ein Jahr lang von mir fortgewesen, mein Kind. Es war das wichtigste Jahr in deiner Entwicklung!“ Sie legte den Arm um Edith. „Ich will dir nicht wehtun, Kind, aber du fühlst es ja selbst, daß du anders bist als deine Schwestern.“

      Sie wandte sich wieder an ihren Mann, wies auf Elisabeth und Lotte und sagte: „An die aber kommt ihr mir nicht heran! Die schütze ich! Darum dieser Auftritt! Weil ich sehe, daß ihr versucht, sie zu euch hinüberzuziehen.“

      „Schätzt du uns so ein, Mama?“ fragte Elisabeth.

      „Na, da wollen wir doch gleich mal die Probe aufs Exempel machen,“ erwiderte der alte Grothe, griff in die Tasche und zog eine handvoll Theaterkarten hervor: „Hier habe ich für heute abend die beste Loge für den Filmball im Marmorhaus. Kostenpunkt fünftausend Mark.“

      „Dafür kann man fünfzehn unterernährte Kinder sechs Wochen lang aufs Land schicken,“ sagte Elisabeth.

      „Oder fünfundzwanzig Flaschen französischen Champagner trinken,“ erwiderte Iwan Schiff.

      „Diese beiden Antworten beleuchten mit einem Schlage die beiden heut’ herrschenden Weltanschauungen“, sagte Frau Jenny, „und zeigen, daß es zwischen euch“ — dabei wies sie auf Iwan Schiff und ihren Mann — „und uns“ — dabei stellte sie sich wie zum Schutz vor Elisabeth und Lotte — „keine Verständigung gibt.“

      „Es gibt eine Verständigung zwischen Menschen, die zusammengehören,“ widersprach Elisabeth ihrer Mutter, — „gleichviel ob es sich um Mann und Frau, um eine ganze Familie oder gar um eine Nation handelt.“

      „Glaubst du wirklich?“ fragte Frau Jenny, und Elisabeth erwiderte:

      „Ich habe den festen Glauben!“

      „Wenn du den Glauben hast,“ sagte die Mutter — „ich habe ihn längst nicht mehr — dann versuche du es!“

      „Ich will es tun, Mama!“

      Der alte Grothe und Iwan Schiff sahen sich an, Iwan schüttelte den Kopf, aber der Alte, der noch immer die Billette in der Hand hielt, trat an Elisabeth heran und sagte:

      „Dann gehen wir also?“

      „Wohin?“ fragte Elisabeth.

      „Auf den Filmball. Alles was auf sich hält, ist da.“

      „Was auf sich hält?“ fragte Elisabeth.

      „Nun ja,“ erwiderte der Alte. „Man muß sehen und gesehen werden. Was hat man denn sonst von seinem Gelde?“

      „Oh!“ erwiderte Elisabeth. „Man kann viel von seinem Gelde haben — auch ohne Filmball ...“

      Iwan Schiff wurde ungeduldig und rief:

      „Also wer kommt mit?“

      Edith sah Elisabeth an und fragte:

      „Was meinst du?“

      „Das kannst nur du entscheiden,“ erwiderte die.

      „Du gehörst zu deinem Mann!“ entschied der Alte — und Edith tat, wozu es sie trieb. Sie ging zu Iwan Schiff und sagte halblaut:

      „Ich.“

      „Und du, Erich?“ fragte der Alte.

      Erich liebte Elisabeth und es fiel ihm schwer, ihr wehzutun. Aber er stand unter dem Einfluß Wilhelm Fürsts, mit dem er täglich stundenlang in einem Café am Tisch der Intellektuellen saß. Er schwor, wie jene — deren einzige Beschäftigung diese Kampfstunden waren —, auf den Kommunismus und tat blind alles, was ihr Führer Wilhelm Fürst von ihm verlangte. Und das war bisher nur eigentlich: Geld. Und so hatte er sich daran gewöhnt, bei jeder Entscheidung, vor die er gestellt wurde, sich die Frage vorzulegen: „Kann ich dabei Geld verdienen?“

      Sehr zu seinem Verdruß hatte er dabei die Beobachtung gemacht, daß er, der begeisterte Kommunist, auf diese Weise stets mit seinem Vater, dem ebenso begeisterten Kapitalisten, seinem Todfeinde, zusammenstimmte. Auch jetzt, als er auf die Aufforderung, mit zum Filmball zu kommen, erwiderte:

      „Ich komme mit, aber ich trinke keinen Sekt und verlange die zweihundert Mark, die ich nicht vertrinke, in bar —“

      klatschte der Alte in die Hände und rief:

      „Bravo! mein Junge! Wir beide verstehen uns!“

      Elisabeth, die an ihrem Bruder hing, zuckte zusammen, und Erich, der es sah, war verlegen und senkte den Kopf.

      „Na, und du, Lotte?“ fragte der Alte.

      Die sah ihn groß an, schüttelte den Kopf und schmiegte sich an Elisabeth. Frau Jenny legte den Arm um sie.

      Wie feindliche Parteien standen sie sich gegenüber.

      Am Abend desselben Tages kehrte der Rittmeister Reinhart v. Loos, beinahe eine Woche früher, als Elisabeth ihn erwartet hatte, aus Frankreich zurück.

      Seit sieben Jahren — Elisabeth war damals sechzehn, der von Kraft strotzende, übermütige und tollkühne Offizier zweiundzwanzig Jahre alt — hatten sie sich nicht gesehen. Aber seit sieben Jahren verging kein Tag und keine Nacht, in der Reinhart nicht im Geiste vor ihr stand. Er nahm an allem teil, was sie erlebte. Sie sprach oft laut mit ihm, als wenn er vor ihr stände, und besprach mit ihm alles, was sie betraf, wobei es nicht selten geschah, daß er anders dachte als sie und trotz ihrer Widerrede bei seiner Entscheidung blieb. So intensiv lebte sie mit ihm, daß sie ihn auch körperlich empfand; und so sehr fühlte sie sich in ihn hinein, daß sie ohne Selbsttäuschung überall erkannte, wie er urteilen würde. Und während sie, wäre er dagewesen, ihren Willen ihm gegenüber behauptet hätte, so gab sie ihm nun, wo er fern war, regelmäßig nach — aus Mitleid vielleicht, denn sie wußte, ohne daß sie Nachricht von ihm hatte, daß er litt — vielleicht aber auch aus dem unsicheren Gefühl heraus, daß er am Ende doch noch Argumente hatte, die sie nicht sah und die sie überzeugt hätten.

      Nun, da sie mit zitternden Händen das Telegramm aus Basel hielt, in dem stand:

      „Ich komme, Elisabeth. Wie werde ich Dich finden? Ich bin so müde und daher ohne Mut. Aber meine Sehnsucht ist so groß, daß ich an Deine Hilfe glaube. Dein reines Herz —“

      schloß sie die Augen und wiederholte ein um das andere Mal: „Dein reines Herz.“ So hatte sie ihn genannt, so nannte sie ihn noch heut. „Reinhart, mein reines Herz!“ — Sieben Jahre waren ausgelöscht in dieser Stunde — waren weggewischt mit allen ihren Schmerzen. — Ihre Herzen waren rein geblieben und trafen nun, unberührt von allem äußeren und inneren Geschehen, so zusammen, wie sie sich damals, dem Scheine nach, gelöst hatten.

      Sie sah noch einmal auf das Telegramm und las:

      „Wie werde ich Dich finden?“

      Da lächelte sie freudig bewegt.

      „So wie du mich verlassen hast,“ sagte sie laut. Und sie las weiter:

      „Ich bin so müde und daher ohne Mut. Aber meine Sehnsucht ist so groß, daß ich an Deine Hilfe glaube.“

      Elisabeth starrte auf das Blatt.

      „Er ist krank — vor Sehnsucht krank,“ sagte sie vor sich hin — „und ich soll ihm helfen.“ — Und dann schrie sie plötzlich ganz laut, als wenn ein Schmerz sie emporriß: „Reinhart, mein Herz!! Ich komme!!“

      Aufs Ungewisse lief sie zur Bahn, holte aus einem Laden weiße Rosen, die


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