Naus zum Glubb. Roland Winterstein

Naus zum Glubb - Roland Winterstein


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„Club erleidet Debakel“. Und Debakel ist ein wirklich lausiges Wort. Das genaue Resultat wollte ich dann gar nicht mehr wissen, und das Mobilgerät landete in einer düsteren Schlucht des dortigen Nationalparks. Denn meine Sonne schien an den Tagen des Sieges oder wichtigen Unentschieden immer ein wenig heller. Bei den (leider in der Mehrzahl) erlittenen Niederlagen saß der schmerzende Stachel im Herzen so schrecklich tief – egal in welcher Liga es auch geschah oder welcher Gegner uns mal wieder gnadenlos auskonterte. Die Trauer floss wie aus einer Quelle in Strömen über die geschundene Clubseele.

      Woher rührte diese Leidenschaft? Wie hatte ich mich so in den Club verliebt? Diese Frage stellt man sich erst viel, viel später – wenn man seinen Charakter gefestigt hat oder zumindest glaubt, reifer zu sein. Als kleiner Junge zählen nur Trikots, Tore und Siege! Vergessen wir in meinem Fall die oftmals erzählte Mär mit dem Vater und der Dauerkarte, die an den Stammhalter vererbt wird. Bei uns wurde lieber in einen neuen Rasenmäher für das spärliche Grün vor dem Haus investiert. Aus dem Franken-Center gab es ein Bonanzarad anstelle einer Jahreskarte – zu allem Überfluss auch noch in strahlendem Hellblau. Löwenfarbe! Pfff.

      Was mich bis heute beinahe zärtlich an diesen Verein bindet, ist wohl jene Normalität, diese tief verankerte „clubberische“ Hingabe, so ein wohlig warmes Gefühl, das über der ganzen Stadt und der Region schwebt und immer irgendwie da ist, sich nie endgültig verflüchtigt. Auch nicht bei Niederlagen in Serie oder dem obligatorischen Chaos in der kaufmännischen Bilanz. Man atmet diese nicht zu greifenden rot-schwarzen Schwaden ein und wird ein kleiner Teil vom großen Ganzen dieser enorm großen und doch so unterschiedlichen Clubfamilie, die bei genauerer Betrachtung überhaupt keine Familie ist, sondern ein wild zusammengewürfelter Haufen leidenschaftlicher Menschen, eine wuchtige Masse, eine Bastion an Zusammenhalt, auch mal nur ein loser Zusammenschluss stimmgewaltiger Streitkräfte, dann plötzlich ein immens fester rot-schwarzer Bund fürs Leben und letztendlich doch wieder so was wie eine schrecklich schöne Familie. Und wollte ich diese verrückte Gemeinschaft ganz pathetisch ausdrücken, klänge das wohl so: die Clubberer – ein unfassbares Wunder!

      „EGAL WO DU STEHST,

      WIR STEHEN HINTER DIR!“

      Umrahmt war der Schriftzug von einem überdimensionalen, leicht schiefen Herzen, dem in der rechten Kammer die rote Farbe etwas ausging und deshalb mit gelber Kreide nachgemalt wurde. Dieser Satz ist mir seit Kindheitstagen im Gedächtnis haften geblieben und hat meine Einstellung zum 1. FC Nürnberg nachhaltig geprägt. Der Spruch stand auf einer dicken Mauer des Stadions und war mir sofort ins Auge gefallen. Ich radelte damals mit meinem Bonanzarad (unterdessen von mir notdürftig rot-schwarz lackiert – Bibbers, unser Künstler, hatte leider keine Zeit!) zur Arena. Denn ich fand diese sehr frühe Form eines Graffitis unwahrscheinlich spannend, auch wenn ich dessen hingeschmierten Sinn nicht gänzlich umriss.

      So trat ich heftigst in die Pedale, um in den Schwalbenweg der bis heute benachbarten städtischen Kleingartenanlage zu düsen, wo wir eine kleine Parzelle unser Eigen nannten. In diesem Eldorado lokaler Hobbygärtner lag mit hoher Wahrscheinlichkeit die erste Saat meiner großen fußballerischen Liebe. Denn schon als Windelträger, wenn ich zwischen Apfelbaum und Radieschenbeet dort mit Bagger und Schaufel spielte, vernahm ich an jedem Wochenende die vielen Oooohs und Aaaahs bei vergebenen Chancen aus dem weiten Rund nebenan. Aus unzähligen Transistorgeräten der Schrebergärten um uns herum quäkte zudem der aufgeregte Kommentar des Radioreporters Günther K.

      Während Mutter also den Kopfsalat erntete, wurde mir hier sozusagen das Club-Gen eingepflanzt. Das Rad flog in den Himbeerbusch. Ich eilte aufgewühlt zur kleinen Sonnenterrasse. Atemlos berichtete ich von dem Spruch, den ich entdeckt hatte. Meine Mutter erklärte mir die Bedeutung des Satzes – und zwar auf ihre typisch sanftmütige Art und Weise: Sie legte meine Hand auf ihr Herz und dann auf meines. „Egal was passiert“, begann sie zu erzählen, „wir passen aufeinander auf. Wir lassen niemanden alleine. Gemeinsam gehen wir durch die guten und weniger guten Zeiten. Wir schimpfen, jubeln und verlieren zusammen. So was nennt man Liebe, kleiner Mann!“ Sie nickte kurz Richtung Stadion, in dem gerade ein Gegentor fiel. Ich kannte dieses Geräusch. Dieses qualvolle Raunen und Stöhnen. Sie schien das im Gegensatz zu mir nicht besonders zu stören. Stattdessen blickte sie mir in die Augen. „Das bedeutet dieser Schriftzug da drüben.“ Mein Vater nickte bloß und blickte – ganz kurz – gerührt vom Rosenschneiden hoch. Ich könnte schwören, dass seine Augen glänzten und einige Tränen in den Strauch tropften. Er streitet das bis heute genauso energisch ab, wie Expräsident Voack vehement dementiert, den Club beinahe zugrunde gerichtet zu haben.

      Wie auch immer, ganz kapiert hatte ich das mit der Liebe zwar nicht, aber eines wurde mir schon klar: Beim nächsten Heimspiel wollte ich dort drüben dabei sein. Mir das Spektakel aus der Nähe betrachten. Denn dieser Club musste ja was ganz Besonderes sein, wenn mein Vater heulte und meine Mutter so versonnen blickte. Das tat sie sonst eigentlich nur, wenn ich mal keine Fünf in Mathe nach Hause schleppte.

      Dass ich bis heute selbst schniefen muss und auch so versonnen dreinblicke, wenn ich meinen Söhnen vom 1. FCN erzähle, wer hätte das damals geahnt? Ich nicht! Aber so ist es. Bis heute. An jedem verdammten, wunderbaren Wochenende der Saison!

      Um Knacki, so der Name meines Sparschweins, war es bald geschehen. Bluten für den Club, hieß es für ihn und lautet meine Devise bis heute. Der Inhalt seines dicken Bauchs musste für meine erste Eintrittskarte herhalten. Eine lohnende Investition.

      Einige Jahre später habe auch ich heimlich etwas an die Wand neben meinem damaligen Lieblingsblock 7 geschrieben. Obwohl die Wichtigtuer von Ordnern ja immer so streng und mächtig unleidig dreinblickten, als ob sie einen ungespitzt in den Boden nageln wollten. Ihre Patrouillengänge vermittelten bei mir Knirps immer den Eindruck, unser Stadion wäre von Invasionen außerirdischer Wesen bedroht. Sie haben mein illegales Tun nicht bemerkt, sonst wäre der Autor dieses Buches ein anderer.

      „Hätte ich zwei Leben, beide gehörten dir!“ Fiel leider der Modernisierung zur WM 2006 zum Opfer, aber gilt natürlich für immer und ewig …

      KONFETTI AUS DER NORDKURVE

      Es ist ein magischer Moment, wenn man zum ersten Mal das Stadion der eigenen Stadt betritt. Dieser Augenblick kann ganz kurz und unauffällig daherkommen, manchmal lehnt er auch nur ganz flüchtig an dir – klopft dir womöglich kumpelhaft auf die Schulter. Wie auch immer, du spürst ihn, nein, du verfällst ihm mit Haut und Haaren. Jedenfalls ist der Moment so intensiv, dass es ab genau diesem Zeitpunkt um dich geschehen ist. Dieses von weißen Linien und vier Flutlichtmasten eingerahmte kleine Paradies soll deine Kirche, dein Tempel, dein Wohnzimmer, dein zweites Zuhause werden. Oder du fühlst gar nichts und ziehst wieder von dannen zu irgendeinem anderen Event, dann bist du aber keiner von uns. Du wirst nie ein „Clubberer“ sein.

      Die Zweite Bundesliga Süd kam angerumpelt wie ein alter Müllwagen früh morgens um fünf. Der Gegner: KSV Baunatal. So prangte es an der Litfaßsäule gegenüber. Eingerahmt wurde das vom Wind und Regen zerfledderte Plakat von Konzerthinweisen, die zeitnah in der Meistersingerhalle stattfanden. Reinhard Mey und die Saragossa Band. Dann doch lieber den KSV Baunatal in die Knie zwingen. Für heutige Verhältnisse klingt solch eine Paarung zwar so verlockend wie eine Darmspiegelung ohne örtliche Betäubung. Uns jedoch bedeutete es die große, weite Welt – oder einfacher gesagt: Kleine Kinder wie wir freuten sich wie kleine Kinder auf das Spiel.

      Und da stand ich also nun in der unruhigen Reihe vor den Einlasstoren mit Thermoskanne (von Mama) und Steppdecke (von Oma, extra für mich bei Woolworth erstanden). Vorne riss ein fülliger Ordner mit einer Trainingsjacke vom 1. FC Pleinfeld die Kartenecke ab. Dann ging es endlich rein. Keine Untersuchungen aller Körperstellen und -öffnungen wie in Guantanamo oder Einlasskontrollen wie beim Besuch des Hochsicherheitstrakts eines Gefängnisses. Man schlenderte einfach so durch, auch wenn das heute kaum mehr einer glauben mag.

      Es war Winter, zugig und frostig. Überall standen mit dreckigem Eis verkrustete Schneeschaufeln, die sichtlich gute Dienste geleistet hatten, denn sie sahen bereits ziemlich abgearbeitet aus. Ach ja, diese gute alte Zeit (die vermutlich gar nicht so gut war). Ein Stadion, ohne komplette Überdachung, ohne Rasenheizung. Stehplatztribünen in der Überzahl, die kurz vorm Anpfiff noch freigeschippt werden mussten. Ich suchte meinen Block 7. Passierte dabei


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