Elisabeth. Artur Hermann Landsberger

Elisabeth - Artur Hermann Landsberger


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unter einer Haube, an der eine Art Rattenschwanz herabhing, glotzten ein Paar scharfe, leuchtende Augen hervor. Und ein Mund, dessen Zähne in einem Glas Wasser auf dem Nachttisch standen, tat sich auf, der in Form und Umfang an einen Frosch erinnerte.

      „Die Handgranaten liegen noch unter der Matratze. Ich habe mir schon den Rücken wundgelegen. Gott sei Dank, daß es endlich losgeht und ich die verfluchten Dinger loswerde. Jede Nacht träume ich, ich gehe in die Luft.“

      „Reden Sie nicht so viel, Minna! handeln Sie! Die Sache duldet keinen Aufschub. Die Bourgeoisie erhebt ihr Haupt immer frecher.“

      „Bande!“ rief die Köchin und ballte die Faust. „Wird das also heute die Bartholomäusnacht, von der Sie mir erzählt haben?“

      „Noch nicht! aber bald!“

      Minna war enttäuscht. Erich war ins Zimmer getreten und hatte ihre Hand ergriffen.

      „Stehen Sie noch zu uns?“ fragte er ernst.

      „Aber feste!“ erwiderte sie. „Wo mir doch die Jnädige die Jehaltserhöhung verweigert hat.“

      „Da haben Sie’s! Ausbeutung bis aufs Blut. — Also, Minna, ich brauche tausend Mark.“

      „Ta .. ta .. tausend .. Mark — Herr Erich —?“ und sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht — „träume ich?“

      „Ich muß sie haben, die gute Sache verlangt’s.“

      Minna, deren Füße in irgend etwas steckten, was früher einmal Stiefel des Herrn Generaldirektor Grothe waren, schlüpfte zu einer Kommode, zog unter ihrer Haube einen Schlüssel hervor, schloß auf, warf sämtliche Wäsche heraus und hob eine alte Tasche auf, in der sie ihre Ersparnisse aufbewahrte. Hastig zählte sie:

      „Eins, zwei, drei, vier, fünf, fünfzig, siebzig, achtzig, fünf, sechs, sieben — fünfhundertsiebenundachtzig Mark — das ist alles, was ich habe.“

      „Geben Sie her, Minna!“

      Sie überlegte nicht lange und gab ihm das Geld. Dabei sagte sie:

      „Aber es bleibt dabei, was mir Herr Fürst versprochen hat?“

      „Was?“ fragte Erich.

      „Daß ich bei die Sowjets dem Ernährungskommissar beigegeben werde.“

      „Hat Fürst Ihnen das zugesagt?“

      „Auf mein Wort! wörtlich so hat er’s jesagt. Ich hab’s mir schwarz auf weiß notiert.“

      „Dann stimmt es.“

      Er nahm das Geld und eilte hinaus, während Minna fein säuberlich ihre Wäsche wieder in die Kommode legte. Dabei schmunzelte sie und dachte an die Männer, die ihr in ihrer Lebens-Maienzeit die Ehe versprochen, sie dann aber genau so hatten sitzen lassen, wie alle Späteren, die sie mehr ihrer Kochkunst als ihrer körperlichen Reize wegen begehrt hatten. — Sie alle sollten, war sie in Sowjetdeutschland erst die rechte Hand des Ernährungskommissars, vor ihr auf den Knien rutschen und um ein Stück Brot betteln.

      Erich stürzte in das Auto, das er vor der Tür hatte warten lassen, und fuhr zum Filmball, wo er Fürst mit den beiden aufgetakelten Damen bereits in der Garderobe antraf. Er schob ihm diskret das Geld in die Hand und sagte:

      „Mehr konnte ich nicht auftreiben,“ worauf Fürst erwiderte:

      „Schäm dich! — Wenn ich nicht den Baron von Bleichwanger angezapft hätte, wäre die Nacht für mich zu Ende.“ — Dabei sah er nach der Uhr und stellte fest, daß es kurz nach halb drei war.

      „Gehört denn Baron Bleichwanger auch zu uns?“ fragte Erich erstaunt. „Dieser Protz und Millionär?“

      Fürst legte den Finger auf den Mund und sagte:

      „Ja! — Wenn vermutlich auch nicht aus Sympathie.“

      „Warum sonst?“

      „Aus Furcht!“

      „Feigling! Das sollte man nicht zugeben.“

      „Jede Revolution kostet Geld; und ob sie glückt, ist letzten Endes eine Frage der Finanzierung.“

      „Der Finanzierung?“ fragte Erich erstaunt. Fürst, der unter dem Einfluß des Alkohols stand, sich daher vergaß und mehr aus sich herausging als sonst, lachte.

      „Nun ja! sie ist ein Geschäft wie jedes andre. Einen Menschen wie Bleichwanger macht man mit Sekt besoffen, die Massen mit Phrasen — beides kostet Geld. Für nichts ist der Tod. Und die Provokateure, durch die wir die Massen aufhetzen, werden alle Tage unverschämter.“

      Erich faßte sich an den Kopf, und Fürst fuhr fort:

      „Sie haben zwei Walzen, die sie im Schlafe herunterspielen, und wenn man sie schlecht bezahlt, so gehen sie einfach zur Konkurrenz.“

      „Zur Konkurrenz? Wer ist das?“

      „Die Deutschnationalen! Sie setzen an die Stelle des Wortes Kapital das Wort Juden und halten im übrigen genau dieselben Reden. Auf die Massen wirkt eins so stark wie das andre. — Wer am besten bezahlt, hat sie.“

      „Du weißt nicht, was du sprichst!“ rief Erich. „Du bist betrunken!“

      Fürst, dem sich die beiden Frauen rechts und links an den Arm gehängt hatten, lachte und sagte:

      „Möglich! denn, wenn ich nicht be — trunken wäre — dann — dann — wäre ich — nüchtern.“

      „Schäm dich!“ schalt Erich.

      „Du — du — weißt — nicht — was — du — sprichst — ohne Disziplin — verstehst du — ohne Geld — und ohne — Sekt — da ist das Le — ben — eine — Hühnerbrust.“

      „Hühnerleiter!“ verbesserte kichernd eins der beiden Weiber, und die andre sagte:

      „Willy, du bist himmlisch!“

      „Man — muß nur einen — klaren Kopf — haben,“ erwiderte Fürst, fühlte, wenn auch nur im Unterbewußtsein, daß er sich vor Erich blamiert hatte, suchte die Situation zu retten, schwenkte den stumpfen Zylinder und rief laut:

      „Es lebe die Internationale!“

      Im selben Augenblick hatte er von einem Herrn eine kräftige Ohrfeige — irgendein anderer schlug ihn mit einem Stock über den Kopf — ein Dritter wieder nahm für ihn Partei und rief:

      „Meine Herren! Sie befinden sich auf dem Filmball und nicht in der Berliner Stadtverordnetenversammlung!“

      „Maul halten!“ rief ein Hüne. „Schlagt den Juden tot!“

      „Unerhört!“ knirschte eine Kokotte: „Sie wollen ein feiner Herr sein!“

      „Wir sind alle Juden,“ brüllte der dicke Herr mit den großen Perlen. „Verstanden?“ und wies in den Saal, aus dem jetzt alle auf den Flur strömten — und ihm recht gaben.

      „Wer hat hier Jude geschimpft?“ schrien die Weiber, und der dicke Herr, im Schutz der Amazonen, schob seinen Bauch dichter an den Hünen heran und brüllte:

      „Frecher Lümmel!“

      Da schrie irgendwer:

      „Schieber!“

      Im selben Augenblick löste sich das Knäuel von Menschen; sie ließen ihre Frauen und das volle Sektglas im Stich, stürmten zur Garderobe und stürzten hinaus.

      Im Hintergrunde erschien ein Sipo.

      Der Saal war leer.

      Einsam thronte der Amerikaner mit seiner Miß und ließ sich den Tisch näher an die Kapelle rücken.

      „Eine sonderbare Mensch diese Germans,“ sagte er zu dem Ober. „Uenn ich in Amerika uill wo allein sein mit meine Frau, ich schreien laut: ‚Feuer!‘ und alles stürzen hinaus. In Germany ich schreien ‚Schiber!‘ und


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