In den Sand gesetzt - Skandinavien-Krimi. Kirsten Holst

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solltest das zur Polizei bringen.«

      »Ja, das sollte ich wohl. Mir tut der Kerl Leid, der jetzt auf einem Bein herumhumpelt und nicht weiß, wie spät es ist. Ich kann mir vorstellen, wie ihm zumute ist, ich bin ein empfindsamer Mensch. Aber dass ich mit einem Schuh zu Jønsson gehe, das kann ich mir nicht vorstellen.«

      »Er wird heute auch geschlossen haben.«

      »Ich hatte gedacht, die Polizei hätte an jedem Finger ein Auge, aber Jønsson hat eher einen Finger auf jedem Auge. Meinst du nicht, dass ich deine charmante kleine Schwester dazu überreden kann, morgen mit dem Strandgut zu ihm zu gehen?«

      »Pia? Bestimmt. Wenn sie Prozente vom Finderlohn bekommt. Umsonst macht sie nichts.«

      »Das ist ein vernünftiges Prinzip. Sie wird es einmal zu etwas bringen. In unserer Zeit sind Leute, die etwas umsonst tun, äußerst suspekt. Deine Arbeit wird nach dem Preis beurteilt, den du dafür verlangst. Bitte, frag sie.«

      Maja holte eine Plastiktüte und steckte die Sachen hinein. »Das werde ich. Ich kann das mit nach Hause nehmen und ihr heute Abend geben.«

      »Und sag ihr, dass sie den Finderlohn behalten kann. Wenn es welchen gibt. Ich käme mir wie ein Idiot vor, wenn ich einen Fünfzigkronenschein dafür bekäme, dass ich einen Schuh gefunden habe.«

      »Du bist verrückt.«

      »Ja, aber ich liebe dich trotzdem.«

      »Willst du ein Hotdog?«

      »Musst du meinen Bekenntnissen so niedrige Motive unterstellen? Ich liebe dich mit oder ohne Hotdog. Außerdem gehen wir heute Abend essen.«

      »Wir?«

      »Ja, du und ich. Ich habe einen Mäzen gefunden. Das müssen wir feiern. Suppe, Steak und Kuchen. Verschiedene Weine. Alles, was tu willst.«

      »Einen Mäzen. Einen, der deine Horrorkunst unterstützt? Unmöglich.«

      »Horrorkunst! So schlecht sind die Bilder nun auch wieder nicht.«

      »Doch, das sind sie. Und das weißt du selbst. Dünen bei Sonnenuntergang. Fischerboote bei Sonnenuntergang. Das Meer bei Sonnenuntergang. Sie sind geradezu peinlich.«

      »Harte Worte im August.«

      »Bist du beleidigt?«

      »Nein, auch wenn mir der Ausdruck Horrorkunst nicht gerade gefällt. Aber es ist nun mal so, dass dieser Kunsthändler alle Bilder kauft, die ich male, und 200 Kronen pro Stück bezahlt. Ich lebe von meiner Horrorkunst. Verdammt noch mal.«

      »Ja, und er verkauft sie für 500 oder mehr. Das ist Diebstahl!«

      »Das weiß ich, ich fühle mich auch wie ein Hehler.«

      »Das habe ich nicht gemeint.«

      »Okay, aber das war keins von den Horrorbildern. Sondern ein richtiges. Ich habe 1000 Kronen dafür bekommen. Hard cash. Ich erzähle es dir heute Abend. Das ist wie gefundenes Geld, also können wir es auch ausgeben.«

      »Holst du mich heute Abend ab?«

      »Hast du nicht um vier Uhr frei? Ich hatte gedacht, dass wir zuerst baden gehen. Wenn das Wetter schon mal so ist, wie es ist.«

      »Ist es aber nicht«, sagte Maja mit einem kleinen Lächeln. »Guck mal!«

      Bo sah sich um. Dann blickte er zum Himmel. Die Sonne war mit einer bleichen, milchigen Haut überzogen.

      »Verdammt! Und das am schönsten Tag des Sommers. Seenebel.«

      Larsen und die Kinder kamen vom Wasser, Alice konnte ihre Stimmen schon von weitem hören. Sie stand auf und schüttelte sich. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass es kälter geworden war. Vielleicht hatte sie zu lange in der Sonne gelegen.

      »Du kannst anfangen, zusammenzupacken«, sagte ihr Mann, als er zu ihr heraufkam.

      »Aber es ist doch erst halb vier.« Sie sah ihn verblüfft an.

      »Es gibt Seenebel«, sagte er und zeigte zum Himmel. »Guck mal!«

      Der Horizont war verschwunden. Ein grauer Teppich war zwischen Himmel und Meer hinuntergezogen worden. Man konnte sehen, wie sich der dichte Nebel schnell der Küste näherte.

      »Sieh mal, die Sonne!«, rief der Junge. »Sie sieht aus wie ein Spiegelei mit etwas Weißem über dem Eigelb.«

      Unten am Strand waren die Menschen im Aufbruch. Alle zogen sich an, ließen die Luft aus den Luftmatratzen, packten zusammen und flüchteten, als gelte es, einer todbringenden Pest zu entkommen, einem radioaktiven Niederschlag oder einer anderen drohenden Katastrophe. Hunderte von Autos wurden angelassen, fuhren den Strand entlang und blockierten die Zufahrtswege.

      Dann erreichte der Seenebel den Strand und legte sich mit eisiger Nässe über alles und selbst die Begriffsstutzigsten kapierten, dass es jetzt keinen Sinn mehr hatte, hier zu bleiben.

      »Das war schon fantastisch«, sagte Alice zähneklappernd, als sie gingen. »Fast von einem Augenblick auf den anderen.«

      »Dann haben wir das auch erlebt«, sagte ihr Mann.

      »Der Deutsche liegt noch immer da«, stellte Lene fest, als sie an ihrer Mulde vorbeikamen. »Er hat sich bestimmt einen Sonnenbrand an den Beinen geholt.«

      Alice schielte kurz zu ihm hinunter. Sie schaffte es nicht, Leute direkt anzusehen, die am Strand lagen und ein Sonnenbad nahmen. Es war ein bisschen so, wie in die Fenster anderer Leute zu gucken. Eine Art Eingriff in das Privatleben. Aber hier in den Dünen ließ es sich nur schwer vermeiden. Eigentlich war es schon merkwürdig, dass er bei der Kälte einfach liegen blieb. Ob er eingeschlafen war? Oder krank geworden war? Vielleicht sollte man ... Aber vielleicht wäre er verärgert. Es ging sie ja auch nichts an.

      »Mutter«, rief Jens und hielt eine 2–Liter–Weinflasche hoch. »Kann ich die haben? Das ist eine von denen, auf die es Pfand gibt.«

      »Nein, komm jetzt. Und wirf die Flasche weg. Sie ist schmutzig und eklig.«

      »Bekomme ich dann von dir das Geld?«, fragte Jens.

      »Ja, lieber das«, sagte seine Mutter und der Junge warf die Flasche widerstrebend wieder weg – nur ein paar Schritte von der Stelle entfernt, wo er sie gefunden hatte.

      Der Strand war jetzt völlig verlassen, eingehüllt in Seenebel. Nur der Mann mit der blauen Badehose lag noch immer in derselben Stellung in seiner Mulde. Unter seinem Kopf war der Sand braunrot gefärbt. Eine Schmeißfliege krabbelte heran und flog wieder auf und fast gleichzeitig wehte ein kleiner Windstoß einen Zipfel des Handtuchs beiseite. Aber der Mann rührte sich nicht.

      2. Kapitel

      Das Telefon schellte.

      Høyer schlief schwer und traumlos, kein Laut drang durch den schützenden Kokon des Schlafs. Sie waren früh ins Bett gegangen, nachdem sie sich eine Flasche des mitgebrachten Weins geteilt hatten, der ihnen auf Mallorca besser geschmeckt hatte. Høyer hoffte auf einen ruhigen Arbeitsanfang nach den Ferien. Ein paar stille Tage, um langsam wieder in Gang zu kommen. Als er gefahren war, hatten sie ein paar offene Fälle gehabt. Da war vor allem der Pyromane, der sie während des ganzen Winters und des frühen Frühjahrs in Atem gehalten hatte. Er hatte lange nichts von sich hören lassen, aber wenn die Nächte wieder dunkel wurden, würde er wohl wieder zuschlagen. Høyer hatte zum Fenster hinaus gesehen. Es wurde langsam dunkel. Dann hatte es mehrere Einbrüche in Villen gegeben. Professionelle oder Rauschgiftsüchtige. Fälle von der Sorte, bei denen man nicht weiß, wo man anfangen soll, bis man plötzlich das richtige Ende zu fassen bekommt und die Geschichte daran aufwickeln kann. Er hoffte, dass sie das richtige Ende zu fassen bekommen hatten, während er fort gewesen war. Es hatte auch eine Vergewaltigung gegeben, aber Høyer war davon überzeugt, dass sie den richtigen Mann erwischt hatten, er hatte nur nicht genug Beweise gehabt, um ihn genügend unter Druck zu setzen. Und wer weiß, was während seiner Abwesenheit passiert war. Hoffentlich nur das Übliche. Er hatte herzhaft gegähnt, noch kurz wach gelegen


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