Naus zum Glubb. Roland Winterstein

Naus zum Glubb - Roland Winterstein


Скачать книгу
wenn es um den FCN ging. Während ihrer legendären Auseinandersetzungen mit sehr wenig „Basst scho“ betrachtete ich mir immer dieses Club-Mannschaftsfoto von 1979, das über der Fritteuse hing. Man konnte vor lauter Fettflecken nur noch wenig erkennen, außer ein C vom FCN und den einen oder anderen Kopf eines langhaarigen Spielers. Stöbis Leitspruch war immer: That’s the way it is – damals verstand ich kein Wort, er strahlte dabei aber eine souveräne Gelassenheit aus. Keine Ahnung, woher er das hatte, aber es war wohl sein „Basst scho“. Und ich war nach einem 1:4 gegen eine Gurkentruppe, die hier doch niemals hätte gewinnen dürfen, nicht mehr ganz so traurig, wenn er mir dieses verbale Trostpflaster auf meine geschundene Seele klebte. Stöbi ist bereits vor langer Zeit eine Etage höher gewechselt – und lässt sich nicht mehr von mir, sondern vermutlich von Herrn Stuhlfauth durch die Gegend schieben.

      Die Bude steht hingegen noch immer, der Inhaber aber ist längst ein anderer und das Mannschaftposter auf fränkische Art aktualisiert, 2003. Basst scho! Hauptsache, wir sind auf dem Platz auf der Höhe der Zeit. Und wenn wir heute mal keine drei Punkte einfahren, wird mich auf dem Heimweg niemand mehr fragen: „Wie hammse gespielt?“. Denn alle sind bereits mit Abpfiff informiert. Die Maulhelden existieren auch nicht mehr. Heute vermisse ich diese Miesepeter, inzwischen ist mir klar, dass sie den Club genauso tief im Herzen verankert hatten wie ich und ihre Leidenschaft eben nur etwas anders zum Ausdruck kam. Nur weil sie permanent gestänkert haben, heißt das nicht, dass sie den Club nicht liebten.

      Da stehe ich nun an der modernisierten Imbissbude mit meinem Söhnen. Wenigstens der Dunst des Grillfleischs nebelt einen noch ein. „Schade, dass wir heute nichts gerissen haben“, flüstert mein Großer und beißt in sein Weckla. So oft sind wir als Exilfranken nicht mehr hier. Heimsiege sind aktuell ein rares Gut, denke ich und nuschle etwas anders: „That’s the way it is“ – und es kommt mir ein wenig so vor, als ob mein Nachwuchs nicht mehr ganz so traurig kaut, obwohl er garantiert so wenig verstanden hat wie ich damals. Als wir über den Luitpoldhain heimschlendern, habe ich eine Hand in der rechten Hosentasche und spiele mit einer wertvollen Münze, die uns nächste Woche ganz sicherlich wieder mehr Glück bringen wird als heute. Oder übernächste Woche …

      AUSWÄRTSSIEGE VIA ÄTHER

      Als minderjähriger Fan durfte ich den Club natürlich nicht in die Ferne begleiten, auch massive Trotzgebärden und diverse Tobsuchtsanfälle halfen nicht. Eine Fahrt in ein fremdes Stadion inmitten gleichgesinnter Intensivunterstützer (teilweise mit Alkoholfahnen, teilweise mit Clubfahnen und manchmal beidem) kam meinen Eltern einem heimlichen Besuch im schmuddeligen Roxy-Kino in der Bahnhofshalle gleich.

      So blieb mir nichts anderes übrig, als vor unserem Radio zu kauern, um mitzukriegen, wie das Team sich gegen den FC 08 Homburg, auf dem Betzenberg oder im Westfalenstadion schlug. Diese Truppen gehörten zur Kategorie Gegner, die uns nicht so liegen. Aber egal, jedenfalls war mein Tag bereits nach dem Frühstück nur auf eines zentriert: der Fußballübertragung auf Bayern 1. Es gab damals keine große Auswahl. Sender, die mit haufenweise gutgelaunten Moderatoren auch bei einem verdienten 0:3-Rückstand immer noch Partystimmung verbreiten, waren glücklicherweise noch Zukunftsmusik.

      Ich hatte mir aus den Nürnberger Nachrichten alle wichtigen Informationen ausgeschnitten. Aufstellungen, letzte Interviews und die Einschätzung des Trainers zum kommenden Aufeinandertreffen. Die Nürnberger Zeitung kam bei uns nicht ins Haus. Man muss sich im Leben eben entscheiden. Und Zeitungen mit grünen Lettern gingen und gehen bis heute gar nicht. Das sollen die drüben in Fürth lesen, murmelte meine Mutter und ihre Lippen wurden dabei immer ganz schmal.

      Ich presste meine Ohren an den Lautsprecher. Noch immer stand es 0:0. So starteten die guten Tage, die aussichtsreichen Auswärtsspiele. Doch dann legte sich diese verdammte unsichtbare Club-Schablone auf die meisten dieser Spiele, die ich via Antenne verfolgte. Kurz vor der Pause das obligatorische 1:0 für den Gegner, der es sich nicht nehmen ließ, gleich noch eins hinterherzusetzen, sodass man überhaupt kein Licht mehr am Ende des Tunnels zu entdecken vermochte. Genauer genommen sah man nicht mal mehr den Tunnel. Ich zerknüllte in dieser aussichtlosen Lage die vorsortierte Lokalpresse und schoss damit wenigstens den Ausgleich, was keinen außer mir im Wohnzimmer zwischen Eichenschrank und Stehlampe interessierte. Und das Schlimmste war die Konferenz. Sowieso schon nahe am Blattschuss musste man mitanhören, wie die Radiofuzzis ins Olympiastadion nach München schalteten, wo gerade das umjubelte 5:1 für die Hausherren fiel. Ich hingegen ließ mich endgültig auf die Couch fallen und heulte ins Clubkissen, was meiner Mutter gar nicht gut gefiel, weil sie dieses in langen fränkischen Wintertagen mühevoll gestickt hatte. Aber es gab auch die seltenen Momente des Erfolgs. Diese besonderen Augenblicke, die ich gerne zaghaft festhalten wollte, damit sie nicht wieder so schnell verschwanden.

      Einmal hatte ich etwas zu spät eingeschaltet, weil der Küchenputz auf der Tagesordnung stand. Ohne Mitarbeit im Familienverbund durfte ich den FCN nicht mal im Radio verfolgen – strenge Erziehungsmethoden gab es damals. Der Stapel ungespülter Teller schien kein Ende zu nehmen, der schiefe Turm aus Töpfen mit Essensresten ebenso. Doch irgendwann war es gescha . Radio an. Es meldete sich jemand aus Hamburg, wo der HSV einen Elfer an die Latte knallte. Und dann redete der Hauptsprecher aufgeregt in die Schalte nach Hamburg. Wir müssen schnell rüber nach Kaiserslautern. Da hat sich was getan. Ich hielt den Atem an. Denn dort spielte mein Club. Würde ich gleich tobendes Teufelsgejohle vernehmen? Schon wieder ein viel zu früher Gegentreffer auswärts? Dabei wären Punkte auf fremdem Geläuf angesichts des Tabellenstands doch so eminent wichtig. Ich glaubte meinen Ohren kaum zu trauen. 2:0 für den 1. FC Nürnberg. Ich hatte während des Abwasches den Führungstreffer verpasst und musste erst mal nachrechnen. 2:0 kurz vor der Halbzeit klang gut. Wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Aber ich wollte nicht zu übermütig werden.

      Doch es gab ja wie bereits erwähnt die verdammte Schablone. Motto: „Sie vergeigen es doch noch und keiner weiß wie.“ Und in der Tat: Klassischer Anschlusstreffer kurz nach der Halbzeitpause. Darauf, dass der Club nun zwischen der 50. und 70. Minute den ordnungsgemäßen Ausgleich kassieren würde, konnte man sein Häuschen in Feuchtwangen oder die edle Dachgeschosswohnung am Unschlittplatz verwetten. Und zum Schluss darf natürlich das Sahnehäubchen à la Club nicht fehlen: Blutgrätsche eines hüftsteifen Verteidigers in der 89. Minute und Elfmeter gegen uns. Direkt verwandelt. Oder Variation 2, auch gerne genommen: haarsträubender Bock in der Abwehr kurz vor Schluss und darauf ein sehenswertes Eigentor. Wie konnte das nur wieder passieren, würde man anschließend allerorts fragen.

      An diesem Tag aber war alles anders. Wir haben mit 3:1 gewonnen – und das sogar haushoch überlegen. Nach solchen Ereignissen wurden bei uns zuhause nicht nur die Nürnberger Nachrichten gelesen, sondern auch die „grüne“ NZ. Denn Erfolgsmeldungen aus der Fremde vom Club lesen sich gleich viel angenehmer. Und ich bekam von meinen Eltern sogar eine seltene Cola spendiert. Natürlich mit dem mahnenden Hinweis: pures Zuckergesöff. Das Roxy-Bahnhofskino blieb für mich Knirps weiterhin ein exotischer Wunschtraum. In meiner Sehnsuchtsskala knapp hinter dem Triple für den Club platziert.

      FISCHKOPF AUF DURCHREISE

      Es kommt im Leben eines Fans jede Tätlichkeit früher oder später ans Tageslicht. Also beichte ich vorab: Es gab eine Zeit, da ging ich in Sachen clubberischer Vereinstreue bis in den Tod fremd. Bevor der geneigte Leser nun dieses Buch an die Wand wirft und hektisch ein Banner mit den üblichen Tiraden wie „Judas!“ oder „Verräter!“ pinselt, das er dann nächste Woche in die Nordkurve hängt, muss ich zu meiner Verteidigung anbringen: Ich war jung und brauchte die Aufmerksamkeit meiner Klassenkameraden.

      Es fing eigentlich relativ harmlos an. Ich besuchte eine neue Schule am Lutherplatz in Nürnberg. Mittlerweile war ich auch schon beinahe halbstark und modisch nicht mehr ganz unbedarft. So trug ich ein ausgeleiertes Baumwollshirt mit dem Wappen meines Clubs unter einer nicht minder ins Auge stechenden lindgrünen Cordjacke. Sie sehen, in Sachen Optik konnte mir keiner mehr einen Beinschuss versetzen.

      Aber zurück zu meiner damaligen etwas verwirrten Huldigung anderer Vereine: Joachim war schuld. Der saß in meiner Klasse zwei Bänke hinter mir. Ein dünner Hüne, mit dem ich mich bald anfreundete. Ich verpasste ihm den Spitznamen „Chicken“, denn er hatte ein Faible für gesundes Essen und rannte ständig mit einer Tupperware, Reis mit Hühnchen darin, über die Schulflure. Sehr fremdartig,


Скачать книгу