Naus zum Glubb. Roland Winterstein

Naus zum Glubb - Roland Winterstein


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lag Chicken damit weit vorne, obwohl er hinten im Tor stand. Genauer gesagt war er zweiter Torwart in einer Jugendmannschaft des 1. FC Nürnberg. War für uns „Normalos“ natürlich sehr spektakulär. Die Sache hatte nur einen Haken: Chicken war eingefleischter Bayern-Fan.

      Ich kann mir das bis heute auch nicht recht erklären, aber ich denke, er war eben wohl geistig etwas umnachtet. Und er mochte den HSV überhaupt nicht. Damals noch der große Gegenspieler der Bayern. Also musste ich die Blutgrätsche rausholen. Denn ein Clubtorwart und legitimer Nachfolger Stuhlfauths mit Bayernfaible verdiente einen Denkzettel. So mutierte ich zum Fan der Raute, die ja eigentlich genau genommen gar keine Raute ist, wo wir doch schon beim Thema Schule sind. Hrubesch und Keegan wurden also meine Übergangshelden. So spazierte ich als eingefleischter HSVer jeden Montag in den Klassenraum und feierte die zahlreichen Siege des Nordclubs. Damit trieb ich Chicken in den Wahnsinn, denn der Stern des Südens leuchtete einst noch nicht so blendend wie heute. Mein Fremdjubel fühlte sich damals schon falsch an, so wie heute, wenn man spaßeshalber zu einem Spiel zweier Teams geht, die einen nicht sonderlich interessieren. Dann steht man da und soll sich für eines entscheiden. Geht gar nicht.

      Als Jugendlicher ist die Selbstüberschätzung ein tägliches Ritual, und so tyrannisierte ich meine Mutter, sie solle mir doch einen Schal in Blau-Schwarz-Weiß stricken, was sie nach einigen Wochen des fränkischen Widerstands endlich tat. So kam es zu einer legendären Begebenheit beim Fußballturnier des Schulfestes. Dieses spielte sich auf den Bolzplätzen neben dem Stadion ab, wo heute die Arena der heimischen Puckjäger steht. Ich wurde in meiner Mannschaft als Außenstürmer nominiert. Also rannte ich mit einem HSV-Schal um den Hals, den ich partout nicht ablegen wollte, die Außenbahn in Manni-Kaltz-Manier rauf und runter. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuschauer hatte ich auf jeden Fall. Unsere Auswahl war der Hingucker. Chicken, der fast Zweimetermann mit Bayerntrikot, im Tor. In der Abwehr „Pommi“, dessen Herz am englischen Fußball und Musik von der Insel hing. Er spielte stets in Lederjacke mit Stickern von Madness und The Police. Im Sturm unser damaliger Ishaak, genannt „Berndi“, ein Koloss aus Altdorf, der trotz Übergewicht in guten Momenten grazil unterwegs war wie einst Zaubermaus Zarate. Zugegeben, die guten Momente von Berndi waren spärlich gesät, aber es gab sie. Und natürlich „Wiesel“, der Klassenstreber, der überall auf dem Feld unterwegs war, nur nicht da, wo der Ball herumkullerte.

      An diesem Tag belegte unsere Freakshow einen ausgezeichneten siebten Platz von sieben Mannschaften. Ich schenkte dem natürlich parteiischen Schiedsrichter in der Halbzeit meinen HSV-Schal, da ich herausbekam, dass er an der Elbe geboren sei. Für uns gepfiffen hat der Blinde trotzdem nicht. Chicken und ich versöhnten uns. Das Trikot wollte ich trotzdem nicht mit ihm wechseln. Er hat es leider nicht ganz zu den Profis gescha und strandete in einer unterklassigen Liga beim TV Glaishammer. Danach wechselte er zum Post SV und eines Tages haben wir nie mehr was von ihm gehört. Womöglich ein Fall für den Friedhof der gestrandeten Fußballerhoffnungen. Aber wie wir ja alle wissen, ist vorne ganz schön weit weg. Wir siebte Sieger und kleine Helden zogen umarmt als schwankende, aber fröhliche Menschenkette über das Zeppelinfeld zurück nach Hause. Jeder von uns trug endlich wieder stolz sein ausgeleiertes weißes Baumwollshirt. Ja, heute waren wir die Schlusslichter. Und trotzdem fühlten wir uns unabsteigbar bis in alle Ewigkeit. Wir waren Freunde, wir waren Halbgötter und wir waren und sind bis heute Vollblutclubberer.

      FAN IN LOVE

      Clubfan hin, Cubfan her, manchmal klopft jemand an die Türe deines Herzens, die eigentlich mit einem rot-schwarzen Wimpel fest vernagelt ist. Meistens handelt es sich um eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts, mutmaßlich eine äußerst liebreizende. Im allerbesten Falle besitzt sie schönere Beine als die aktuellen Sturmspitzen des FCN. Da stand ich nun ganz lässig im Café Ruhestörung und es war um mich geschehen. Und sie hatte noch nicht mal einen Clubschal durch ihr wallendes Haar geflochten. So schlingerte ich in mein fußballfreies Verderben, denn die Höchststrafe erwartete mich. Sie gab keinen müden Heller auf meine Lieblingssportart.

      So eine Konstellation rennt paartechnisch geschehen blindlings ins vorprogrammierte Abseits. Zumal an diesem Abend ausgerechnet Pokal auf dem Programm stand und wir nach Ewigkeiten endlich mal über die zweite Runde hinauskommen wollten. Die Hürde bestand wieder aus einem Verein, der in Sachen Qualität und Geldbörse deutlich über dem unsrigen stand. Ja, ich nannte schon ein Handy mein Eigen, sogar eines mit Antenne, und in Länge und Breite so wuchtig, damit ließe sich prima Wild im fränkischen Forst erlegen. Aus heutiger Sicht stand ich mit meiner drahtlosen Errungenschaft natürlich knietief in der mobilen Steinzeit, doch damals war ich ganz oben mit dabei. Ich rief eine Hotline an, die zur Begrüßung sämtliche Angebote runterleierte, bis man endlich bei dem gewünschten Thema angelangt war: „Wenn Sie die aktuellen Ergebnisse vom DFB-Pokal hören wollen, drücken Sie bitte auf Ziffer 8.“ Das tat ich. Ich tat es oft.

      Die Dame meines Herzens reagierte natürlich irritiert, wenn ihr Gegenüber ständig leicht hysterisch an seinem Mobiltelefon rumhantierte und sie keines schmachtenden Blickes würdigte. Ich war wirklich nicht bei der Sache, zumal gerade Marc Oechler den Ausgleich links oben in die Gambel versenkte. Endlich reagierte ich ihrer Meinung nach leidenschaftlich, umarmte und knutschte sie ab, um Sekunden später wieder unruhig die nächste Ansage anzufordern. Dann kam ein folgenschwerer Dialog zustande.

      „Was tust du da eigentlich?“

      „Hören, wie es beim Club steht!“

      Schweigen.

      Und ich konnte es ihren Gesichtszügen ansehen. Das für mich Unfassbare nahm in ihr Gestalt (zugegeben recht hübsch) an. Sie besaß nicht den Dunst vom Schimmer einer blassen Ahnung, wer der Club war. Vollkatastrophe. Ich hörte, wie die Nordkurve in mir sang: Sie kann Hause fahren. Ich wollte aber nicht, dass sie nach Hause fuhr. Und dann fiel auch noch das 2:1 für die anderen. Ich steckte das Handy geschlagen in meine Gesäßtasche und lud sie zu einem Spaziergang auf der Kaiserburg ein. Damals ging das noch ohne Voranmeldung. Es war ein wirklich romantisches Plätzchen – heutzutage kommt es eher als Bootcamp für Asiaten daher, die mit begeistert klingenden Lauten alles wegfotografieren, was sich ihnen in der Reichsstadt in den Weg stellt.

      Die Dame meines Herzens und ich schlenderten also händchenhaltend am Bratwursthäusle vorbei Richtung Burgberg. In der anderen Hand hielt ich wieder mein Handy, unfassbar, was da in meinen Gehörgang drang: 2:2. Alles war wieder offen. Da standen wir über den Dächern meiner zwar einst zerbombten, aber wieder hübsch aufgebauten Stadt. Ich drückte leise fluchend versehentlich auf die 7: Handballnews. Braucht kein Mensch! „Du magst diesen Club wohl sehr“, flüsterte sie, als ihre Blicke von hier oben bis ins Nürnberger Hinterland schweiften, und es klang wie: Und wie sehr magst du eigentlich mich? Viel zu viele Fragen in dem Moment für mich, denn ich reckte die Faust in die Luft. Yes, Marci, Marci! Dreierpack! Von Marc Oechler! Und mein Marci klang wohl wie: Ich mag dich! Ich mag dich! Das schrie ich runter in die Altstadt wie ein irrsinniger alter Frankenkaiser, der seine Untertanen zum nächsten Feldzug gen Bavaria animieren wollte. Marci! Marci! Fußballgott.

      Ich legte ihr lässig meinen Arm und die Schulter.

      „Jetzt haben wir sie“, hauchte ich bebend.

      „Wen denn?“, fragte sie.

      „Na sie, wir haben die dritte Runde erreicht. Und jetzt nur kein schweres Auswärtsspiel zugelost bekommen.“

      Sie verstand null, sah dabei aber ganz entzückend aus. Auf dem Weg runter zum Henkersteg weihte ich sie in die heiligen Riten des Pokalmodus ein. In der Weißgerbergasse küsste ich sie voller unbändiger Freude. Denn nicht nur der Club ging an diesem Abend erfolgreich in die Verlängerung. Und ich mit meinem neuen Schatz in die Nürnberger Lochgefängnisse. Der ideale Platz, um Beschützer zu spielen.

      IM TRIKOT MEINES LEBENS

      Ein Haus bauen. Einen Baum pflanzen. Eine Familie gründen. Soll man alles mal gemacht haben, heißt es oft. Nichts dagegen zu einzuwenden, aber für einen echten Clubberer fehlt in dieser Aufzählung noch etwas wirklich Entscheidendes: der Kauf eines echten und aktuellen Trikots. Die Betonung liegt hier auf „echt“ und „aktuell“, also eine Oberbekleidung, die direkt vom Verein offeriert wird, zu Saisonbeginn natürlich. So viel Aktualität schraubt den Preis in schwindelerregende Höhen.

      Die


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